Das Ende der Atomkraft in Deutschland und die Beharrlichkeit des Widerstands dagegen haben am Samstagnachmittag rund 1500 Menschen auf dem Münchner Odeonsplatz gefeiert - gemeinsam mit Greenpeace, dem Bund Naturschutz und zahlreichen Anti-Atomkraft-Initiativen. Die wichtigsten Botschaften: Das Thema ist noch für ein paar hunderttausend Jahre nicht ganz durch. Und für Markus Söders aktuelle Vorschläge, doch noch einmal Brennstäbe zu kaufen und Atommeiler in Reserve zu behalten, gibt es eine strikte Absage, die sich mit dem Motto der Ausstiegsfeier deckte: "Endlich mal abschalten! Raus aus Atom, rein in Erneuerbare!"
Vor der Feldherrnhalle versammelten sich junge Aktivistinnen und Aktivisten ebenso wie Veteranen der Anti-AKW-Bewegung der 70er- und 80er-Jahre. Darunter auch der allein für seine Anwesenheit bejubelte frühere SPD-Landrat Hans Schuierer. Als Landrat von Schwandorf (von 1972 bis 1996) kämpfte er erbittert gegen die Pläne der bayerischen Staatsregierung, die in Wackersdorf eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) bauen wollte, darauf schließlich aber doch verzichtete. Schuierer, inzwischen 92 Jahre alt, vergoss Tränen der Rührung und der Freude und bezeichnete es als "Genugtuung und Freude", nun die Abschaltung der letzten drei deutschen Atommeiler feiern zu dürfen. "Deutschland und Bayern sind besser und sicherer ohne diese gefährliche Technologie", sagte er.
Seine Gefühle teilten viele in der Menge, beispielsweise auch der Grünen-Landtagsabgeordnete und ehemals stellvertretende Münchner Bürgermeister Hep Monatzeder. Der scherzte, er sei ja selbst bereits "im politischen Abklingbecken" angelangt, im Herbst komme das Ende seiner Zeit im Landtag und er genieße es ungemein, diesen Abschalt-Tag zu erleben. Er habe "jahrzehntelang dafür gekämpft, auch in Wackersdorf".
Auf der Bühne bezeichnete Bund-Naturschutz-Vorsitzender Richard Mergner in seiner Eröffnungsrede den "historischen Tag" als "riesigen Erfolg der Anti-Atom-Bewegung". Er warnte aber zugleich davor, im Bemühen um eine unabhängige und klimaneutrale Energieversorgung nachzulassen. Denn "was bleibt, ist strahlender Atommüll für die nächsten 40 000 Generationen - und eine verschleppte Energiewende, speziell in Bayern". Als Münchner Demo-Teilnehmer hielt ihm Clemens Suerbaum dazu sein Plakat entgegen mit einem Zahlenvergleich: "Halbwertszeiten: Uran 234: 245 500 Jahre; CSU: 52,7 Jahre". Für die CSU, so erzählte der Demo-Teilnehmer auf Nachfrage, habe er die Wahlresultate seit den 70er-Jahren bis 2018 zugrunde gelegt und errechnet, wie lange die Halbierung gedauert habe. "Alles streng wissenschaftlich", fügte er mit einem dem Anlass gemäßen, strahlenden Lächeln hinzu.
An Markus Söder und die CSU adressierte auch Stefan Krug, Leiter des Greenpeace-Landesbüros Bayern, eine empörte Absage: "Heute endet der Irrweg Atomkraft in Deutschland endgültig; die Panikmache von CDU/CSU und FDP vor Stromausfällen ging ins Leere, denn Atomstrom wird für eine sichere Versorgung nicht benötigt." "Statt das tote Pferd Atomkraft zu reiten, sollte sich Markus Söder jetzt endlich ernsthaft um die Energiewende in Bayern kümmern", so Krug. "Andernfalls wird Bayern bei der Energiewende abgehängt." Er erwähnte zudem, dass Bayern zwar den mit Abstand meisten Atommüll produziert habe, " aber aus irgendwelchen Gründen überhaupt keinen Platz für ein Endlager hat - das ist schäbig".
Wie einst schon in Wackersdorf, musizierte Liedermacher Hans Well beim Atom-Ausstiegsfest in München, diesmal mit seinen "Wellbappn" - trotz Fiebers am Vorabend. Offenbar ein Muss für einen wie den Well Hans. "Wie i den Söder in de Tagesthemen gseng hob, hob i glei an Hitzeschock griagt", erzählte er, und dass sich heute ein Kreis für ihn schließe. Genüsslich holzte er gegen Söder und geißelte dessen aktuelle Atomkraft-Verlängerungsideen: "Söder lasst de Hosn runter / sieben Jahr Atomverlängerung fordert er munter / dieser A..... mit Ohrn / waar beinah Bundeskanzler worn!"
