90. Geburtstag von Mario Adorf:Geliebter Schurke

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Bis heute schwärmt Mario Adorf von der Dolce-Vita-Welt, die es im Rom der Sechziger und Siebziger wirklich gab. (Foto: Andreas Arnold/dpa)

Mario Adorf gab in Dutzenden Filmen Banditen, Mafiosi und Rebellen - und verbarg trotz seiner Fernsehberühmtheit doch nie den Theaterkünstler.

Von Willi Winkler

Mario Adorf, vielleicht sollte man das den Jüngeren erklären, war nicht immer der soignierte Herr mit weißem Haar, sondern ziemlich lang ein ausgemachtes Schwein. In "Winnetou 1. Teil" (1964) spielte er den Banditen Santer, der die schönste Frau der Welt erschießt: Marie Versini, also Winnetous Schwester Nscho-tschi. Über ihrer Leiche, ganz großes Kino, verloben sich Winnetou und Old Shatterhand. Aber das Kino ist gut und wahr und schön: Santer findet seine gerechte Strafe, fällt, nachdem er sich erst noch mit einer Hand an einem kroatischen Karstfelsen klammern konnte, in die aufgestellten Speere der Apachen, denen er ihren Goldschatz abjagen wollte. Wie wir ihn hassten, den Meuchelmörder!

Das war Mario Adorf nämlich, ein irgendwie italienischer Schurke, der gleichzeitig mit den ersten Gastarbeitern ins Land kam, schnurrbärtig und verschlagen. So einer tut nix und nimmt uns dafür die Frauen weg, man kennt die Brüder doch. Sein Vater war allerdings Sizilianer, aber der Sohn wuchs wie ein guter Deutscher in der Eifel auf, begann seine Laufbahn ganz klassisch an der Otto-Falckenberg-Schule, war zusammen mit Heinz Rühmann und Horst Tappert Ensemble-Mitglied der Münchner Kammerspiele, bettelte beim Intendanten Hans Schweikart um ein paar Mark mehr Gage oder wenigstens bessere Rollen, verdiente sich nebenher Geld in belanglosen Filmen, bis ihn 1957 der Hollywood-Rückkehrer Robert Siodmak als Massenmörder Bruno in "Nachts, wenn der Teufel kam" besetzte, und sie zusammen den Bösen Adorf kreierten.

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Es war ein Film noir, nachtschwarzer Expressionismus, und der Teufel Adorf darin das Schwärzeste, was sich das Nachkriegskino leistete. Es hagelte Preise für den Film und für ihn, er war ein gemachter Mann und festgelegt mit eisernen Banden. Es half ihm nichts, dass er sich für seinen nächsten Auftritt eine positive Rolle ausbedungen hatte, er war jetzt der Böse, und er spielte ihn dutzendweis, spielte Mafiosi, Banditen, Rebellen, spielte in Mexiko und Russland, und wurde wirklich zum besten Italiener, den die Cinecittà hervorbrachte.

Adorf erarbeitete sich seine Rollen intellektuell hart und spielte gleichzeitig mit ganzem Körpereinsatz

Bis heute schwärmt Adorf von der Dolce-Vita-Welt, die es im Rom der Sechziger und Siebziger wirklich gab, von den nächtlichen Autojagden auf der Via Appia, den endlosen Partys an der Spanischen Treppe, den Frauen, die aus aller Welt kamen, um mitzumachen bei diesem Lotterleben. Adorf verkam darin nicht, er wollte nicht nur böse sein, sondern als der Schauspieler erkannt werden, der sich seine Rollen intellektuell hart erarbeitete und gleichzeitig mit ganzem Körpereinsatz spielte. So wurde er, was keiner mehr weiß, förderndes Mitglied der Laienspielerschar Neuer Deutscher Film. Adorf trat bei Werner Herzog, Reinhard Hauff und Edgar Reitz auf, war der reiche Onkel aus Amerika in Straub-Huillets Kafka-Verfilmung "Klassenverhältnisse", und Roland Klick holte ihn für seinen Western "Deadlock". An Fassbinders Regie-Stil wäre er fast verzweifelt, dafür schenkte er dem deutschen Film eines seiner wenigen Wunderwerke, "Bomber & Paganini" von Nikos Perakis.

Das Publikum bekam er im Fernsehen, wo er mit jedem Jahr, mit dem er ins Wedel'sche Serientheater und ins Charakterfach hineinwuchs, soignierter wurde. Er wandelte sich vom Großen Bellheim zum noch größeren Mario Adorf, wurde der bestbezahlte, meistbepreiste Schauspieler, der in seiner ganzen bildschirmfüllenden Vitalität doch nie den Theaterkünstler verbarg. Bei den Nibelungenfestspielen ging er 2002 noch mal auf die Bühne, gab, wen sonst, den Mörder Hagen von Tronje.

Der Herzensitaliener Helmut Dietl hat ihn vor einer Dauerrolle bewahrt, als er ihn in "Rossini" sein blutendes Herz mitsamt brennender Krawatte vorführen ließ. Doch hat ihm keiner einen besseren Auftritt beschert als Volker Schlöndorff, in dessen Verfilmung der Grass'schen "Blechtrommel" er Oskar Matzeraths Vater war. Eine undankbare Rolle und deshalb wie geschaffen für diesen Könner: der Nazi als armer Tropf, der am Ende stirbt, nachdem er sich an seinem Parteiabzeichen verschluckt hat. Die Szene mit ihrem ganzen grausamen Witz ist immer noch die beste Metapher für Nachkriegsdeutschland.

Von Rom ist Mario Adorf schon lange nach Saint-Tropez umgezogen, das er "unser Dörfchen" nennt. Auf die Bitte, doch schnell den Kleberfabrikanten Haffenloher aus "Kir Royal" sprechen zu lassen, wie er Baby Schimmerlos droht, ihn mit Geld zuzuscheißen, sagt er Hamlets Monolog vierter Aufzug, vierte Szene auf, ganz große Pathos-Schule: "Wie jeder Anlass mich verklagt und spornt/Die träge Rache an! Was ist der Mensch,/Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut/Nur Schlaf und Essen sind? Ein Vieh, nichts weiter."

Heute wird der Weltstar Mario Adorf, der deutscher und italienischer gar nicht sein könnte, bereits unglaubliche neunzig. Wir gratulieren.

© SZ vom 08.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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