Die Deutsche Bahn (DB) will beim Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke noch viel drastischer von den genehmigten Plänen abweichen als bisher bekannt. Zusätzlich zu den beiden eingleisigen Röhren für die Züge soll nun ein dritter Tunnel als Flucht- und Rettungsweg gegraben werden. Das bestätigte eine Sprecherin. Diese "Optimierung" habe ihr Unternehmen schon am 4. Juli der Politik in einem Fachgespräch vorgestellt. In der anschließenden Information der Öffentlichkeit war die dritte Röhre jedoch nicht zur Sprache gekommen.
Eine Verschiebung des Betriebsstarts der zweiten Stammstrecke werde es deshalb nicht geben, erklärte die DB-Sprecherin. "Das neue Flucht- und Rettungskonzept mit der dritten Röhre hat keine zusätzliche Auswirkung auf den Zeit- und Kostenrahmen." Damit widerspricht sie dem Münchner Merkur, der zuerst über die Planänderung berichtet und als neuen Betriebsstart das Jahr 2031 genannt hatte.
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Die DB musste ohnehin ein neues Rettungskonzept im Münchner Osten erarbeiten, weil der Halt am Ostbahnhof vom Orleansplatz auf die andere Seite der Gleise zur Friedensstraße verlegt werden soll. Dies war am 4. Juli tatsächlich bekannt gegeben worden. Diese neue Lage bedingt eine Änderung der unterirdischen Trasse bis zum Marienhof. Ein weiterer Dominostein, der deshalb umfiel, war der Rettungsschacht an der Kellerstraße in Haidhausen. Dieser liegt wegen der neuen Linienführung zu weit von den Gleisen entfernt, um künftig noch Sinn zu ergeben.
Für das neue Rettungskonzept hatte die DB zwei Alternativen: in Haidhausen nach einem neuen Ort für den Rettungsschacht suchen oder gleich auf einen Rettungstunnel setzen. Für die zweite Variante habe nicht nur der zu erwartende Widerstand der Bürger gesprochen, sagte die Bahn-Sprecherin, sondern auch eine Gesetzesänderung. Deutsches Recht sei an EU-Recht angeglichen worden und erleichtere nun den Bau einer dritten Röhre.
Den Betriebsstart der zweiten Stammstrecke hatte die DB erst am 4. Juli auf 2028 verschoben, allerdings zumindest öffentlich aus einem anderen Grund. Die Absichten für den Bau der neuen U-Bahnlinie U 9 unter dem Hauptbahnhof hindurch sind mittlerweile so konkret, dass dort mit den Arbeiten an der Stammstrecke bereits ein U-Bahnhof mit errichtet werden soll. Das und die Verlegung des Halts am Ostbahnhof verzögern den Bau laut DB, eine dritte Röhre nicht. Das unterirdische Graben mit den Bergbaumaschinen gehe schnell, sagte die Sprecherin. Diese fressen sich durch das Erdreich und spucken das Material hinten wieder aus. Dort nehmen es Züge auf und fahren es nach hinten aus der Röhre hinaus. Viel aufwendiger zu errichten seien die S-Bahn-Stationen in solcher Tiefe.
Die Stadt und das Land Bayern setzen darauf, dass diese Rechnung aufgeht. "Aus meiner Sicht ist keine Bauzeitverlängerung und keine Kostenerhöhung zu erwarten", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). "Da versucht wohl wer, einen Keil hineinzutreiben." Der bayerische Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU) stellt sich auch hinter die neuen Pläne: "Wir wollen für unsere Fahrgäste sowie die Anwohner bestmögliche Sicherheit auf dem neuesten Stand der Technik. Bei solch lang laufenden Großprojekten ist es üblich, die Planungen neuen Erkenntnissen und technischen Entwicklungen anzupassen."
Schwer verärgert zeigten sich die Gegner der zweiten Stammstrecke. Wieder einmal erweise sich, wie dilettantisch die Planung sei, sagte Martin Runge, Landtagsabgeordneter der Grünen. Die Pannen würden nur übertroffen vom Umgang mit der Öffentlichkeit. "Lügen, betrügen, vertuschen", das sei die Devise. Dass eine dritte Röhre nicht teurer komme und ohne Zeitverzögerung zu schaffen sei, gehöre zu den "Märchen" der Bahn und der Staatsregierung. Wenn es nach diesen beiden gegangen wäre, hätte der Tunnel schon 2010, 2018 und 2026 den Betrieb aufgenommen. Jedes Mal hätten Bahn und Freistaat Verzögerungen abgestritten bis es nicht mehr anders gegangen sei. Diese "Salami-Taktik" sei unerträglich.
Was die dritte Röhre für die Baugenehmigung bedeutet, muss sich noch zeigen. Die DB rechnet zumindest teilweise mit einem neuen Verfahren. Als erstes muss jedoch die Staatsregierung das Paket an Änderungen beschließen. Dann muss die DB die Anträge beim Eisenbahn-Bundesamt (Eba) stellen. Dort hat sie schon vorgefühlt, Auskünfte über die Art und Dauer des Verfahrens will das Eba aber erst geben, wenn Schriftliches vorliegt. Für die Münchner wird spannend sein, wie viele der Rettungsschächte und damit auch wie viele oberirdische Baustellen bei den neuen Plänen insgesamt wegfallen sollen.