SZ-Diskussionsrunde zur Fußball-EM:"Was die alles verarbeiten müssen! Das hätte ich in dem Alter nicht hingekriegt"

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Kickt und küsst nach eigenen Angaben so gut wie er singt: Herbert Grönemeyer mit DFB-Vizepräsidentin Célia Šašić. (Foto: Stephan Rumpf)

Im "Stadion der Träume" in München diskutieren Célia Šašić, Matthias Sammer und Herbert Grönemeyer über die Zukunft des Fußballs - und der Sänger hält ein Plädoyer für die angeblich so faule junge Generation.

Von Thomas Becker

Als das Team vor dem Anpfiff im "Stadion der Träume" noch mal gemeinsam den Matchplan durchgeht, hat Spielführer Albert Ostermaier einen Appell an seine Mitspieler: "Kurze Antworten! Wir müssen in zwei Stunden durch sein." Denn zwischen dem bunten Abend namens "Eröffnungsspiel" und dem Theaterstück "Roberto Baggio" ist ja noch diese Diskussionsrunde der SZ-Sportredaktion eingeplant. Und Ostermaier als künstlerischer Leiter des Kulturprogramms zur Fußball-EM ist dafür verantwortlich, dass das alles hinhaut an diesem Freitagabend im Innenhof des Gasteig, der inzwischen auch den Namen "Fat Cat" trägt.

Um nichts weniger als um die Zukunft des Fußballs soll es in der Diskussion gehen - wie um Himmels willen soll man da rechtzeitig zum Beginn des Theaterstücks fertig werden? Nun, ganz einfach: mit ein paar beherzten Grätschen und einem Ideal-Gast wie dem Ohne-Umschweife-auf-den-Punkt-Kommer Herbert Grönemeyer.

Daher gleich am Anfang mal eine Frage, respektive Bitte: Kann jemand diesen Grönemeyer noch als Experten für die EM verpflichten? Klar, der Mann hat zu tun, Konzerte geben und so. Aber vielleicht kann man ihm den Job ja schmackhaft machen, sicher nicht mit Geld, sondern eher mit dem Hinweis auf seine so unterhaltende wie Augen öffnende Wirkung auf die Volksseele.

Der ewige Bochumer war neben der ehemaligen Nationalspielerin Célia Šašić und dem ehemaligen Nationalspieler (und Europameister von 1996) Matthias Sammer nur einer der Diskutanten in der von SZ-Sportressortleiter Claudio Catuogno und seinem Kollegen Christof Kneer moderierten Runde im "Stadion der Träume", dieser neu aufgebauten Bühne im Gasteig-Innenhof. Doch er war mit Abstand der eindrücklichste Redner. So gern man sich seit Jahr und Tag über seinen doch recht speziellen Gesangsstil lustig macht, so inhaltsstark kommt Grönemeyer immer wieder daher, dabei einem gewissen Bob Dylan nicht unähnlich.

Wobei der nicht über so einen prächtigen Fußball-Background verfügt wie Grönemeyer. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte er mal behauptet, er spiele Fußball, wie er Musik mache und küsse - was zwingend die Frage aufwirft "Wie spielen Sie denn Fußball, Herr Grönemeyer?" - "Hervorragend!", ruft er wie aus der Pistole geschossen, "da bin ich auch sehr variantenreich." Und lässt offen, ob er damit die Musik, das Küssen oder beides meint.

Herbert Grönemeyer, Célia Šašić und Matthias Sammer (Mitte, von links) diskutieren mit den SZ-Redakteuren Claudio Catuogno (ganz links) und Christof Kneer (ganz rechts) über die Zukunft des Fußballs. (Foto: Stephan Rumpf)

Seit er in seinem berühmten Lied "Bochum" Doppelpass auf Gegner nass gereimt hat, können sie beim VfL nie wieder ein anderes Stadionlied spielen. Dabei hat der junge Grönemeyer gegen diesen VfL einst eine der herbsten Klatschen seiner Kickerkarriere einstecken müssen: 0:22, damals in der Kreis-Leistungsklasse. "Ich wollte Fußballer oder Gebrauchtwagenhändler werden", erzählt er, "musste aber bald einsehen, dass ich nicht gut genug bin. Ich dachte mir 'Vielleicht komme ich auch so ins Stadion.'" Yo, hat geklappt.

Ins Stadion der Träume im Fat Cat läuft er etwas unrund ein: Zeh gebrochen. "Bin in Japan drei Mal gegen das Sofa gerannt", berichtet er. Damit ist er immer noch drei Klassen besser dran als Célia Šašić, die nach einem Achillessehnenriss auf Krücken angewiesen ist. Dass Europas Fußballerin des Jahres 2015 und heutige DFB-Vizepräsidentin für Diversität und Vielfalt dennoch zum Eröffnungsspiel gehumpelt kommt: Ehrensache.

Vergisst vor lauter Fußball-Emotion auch mal den richtigen Satzbau: Matthias Sammer mit Moderator Christof Kneer. (Foto: Stephan Rumpf)

Mitgebracht hat sie außer schönen Erinnerungen an die WM 2006 in Deutschland ("Beim Viertelfinale gegen Argentinien bin ich bei jedem Tor einer wildfremden Frau in den Armen gelegen") auch ein paar hoffnungsfrohe Erwartungen an die EM: Identitätsstiftende Momente wünscht sie sich, die wichtig seien "fürs Zusammenhalten, fürs Resilient-Werden, damit wir uns als Gesellschaft neu erfinden".

Große Worte, hinter denen Matthias Sammer natürlich nicht zurückbleiben kann. Auch er muss von 2006 erzählen, als man "die Kraft des Fußballs gespürt" habe. "Aber: War sie werthaltig oder emotional?", fragt er rhetorisch, um dann zu einem seiner bedenklich mäandernden Satzgefüge mit mindestens 740 Neben-Gedanken auszuholen, die oft mit "Wir müssen wieder..." anfangen und einfach kein Ende nehmen wollen.

Mehr als eine Podiumsdiskussion: Sänger Andy Görlitz war nur einer von vielen Künstlern, die an diesem Nachmittag auf der Bühne standen. (Foto: Stephan Rumpf)
Bis in den Abend machte das FatCat-Team Programm im Gasteig-Innenhof. (Foto: Stephan Rumpf)

Auch Herbert Grönemeyer hat natürlich seine Erinnerungen an 2006: "War ein tolles Turnier. Beeindruckend, wie sich die Gesellschaft da präsentiert hat. Aber seitdem werden wir verwaltet, nicht mehr beseelt. Merkel hat begonnen, das Land zu verwalten. Das ist schade. Die Menschen hungern nach Belebung." Nun gelte es, die Politik aufzuwecken: "Klugheit und Seele täten uns gut. Sonst fängt alles an zu wackeln."

Emotional auch sein Plädoyer für die angeblich so faule junge Generation: "Die stehen heute Herausforderungen gegenüber, die kannten wir gar nicht. Was die alles verarbeiten müssen! Das hätte ich in dem Alter nicht hingekriegt." Die, die jetzt über die Jugend lästerten, gehörten zur Abteilung "Möglichst viel für mich!", daher seine Forderung: "Wir müssen anfangen, uns füreinander Gedanken zu machen." Wann wird noch mal der nächste Bundespräsident gewählt? Aber vielleicht fängt er erst mal eine Nummer kleiner an, als EM-Experte. Bitte!

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