Hilfe für Nicht-Versicherte:"Es geht nie nur um die körperliche Gesundheit"

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Neue Leiterin der Malteser Medizin München für Menschen ohne Krankenversicherung ist die Ethnologin Veronika Majaura. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Malteser Medizin München bietet kostenlose Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung. Die Patientenzahl erreichte zuletzt ein Rekordhoch. Doch es fehlt an fachärztlicher Unterstützung.

Von Sven Loerzer

Der Flur ist dunkel, die Räume sind eher klein, die Einrichtung kann mit den durchgestylten Praxisräumen, wie sie gerade in München häufig zu finden sind, nicht mithalten. An den Wänden sind auch keine Kunstwerke ins Licht gesetzt. Im Erdgeschoss der Streitfeldstraße 1 in Berg am Laim geht es ja auch nicht darum, betuchte Privatpatienten mit noblem Ambiente zu beeindrucken und für die eine oder andere individuelle Gesundheitsleistung zu begeistern, die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bezahlt wird. Die Menschen, die zur Malteser Medizin München (MMM) kommen, suchen ärztliche Hilfe, weil sie Schmerzen haben und krank sind, aber weder eine Krankenversicherung haben, noch die Behandlung aus eigener Tasche bezahlen können.

So nüchtern das Erscheinungsbild auch anmutet, so warmherzig fällt der Empfang durch die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team aus. Da packt die neue MMM-Leiterin Veronika Majaura gleich selbst mit an, wenn die Schublade klemmt, in der das Blutdruckmessgerät liegt. Die 29-jährige Ethnologin hat schon als Werkstudentin im Flüchtlingsbereich gearbeitet, danach leitete sie Benefit, ein Beratungsprojekt für geflüchtete Frauen des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). "Wir sind in Gemeinschaftsunterkünfte gegangen, haben dort Freizeitangebote gemacht und über das Schulsystem und die Gesundheitsversorgung aufgeklärt." Ende 2020 sei die Finanzierung für das Projekt ausgelaufen.

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Nach weiteren Stationen in der Geflüchtetenberatung kam Majaura Anfang des Jahres zur MMM, wo sie inzwischen die Leitung des Teams übernommen hat. Berufsbegleitend ist sie dabei, ihren Master im Sozialmanagement abzuschließen. In ihrem kleinen Büro sind die Wände noch kahl. Aus dem Raum gegenüber ist das Gurgeln des Absauggerätes zu hören, dort behandeln Zahnärzte des Hilfswerks Zahnmedizin Bayern kostenlos Patienten, die nicht versichert sind. Im vergangenen Jahr waren es 475 Zahnbehandlungen. Nur ein paar Meter weiter geht es ins Sprechzimmer der Ärzte. An den beiden Sprechtagen, Dienstagvormittag und Donnerstagnachmittag, braucht es keine Terminvereinbarung. "Wir erlauben uns Flexibilität", sagt Majaura, zumal das Zeitverständnis nicht überall westeuropäisch geprägt sei.

Im vergangenen Jahr verzeichnete die Malteser Medizin München insgesamt 1100 Behandlungen (2019: 900), ein neuer Rekord. Noch nie zuvor konnte so vielen Menschen ohne Versicherungsschutz medizinisch geholfen werden, sagt Veronika Majaura. 528 neue Patientinnen und Patienten kamen 2022 in die Sprechstunde. Wer will, kann anonym bleiben. Beim Ersttermin wird eine kurze Sozialanamnese erstellt. "Wir wollen schauen, ob jemand wieder in die Krankenversicherung zu bekommen ist", sagt Majaura. "Wir wollen nicht nur Symptome behandeln. Es geht nie nur um die körperliche Gesundheit, denn wir wissen, dass die Menschen meistens noch viele andere Probleme mit sich bringen." Um diese kümmern sich dann die Sozial- und die Migrationsberatung.

Die Hilfe für Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht krankenversichert sind und eine Behandlung aus eigener Tasche nicht bezahlen können, entstand 2006 mit städtischer Förderung unter dem Namen Malteser Migranten Medizin. Inzwischen heißt sie Malteser Medizin München. Fast jeder sechste Behandelte ohne Krankenversicherung hat einen deutschen Pass.

Häufig sind es Selbständige, die, etwa wegen einer Insolvenz, ihre Beiträge zur privaten Krankenversicherung nicht mehr zahlen können, was dazu führt, dass die Kassenleistungen ruhen. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der Clearingstelle Gesundheit von Condrobs, um Menschen wieder in die Krankenversicherung zu bringen, was jedoch von vielen Voraussetzungen abhängig ist. "Es klappt immer wieder", sagt Majaura. Aber trotz Versicherungspflicht sei die Zahl der deutschen Nichtversicherten stark gewachsen.

Häufig sei die MMM auch gefragt, um Lücken zu überbrücken. So etwa vergangenes Jahr, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine kamen, bis sie registriert waren und die Sozialleistungen anliefen. Ähnlich ist es bei den neu angekommenen afghanischen Ortskräften, die oft lange auf ihre Krankenversicherungskarte warten mussten. Nur knapp 16 Prozent der behandelten Patienten haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland.

Im ärztlichen Sprechzimmer untersucht der Arzt Eberhard Köhl ehrenamtlich die Patienten. (Foto: Stephan Rumpf)
Im Wartezimmer kümmert sich Krankenschwester Cordula Zickgraf ehrenamtlich um Patientinnen. (Foto: Stephan Rumpf)

"Wir bieten medizinische Grundversorgung an", sagt der Arzt Eberhard Köhl, einer von rund 50 ehrenamtlichen Kräften verschiedener Professionen, die sich bei der MMM engagieren. Für Menschen ohne Krankenversicherung, "egal, woher, welcher Religion, welcher Hautfarbe und welchen Geschlechts, hier wird der Mensch behandelt, wenn er krank ist". Köhl, der 30 Jahre lang im Landkreis Ebersberg eine Arztpraxis geführt hat, kam über die Freiwilligenmesse vor vier Jahren zur MMM, um etwas Gutes zu tun. "Man kann helfen, das ist eine erfüllende Tätigkeit."

Seitdem hält er nun ehrenamtlich Sprechstunde bei der Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung. Zusammen mit der ebenfalls ehrenamtlich arbeitenden Krankenschwester Cordula Zickgraf, 69, bildet der 77-Jährige ein eingespieltes Team. Die Rentnerin ist seit zwei Jahren dabei, ihr sei es wichtig, eine Einrichtung zu unterstützen, die gute Arbeit macht. Häufig kommen Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen, aber auch wegen Bluthochdruck und Diabetes, Verletzungen und Verstauchungen, Erkältungskrankheiten und Fieber.

Köhl und Zickgraf sind sich einig, dass ihre Patienten dankbarer seien, als sonst üblich in einer Praxis. Einen Riesenunterschied sieht Köhl bei den Behandlungsmöglichkeiten. Man verfüge zwar über EKG und Ultraschall, habe aber keinen Fachärztebereich, abgesehen von gynäkologischen und pädiatrischen Sprechstunden. Leider seien nur wenige Fachärzte bereit, mal einen MMM-Patienten kostenlos einzuschieben, bedauert Cordula Zickgraf. Auch die Einweisung in ein Krankenhaus sei nicht so einfach, sagt Köhl. Denn Kliniken nehmen Patienten, bei denen die Finanzierung der Kosten nicht geklärt ist, ungern auf, obwohl sie im Notfall dazu verpflichtet sind.

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