Greenpeace-Aktivist:Im Sturzflug in die Fußballarena

Lesezeit: 3 min

(Foto: Ulmer Pressebildagentur/Imago)

Der Greenpeace-Aktivist flog 2021 kurz vor Anpfiff eines Fußballspiels in das Stadion in Fröttmaning - zwei Menschen wurden dabei verletzt. Vor Gericht gab der Mann nun eine Entschuldigung ab - und ein Versprechen.

Von Susi Wimmer

"Es war ein schwerer Fehler, ich werde nie wieder solche Aktionen durchführen." Kai S. sitzt sichtlich geknickt auf der Anklagebank vor dem Münchner Amtsgericht. Er war der Pilot, der im Rahmen einer Protestaktion während der Fußball-EM im Juni 2021 mit einem motorisierten Gleitschirm in die Allianz Arena geflogen war, an einem Stahlseil hängen blieb und im Sturzflug zwei Zuschauer sowie sich selbst verletzt hatte. Amtsrichterin Verena Kikut verurteilte den 40-jährigen Greenpeace-Aktivisten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Luftverkehrs und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 7200 Euro. Mit 120 Tagessätzen zu je 60 Euro gilt der Mann nun als vorbestraft.

Das Thema der Verhandlung jedenfalls ist aktueller denn je, es geht um Erderwärmung, Klimaschutz, Aktivisten kleben sich auf den Straßen fest oder beschmieren Gemälde. Auch Kai S. sagt, der Klimawandel sei als reale Gefahr greifbar. "Wenn ich als Unfallchirurg in der Notaufnahme arbeite, sehe ich viele ältere Menschen mit Sturzverletzungen aufgrund Kreislaufkollapse." Ganz abgesehen von den Todesfällen durch die Hitze. "Das Ziel ist ehrenwert", sagt Richterin Kikut dazu, "es rechtfertigt aber nicht die Mittel."

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Konkret sei es um den EM-Sponsor VW gegangen, erklärt Kai S., der sich im Stadion mit einem Plakat "Way to zero" als Klimaschützer präsentiert habe. Diese Versprechen erfüllt der Konzern nach Ansicht von S. aber nicht. Das wollte er "medienwirksam" anprangern und von seinem Gleitschirm aus einen Ball in die Arena werfen mit der Aufschrift "Kick out Oil", sagt der Angeklagte. Er hatte ein kleines Zeitfenster geplant: Zwischen dem Ende der Nationalhymne und dem Spielanpfiff zwischen Frankreich und Deutschland sollte der mit Helium gefüllte Ballon langsam auf den Rasen schweben. Er selbst hingegen wollte mit seinem Gleitschirm außerhalb des Stadions landen. Dass die Aktion derart schiefgehen, dass er Menschen gefährden und verletzen könnte, "das hatte ich für ausgeschlossen gehalten".

Um 20.55 Uhr startete er in Dirnismaning, 1,1 Kilometer von der Arena entfernt. Zeitgleich sprach sein Mitwisser Ben S. in der Arena Polizisten an, um sie über die Aktion zu informieren - und auch, um Kai S. zu schützen. Wie später Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte, hätten die Scharfschützen Kai S. sofort im Visier gehabt. Schließlich hätte es sich auch um einen Terrorakt handeln können.

"Ich möchte zu der Zeit nicht in seiner Haut gesteckt haben"

Kai S. flog über dem Stadion eine Linkskurve, sah Schiedsrichter und Spieler am Mittelkreis und versuchte gleichzeitig, mit einem Schneider den befestigten Ballon abzutrennen. Ein "großer Workload", so würden es später die beiden Luftfahrtsachverständigen Hans und Stefan Rachl. Also: zu viel auf einmal, keine Hand mehr am Lenker. Der Schirm geriet in ständig wechselnde Schieflagen. Dass er extrem an Höhe verlor, bemerkte der Pilot nicht. Er flog geradewegs auf eines der Stahlseile zu, die über das Stadion gespannt sind.

Kai S. gab noch Gas, zog die Beine an, kam über das Seil, allerdings blieb das Motorgestell hängen. Auf Videos sieht man, wie der Schirm nach vorne kippt und der Gleitflieger kurzzeitig wie ein Stein nach unten sackt. "Ich möchte zu der Zeit nicht in seiner Haut gesteckt haben", sagt Gutachter Hans Rachl. Er bescheinigt jedoch S. noch eine gute Reaktion in der Notlage. Das Fluggerät sauste an den Zuschauerrängen vorbei, Metallteile trafen einen Tontechniker des französischen Fernsehens sowie einen ukrainischen UEFA-Dopingkontrolleur. Letzter erklärte bei der Polizei, er habe zuerst gedacht, der Flieger gehöre "zur Show". Die Männer erlitten Prellungen, einer eine Platzwunde. Anschließend kam S. auf dem Spielfeld auf, verletzte sich am Sprunggelenk.

"Er hat noch am Tag des Vorfalls versucht, mit den Geschädigten Kontakt aufzunehmen, um einen Täter-Opfer-Ausgleich anzustreben und sich zu entschuldigen", sagt sein Anwalt Marco Noli. Einer der Männer habe die Entschuldigung sowie 3500 Euro angenommen, zu dem anderen sei der Kontakt abgebrochen. Beide Greenpeace-Akteure bekamen zu Hause Besuch von der Polizei, die Geschichte ging durch alle Medien, seine Familie habe Morddrohungen erhalten, sagt Kai S.

Der Gleitschirm sei "außer Kontrolle" in das Stadion mit den 14 500 Zuschauern (coronabedingt war die Besucherzahl reduziert) gerast. "Sie haben alle abstrakt gefährdet", urteilt Richterin Verena Kikut. Die "reuige und geständige Einlassung aus dem Herzen" nehme sie ihm ab. "Aber man kann von Glück sprechen, dass nicht mehr passiert ist." Mitwisser Ben S. muss wegen Beihilfe eine Geldstrafe von 3000 Euro berappen.

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