Anekdoten zum 90. Geburtstag:Mario Adorf, der Schlawiner mit dem Jeld

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Mario Adorf als Generaldirektor Heinrich Heini Haffenloher. (Foto: Mary Evans/Imago)

Kleberfabrikant, Maikäfer, Promiwirt: Mario Adorf hat in München gelebt, hat hier die Schauspielerei gelernt - und sich mit einigen Rollen in der Stadt verewigt.

Von Philipp Crone und Christian Mayer

Mario Adorf hat nie gesagt, wo seine Heimat ist. Ein Mann, der in Zürich zur Welt kam, in Mayen in der Eifel aufwuchs, in Mainz studierte, in München zur Schauspielschule ging und später lange in Rom lebte, ehe er seine drei derzeitigen Domizile Schwabing, Paris und St. Tropez etablierte, der ist wohl einfach in Europa zu Hause. Gerade mit dem Beruf, bei dem man oft wochenlang auf der ganzen Welt unterwegs ist. Die meisten Spuren hat er aber vielleicht in München hinterlassen, wo er nicht nur an die Otto-Falckenberg-Schule ging und an den Kammerspielen war, sondern vor allem auch wegen einiger seiner späteren Film- Paraderollen.

Filmball

Der Scheitel sitzt, schon beim Filmball im Jahr 1977 im Gespräch mit Hannelore Elsner. Zu der Zeit war Mario Adorf längst europaweit bekannt. (Foto: Istvan Bajzat/dpa)

Ein Besuch von Mario Adorf auf dem Filmball bedeutet, dass dieses schrille Ereignis deutlich an Würde gewinnt. Adorf, der im wie angeklebt sitzenden Smoking mit seiner Frau durch den Ballsaal flaniert, das ist die Größe, die römische Grandezza, die sich das Publikum als Kulisse für eine solche Feier wünscht. Erst durch Figuren wie Adorf, Hannelore Elsner oder Senta Berger, die nicht nur Erfolg, sondern auch eine dem Abend angemessene Strenge verkörpern, wird dieser Ball so besonders. Dabei ist es meistens so, dass der eher kleine Adorf inmitten der lauten und glitzernden Gäste beinahe untergeht. Wie er da ganz höflich und geduldig zunächst selbst die einfältigste Modefrage der Journalisten beantwortet, ganz kurz und höchstens mit einer missbilligend gezückten Augenbraue. Doch das ist nur die eine Seite. Adorf kann auch anders. Allerdings nicht, wenn er seine Frau Monique im Arm hat. In diesem Januar ging Adorf am späteren Abend durch die Rauchschwaden und erblickte Heiner Lauterbach. Die beiden haben zum Beispiel 1996 in "Rossini" zusammen gespielt. Lauterbach war gerade in eine Unterhaltung vertieft, woraufhin der dienstälteste Darsteller des Abends sich die Zeigefinger in den Mund schob und pfiff, dass sich einige erschrocken umdrehten. Auch Lauterbach zuckte zusammen, und haute Adorf dann zum Ausgleich ebenfalls weithin hörbar beim Umarmen auf den Rücken.

Otto-Falckenberg-Schule

Zufall sei es gewesen, hat Adorf immer wieder gesagt. Er sei 1953 auf Wohnungssuche durch München gelaufen und auf dem Weg zufällig an der Schule vorbeigekommen. Und weil das zu wenige Zufälle für einen Einstieg in eine solche Karriere sind, war die Schule auch noch geschlossen. Der Pförtner aber habe ihm noch Bewerbungsunterlagen geben können, die er dann gleich hingeschickt habe. Er wurde zur Aufnahmeprüfung zugelassen und wollte eine Szene aus "Wallensteins Tod" von Friedrich Schiller vorspielen, den Max Piccolomini, der sich in die Schlacht stürzt. Adorf kam also auf die Bühne gelaufen und war schon nach drei Worten wieder unten. Er hatte sich verschätzt und war knallhart auf dem Parkettboden aufgeschlagen, woraufhin er ein kurzes "Scheiße" vernehmen ließ, wie er in einem seiner Bücher schreibt. Genommen wurde er trotzdem.

Draufgänger

1954 begann dann in München die Karriere des Kinostars Mario Adorf: "08/15" hieß der Film über deutsche Soldaten, die für den Zweiten Weltkrieg gedrillt werden - ein eher harmloser Streifen, der die Todesmaschinerie, die Kriegsverbrechen der Wehrmacht weitgehend ausklammert. Adorf spielte den Gefreiten Wagner, eine Nebenrolle - aber weil so viele Menschen die von der legendären Münchner Divina-Film-Chefin Ilse Kubaschewski produzierten drei Teile der Geschichte sehen wollten, war Adorf gleich gut im Geschäft. Die Leute mochten das Draufgängertum, das er verkörperte, auch das Unbekümmerte, zuweilen Grobe, das der Feingeist Adorf verlässlich auf die Leinwand brachte.

Mit Schlöndorffs Verfilmung der "Blechtrommel" gelangte auch der Hauptdarsteller Adorf zu Weltruhm. Aber mindestens genauso wichtig für sein Gesamtwerk ist der Geniestreich des Münchner Regisseurs Rainer Werner Fassbinder: In "Lola" spielt Adorf den korrupten Baulöwen Schuckert, der in einer bayerischen Kleinstadt der Wirtschaftswunderzeit wie ein König herrscht - selbstverliebt und frei von Skrupeln. Dieser Mann glaubt, alles verdient zu haben, natürlich auch die schöne Lola, die Zierde des örtlichen Bordells, in dem alles Geschäftliche besprochen wird. Wie hatte doch der Lehrer der Münchner Falckenbergschule gesagt, als er sich für die Aufnahme des jungen Adorf aussprach? "Er hat zwei Dinge: Kraft und Naivität." Das spürt man in "Lola" bei jedem Auftritt. Fassbinder wusste schon, was er an Adorf hatte.

