Gastronomie:Die Feiermeile in der Maxvorstadt kennt kaum noch Grenzen

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Abendstimmung in der Türkenstraße: Die Maxvorstadt ist nicht nur zum Ausgehen beliebt, sondern auch als Wohnviertel. (Foto: Robert Haas)

63 Anträge auf Freischankflächen: Das beliebte Ausgehviertel ächzt unter der Freiluft-Gastronomie. Die Lokalpolitiker winken die meisten Gesuche durch, warnen aber vor Auswüchsen.

Von Ilona Gerdom

Die Abendstunden draußen zu genießen, gehört zu den kleinen Freuden im Frühjahr und Sommer. In der Maxvorstadt laden dazu so viele Restaurants und Bars ein, dass Lokalpolitikerinnen und -politiker trotz Verständnis für die gebeutelte Branche davor warnen, das Viertel drohe "eine einzige Freischankfläche" zu werden.

Gastronomisch ist in der Maxvorstadt tatsächlich viel geboten: 643 Betriebe zählt das Kreisverwaltungsreferat (KVR) aktuell. Und 548 Freischankflächen. Es dürften mehr werden: Allein im März sind beim Maxvorstädter Bezirksausschuss (BA) 63 Anträge auf Außenbereiche eingegangen. BA-Chefin Svenja Jarchow-Pongratz (Grüne) hat das Gefühl, es gebe "Straßenzüge, die sich in eine einzige Freischankfläche verwandeln". In der Tat konzentrieren sich die erbetenen Plätze an der Amalien-, Schelling- und Türkenstraße.

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Abzulesen ist auch, dass viele Gastronomen Tische und Stühle wieder in Parkbuchten aufstellen wollen. Die sogenannten Schanigärten waren als Übergangslösung in den Pandemie-Sommern gedacht: So war es möglich, trotz Abstandsregeln eine größere Anzahl an Personen zu bewirten. Das Angebot nahmen viele an: 2021 wurden in München 515 solcher Gärten und damit etwa 5300 Plätze geschaffen. Rund 4000 weitere kamen dazu, weil zum Beispiel der Gehweg vor der Wirtschaft nun über die Hausgrenze hinaus genutzt werden durfte. Etwa 22 Prozent der in der Maxvorstadt "insgesamt existierenden Flächen" seien durch die geänderten Richtlinien entstanden, so die Ordnungsbehörde. Stadtweit sei "die Lebensqualität durch mehr Aufenthaltsmöglichkeiten unter freiem Himmel" gestiegen. Darum beschloss der Stadtrat im Mai, die Regelungen unabhängig von Corona von April bis Oktober beizubehalten.

Das erste, woran die Menschen sparen, sind Reisen, Kleidung, Restaurantbesuche

In den neu erschlossenen Räumen sitzt es sich nicht nur gut. Nach wie vor sind sie wichtig für die Existenz der Betriebe. "Wir Gastronomen sind ausgeblutet", sagt Richard Weiss, für die Grünen im BA und zudem Betreiber des "Café am Josephsplatz". Wegen der pandemiebedingten finanziellen Not habe er sogar einen Teil seiner Rente auflösen müssen. Und auch jetzt, in Zeiten rasant steigender Inflation, stellt der Gastwirt erneut fest: "Es wird schwieriger." Das erste, woran die Leute nun sparten, seien Reisen, Kleidung und Restaurantbesuche. Seiner Meinung nach schlittert die Gaststättenbranche gerade in die nächste Krise. Die Sorge, dass die Maxvorstadt durch mehr Freischankflächen zur Feiermeile werden könnte, kann er daher nur bedingt nachvollziehen.

Dass es in der Maxvorstadt nächtelang laut zugeht, hatte man erst im vergangenen Sommer erlebt. Die Polizei bestätigt, es sei "klar feststellbar", dass die "Frequentierung" des Viertels gestiegen sei. Man habe dadurch "auch mehr zu tun gehabt" - sprich, es gab mehr Einsätze. Menschenansammlungen habe es gerade an Amalien-, Türken-, Schelling- und Ludwigstraße, am Geschwister-Scholl- und Odeonsplatz sowie den Pinakotheken gegeben. Dabei handelte es sich überwiegend um öffentlichen Raum, der - wie anderenorts - die Leute auch deshalb anzog, weil wegen der Corona-Maßnahmen Alternativen fehlten.

Im Gastro-Lockdown und zur Zeit der vorverlegten Sperrstunde verlagerte sich das Geschehen auf die Straße

Restaurants und Bars dürften weniger Treiber dieser Partys gewesen sein. Darauf deuten auch die Angaben des Kreisverwaltungsreferats hin. Laut Pressestelle gab es einen Anstieg der Lärmbeschwerden sowohl während des Gastro-Lockdowns als auch in der Zeit, in der Läden um 22 Uhr hätten schließen müssen. "Zu diesem Zeitpunkt verlagerte sich das Geschehen auf die Straße", so ein Sprecher. Weil die Schanigarten-Saison gerade erst anfange, sei es zu früh, um sagen zu können, wie sich die Beschwerdelage "ohne pandemiebedingte Verzerrungen" entwickle.

Es ist nicht nur die Nachtruhe, welche die Lokalpolitiker umtreibt. Sonja Hergarten (SPD) verwies darauf, dass mit der Ausweitung von Freischankflächen der öffentliche Raum kleiner werde. In der Folge werde es schwieriger, "sich ohne Konsumzwang" draußen aufzuhalten. Sie sieht darin gerade für Jugendliche ein Problem. Trotz Bedenken betonten die BA-Mitglieder in einem fraktionsübergreifenden Schreiben, sie hätten Verständnis dafür, dass Betreiber mit Hilfe der Schanigärten "verloren gegangene Umsätze kompensieren möchten". Man sehe außerdem, dass die Plätze gut ankommen.

Entsprechend stimmte der Bezirksausschuss 52 der 63 beantragten Flächen zu. Denn grundsätzlich ist man sich einig: "Das gehört zu einem lebendigen Viertel dazu." Dennoch: Die "schiere Menge" übersteige "ein verträgliches Maß". Deshalb spricht sich das Gremium für eine Bewertung bis Oktober aus. So könnte man - "wenn nötig" - die Richtlinien anpassen. Vorstellbar sei aus Sicht einiger zum Beispiel, die Gebühren zu erhöhen. Nicht alle stimmen für die Stellungnahme: Richard Weiss etwa hält das Votum für "fatal": "Mein Wunsch ist ein unterstützendes Zeichen für die Gastro, statt neuer Stöckchen, über die man springen muss."

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