Einen Höhepunkt auf der Bühne steuerte auch der Aufsichtsratschef der Stadtwerke München bei, Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter. Der bekannte, schon als Schüler überall "Atomkraft? Nein danke!"-Aufkleber geklebt zu haben, ließ dann aber angesichts der Münchner Beteiligung am Atomkraftwerk Isar 2 mit dem Hinweis aufhorchen, das sei nicht nur längst abgeschrieben, sondern mit den Gewinnen sei "rechtzeitig vorgesorgt" worden. Durch diese Rücklagen stelle "der Rückbau kein Risiko" mehr dar, finanziell.
Im Publikum waren nicht alle begeistert von dieser Ansage, aber Reiter wechselte sofort das Thema und nahm Markus Söders AKW-Fortsetzungspläne ins Visier: "Des is koa Kühlschrank, den ma aus- und eischaltn kann!" Er finde es interessant, dass die CSU nun auf andere Länder als Vorbild verweise, in denen weiter Atomstrom produziert werde. "Das ist, verdammt nochmal, aber dann auch deren Verantwortung", schimpfte Reiter energisch - und erwähnte genüsslich, dass es "im Ausland auch längst überall ein Tempolimit auf Autobahnen gibt". Das könne gern übernommen werden.
Das Verhalten von Söder und CSU bei der Atomkraft verglich Reiter angesichts der immer noch ungeklärten Frage einer Atommüll-Endlagerung unter tosendem Applaus noch "mit einem, der aus dem zehnten Stock springt und bei jedem Stockwerk sagt: bis jetzt is' guat ganga". Und wo er schon mal dabei war, erinnerte Reiter auch gerne noch an die Zeit, als Angela Merkel nach Fukushima den Atomausstieg wollte und Bayern zögerte. "Bayerns Umweltminister Söder hat Seehofer damals gedroht mit Rücktritt, falls Bayern nicht beim Atomausstieg mitmache", erinnerte Reiter. Und spielte in Gedanken wohl durch, wie das mit einem Söder-Rücktritt damals geworden wäre: "Eigentlich schad..."
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Beim einstündigen Demo-Umzug nach den Reden defilierten die 1500 Menschen auch vorbei an einem kleinen Grüppchen von Kernkraft-Befürwortern, die sich an der Ludwigstraße vor einem Denkmal Ludwigs I. postiert hatten, sowie an der Staatskanzlei. In der Maximilianstraße erregten sie einige Aufregung bei irritierter Nobelkundschaft sowie bei Autofahrern, die mal ein Weilchen nicht aus der Opern-Tiefgarage fahren konnten. Die Polizei hatte indes keine Mühe mit den gut gelaunten Freundinnen und Freunden der Abschaltung. Weil es für die halt wirklich ein Freudentag war.
Edgar Wimmer und Claudia Dreßel aus München, die sich einst in Bonn bei einer Demo unter dem Motto "Petting statt Pershing" kennengelernt hatten, leerten auf dem Odeonsplatz mit Laurie Dreßel ein Fläschchen Champagner. An Lauries Rucksack baumelte ein Foto, das ihn beim Kraxeln am Wackersdorfer Bauzaun zeigte. Und auch Ulla Klotz aus München-Sendling verband mit dem Abschalttag viel eigene Widerstands-Biografie - und Genugtuung. Sie hatte 1986 drei kleine Kinder und wurde aktiv gegen Kernkraft-Nutzung und für eine atomwaffenfreie Zukunft.
Bei der Demo am Samstag waren ihre drei Kinder mit ihr unterwegs, und auch drei ihrer Enkel. Denen konnte die Oma erzählen, wie sie 1987 zu 40 Tagessätzen vor Gericht verurteilt wurde "wegen Nötigung mit verwerflicher Gewalt", weil sie an einer Sitzdemo gegen Pershing-Raketen-Stationierung teilgenommen hatte. Sie zahlte nicht und ging 1992 ersatzweise für 35 Tage in Haft, ins damalige Münchner Frauengefängnis am Neudeck in der Au. Zwischenzeitlich hat sie Bürgersolaranlagen auf Schulhausdächern mit initiiert und betreibt kleinere Blockheizkraftwerke in München. Der Widerstand hat sich gelohnt, sagt sie.