Haffenloher

Heinrich Haffenloher hat natürlich den Satz gesagt, der vielleicht am allerengsten mit Mario Adorf verbunden ist, dass er den Baby Schimmerlos in Helmut Dietls "Kir Royal"-Serie mit seinem "Jeld" zuscheißen würde. Aber eigentlich ist dieser Klebstofffabrikant, den Adorf gibt, noch beeindruckender, als er sich nach einem deprimierenden Abend im Frustsuff mehrfach durch die Drehtür seines Hotels kreiselt. Drei Runden dreht Adorf und schafft es, bei aller Lächerlichkeit mit Mantel und Schirm, dabei auch noch zielstrebig auszusehen. Es ist dann auch der Moment, in dem Haffenloher seine Taktik ändert, statt sich einzuschleimen geht er über zur klebstoffharten Gangart. Adorf hatte auf einem Filmball die reale Person zur späteren Figur kennengelernt, einen Herrn Hemmelrath, Lackfabrikant aus Aschaffenburg, der ihn bat, ob Adorf ihm nicht Nastassja Kinski vorstellen könne. Wobei Adorf, abgesehen von gelegentlichen Ballbesuchen, die Münchner Gesellschaft "nur aus der Zeitung kannte", wie er mal in einem Interview sagte. Die feinen Anzüge von Rudolph Moshammer, die er für seine Rolle trug, wollte er hinterher auch nicht zum halben Preis von 2000 Mark behalten. Er hatte sie seiner Mutter gezeigt, einer Schneiderin, und die fand die Verarbeitung miserabel.

Rossini

40 Jahre hat Mario Adorf in Rom gelebt, dort gedreht und in seinen mehr als 200 Filmen diverse Italiener, meist Fieslinge, verkörpert. In Dietls "Rossini" spielt er ebendiesen und damit den exzentrischen Gastgeber für die noch viel wilderen Charaktere der Münchner Filmszene. Eine Figur, auf die er zum einen irre stolz war, der römische Signore, sich aber von den Filmfuzzis herumkommandieren lassen musste. Traurig und trotzig, mal stolz, mal voller Verachtung auf sein Werk, dem angesagtesten Lokal der Stadt. Sogar tief betrübt, mit gefärbten Haaren und geschminkt, war er noch eine beeindruckende Erscheinung.

Dietl

Als er mit Helmut Dietl 1986 "Kir Royal" drehte, entstanden Sätze, die heute zum allgemeinen Münchner Wortschatz gehören. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Mario Adorf ist nicht nur Schauspieler, der das in Szene setzt, was ihm andere ins Drehbuch schreiben; er ist auch ein begabter Erzähler, mit einer eigenen, unverwechselbaren Stimme. Man kann das in seinen Kurzgeschichten und autobiografischen Erzählungen wie "Himmel und Erde" nachlesen, melancholisch-heitere Betrachtungen aus seinem langen Leben als Sohn, Liebhaber, Ehemann, Schauspieler und Europäer. Mit München, wo er zeitweise beinahe zu Hause war, verbindet ihn aus künstlerischer Sicht vor allem Helmut Dietl, der ihm zwei seiner wichtigsten Rollen auf den Leib schrieb: Nach dem Generaldirektor Haffenloher in "Kir Royal" durfte Adorf in "Rossini" auch noch den verliebten italienischen Szenewirt spielen, der seiner Angebeteten Veronica Ferres auf so hoffnungslos-tollpatschige Art verfällt, dass man als Zuschauer halb peinlich, halb komisch berührt ist. Nie war Adorf großkotziger und verletzlicher zugleich, selten war er präziser als unter dem strengen Regie-Regiment des bis zur Schmerzgrenze drehbuchtreuen Helmut Dietl; vielleicht war er auch nie besser. Sich durchschlawinern mit dem ihm eigentümlichen Raubein- und Hallodri-Charme, das war bei Dietl nicht drin. Und Adorf, der über feine Antennen und viel Selbstironie verfügt, weiß das. Deshalb war er enttäuscht, dass Dietl nach "Rossini" keine weitere Zusammenarbeit mit ihm mehr anstrebte und in "Schtonk" keine Rolle für ihn hatte. Auch große Schauspieler spüren diesen Frust, wenn sie wissen, dass ihnen gerade etwas entgeht - die Chance, noch einmal zu zeigen, was in ihnen steckt. Insofern ist München für Mario Adorf so etwas wie eine unerfüllte Liebe. Er wird hier nach wie vor verehrt und hofiert, dabei will er doch nur spielen. Große Rollen, versteht sich.

Everding

Der Weg zur Schauspielerei mag Zufall gewesen sein, den Beruf hat Adorf dann aber sehr ehrgeizig und strategisch verfolgt. So schaute er schon 1953 bei den Kammerspielproben heimlich zu. Und ab und zu wurden für kleinere Rollen Schauspieler gebraucht. Oft wurde der damalige Regie-Assistent August Everding dafür losgeschickt. Adorf bekam das in seinem Versteck mit und traf Everding dann zufällig auf dem Gang. Er bekam die Rollen, die beiden wurden Freunde. Und bei Everdings erster Inszenierung, "Peterchens Mondfahrt", spielte Adorf einen Maikäfer, der immer wieder nach hinten umfallen sollte. Bei der Premiere fiel er dabei auf einen Stuhl. Die Kopfplatzwunde wurde mit acht Stichen genäht, dann spielte Adorf weiter.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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