Architektur:Das "beste Bauwerk" Deutschlands steht in München

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Auch das "Werk 12", entworfen von MVRDV und Nuyken/von Oefele, erhielt schon im vergangenen Jahr den Architekturpreis des Deutschen Architekturmuseums. (Foto: Catherina Hess)

Das ist allerdings eine Überraschung, die nicht alle überzeugt. Denn meistens geht ein gebauter Ausrufezeichenwitz schief.

Von Gerhard Matzig

Totgesagte leben länger. In diesem Fall kommt die Meldung über die glückliche Reanimation der Stadt München aus Frankfurt am Main. Wobei es um Architektonisches geht. Aber auch darum, dass der Autor dieser Zeilen als Architekturkritiker immer wieder den eklatanten München-Mangel an baukultureller Ambition beklagt. Das gipfelte einmal in der boshaften Bemerkung, München spiele architektonisch in der Regionalliga. Oder dort, wo der TSV Waldtrudering haust - in der Kreisliga hinter Oberpframmern. So oder so sähe man an der Isar alt aus gegen futuristische Metropolen wie Bielefeld (Besucherzentrum) oder Deggendorf (Hochhaus).

Umso nachdenklicher nimmt man die Meldung zur Kenntnis, dass der deutschlandweit beachtete Preis des Deutschen Architekturmuseums für das "beste Bauwerk des Jahres" nach München geht. Ausgezeichnet wird das "Werk 12" im Werksviertel hinter dem Ostbahnhof - gemeinsam entworfen und realisiert von MVRDV (Rotterdam) und N-V-O Nuyken von Oefele Architekten (München). Was macht man als Kritiker, wenn das beste Haus in einer Stadt stehen soll, die nach Meinung des Kritikers möglicherweise aus Weißwurstsenf vom Händlmaier, aber bestimmt nicht aus zeitgenössischer Architektur von Rang gebaut wird? Applaudiert man trotzdem zum DAM-Preis 2021 und geht nachdenklich in sich - oder aber erklärt man die Jury unter dem Vorsitz von Alexander Schwarz, David Chipperfield Architects, für einigermaßen verrückt?

Letzteres ist dankenswerterweise ja auch schon in den wie üblich streitbaren Architekturforen nachzulesen.

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Das Werksviertel ist einer der besten Orte, um die Arbeit bekannter Street-Art-Künstler zu bestaunen. Farbige Trümmer am Wegesrand zeugen von der Vergänglichkeit ihrer Kunst.

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"Schade", schreibt jemand auf der Online-Plattform Baunetz unter dem Pseudonym "Wolke", "aber bei einer so besetzten Jury konnte ja nichts Gutes gewinnen." Ein gewisser "Beobachter" meint, dass der Bau leider "keine Antwort auf gegenwärtige Fragen" liefert. Und "Bobkat" schreibt in aller Lakonie: "Wow? Oh dear ..."

Das bezieht sich auf die ungewöhnliche Fassade, die auch aus fünf Meter hohen Fertigteil-Versalien besteht. Zu lesen sind Begriffe wie aus dem Comic: "AAHHH", "OH" und eben auch "WOW". Tatsächlich stammen die Begriffe aus deutschen (!) Comics - und das Konzept dazu von Engl & Engelmann, München. Das Haus legt dem Kritiker wie allen Passanten also unmissverständlich nahe, wie man es - wow! - zu finden habe. Meistens geht ein gebauter Ausrufezeichenwitz schief.

Wenn die Jury so etwas "frech" findet, liegt es nahe, das Ganze so zu kommentieren: oh dear ... Dennoch ist der Jury für ein mutiges, überraschendes und definitiv polarisierendes Votum zu danken. Denn der Bau, es ist eine nach außen hin fast schon typische MVRDV-Hochstapelei, ist klug konzipiert als Hybrid, der auf raffinierte Weise Mischnutzungen aller Art möglich macht. Im Moment sind es Büros, Fitness, Gastronomie - aber die Flexibilität der Grundrisse lässt vieles zu. Das Haus ist ein modern ornamentierter Bau der Möglichkeiten, der am richtigen Ort lautstark ist. Es geht ja um ein Industrieareal. Außerdem ist das Haus eine Antwort auf den Mangel an stadträumlicher Flexibilität. Kurz: Der Kritiker gratuliert. Und freut sich über den verdienten Aufstieg aus der, hm, Kreisliga.

© SZ vom 01.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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