Geflüchtete:Arbeit, Wohnung, Sprache - und Heimweh

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Geflüchtete aus der Ukraine sind schon eingezogen, aber für den Kindergarten reicht der Brandschutz in der ehemaligen Pension Elisabeth nicht aus. Bürgermeister Hermann Nafziger hofft aber, dass die Probleme bis Ende März gelöst sind. (Foto: Catherina Hess)

Auf Einladung der VHS gehen ehrenamtliche und professionelle Helfer der Frage nach, wie es Geflüchteten im Würmtal geht. Dabei zeigen sich große Unterschiede bei den einzelnen Gruppen. Es gibt aber auch Themen, die alle bewegen.

Von Rainer Rutz, Planegg

360 Geflüchtete sind aktuell in den drei Würmtal-Gemeinden Gräfelfing, Planegg und Neuried in Unterkünften untergebracht. Wie es ihnen geht, wollten die Würmtal-Volkshochschule (VHS) und das Sozialnetz Würmtal-Insel wissen und luden Fachleute, aber auch Flüchtlinge zu einer öffentlichen Debatte ins VHS-Zentrum in Planegg Marktplatz ein. "Geflohen und angekommen?", lautete der Titel der Veranstaltung, und um es gleich vorweg zu nehmen: Die Frage konnte nicht pauschal beantwortet werden, sie war einfach zu komplex. Ob Flüchtlinge "angekommen" sind, hängt von den individuellen Schicksalen, den Erwartungen und dem Erlebten ab.

Rund hundert Menschen drängten sich im Saal und bekamen in drei Stunden eine kaum überschaubare Fülle von Informationen geboten. Ehrenamtliche und professionelle Helfer tauschten Erfahrungen aus, die wenigen Flüchtlinge, die gekommen waren, hielten sich weitestgehend zurück. VHS-Leiterin Julika Bake hatte im Sommer eine Umfrage unter Geflüchteten gestartet: 68 Fragebögen kamen zurück und wurden ausgewertet. Ein paar Zahlen: 46 Prozent der Befragten waren zwischen 21 und 35 Jahre alt, 28 Prozent von ihnen waren mit einem Partner geflüchtet, 38 Prozent haben Kinder bei sich. 57 Prozent von ihnen leben, zum Teil seit Jahren, in Containern und nur 22 Prozent gaben an, aktiv Deutsch zu lernen, weitere 22 Prozent glauben, dass ihre Sprachkenntnisse ausreichen. 69 Prozent der Befragten arbeiten in irgendeinem Job - meist stundenweise. Die finanzielle Ausstattung zum Leben reicht nur 14 Prozent aus, 16 Prozent klagen über Geldmangel, der Rest wurstelt sich irgendwie durch. Und: Die Rathäuser ihrer Gastgemeinden kennen nur elf Prozent.

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Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat, Thomas Zimmermann, Integrationslotse des Landratsamts München, und seine Kollegin Katharina Trägler aus Starnberg, Anna Tangerding vom Sozialnetz Würmtal und Uli Essig vom Helferkreis Asyl waren sich einig, dass drei Schlagwörter den Alltag der meisten Geflüchteten prägen: Arbeit, Wohnung, Sprache. Uli Essig fügte noch ein viertes hinzu: Heimweh. Er sagt: "Das wird häufig vergessen." Vor allem Afrikaner sehnten sich nach "der Familienbande und der Großfamilie, aus der sie rausgerissen wurden - denen geht es richtig schlecht." "Integration", findet der frühere Planegger Gemeinderat, sei "ein großes Wort".

Es sind sehr häufig bürokratische Bestimmungen und für Flüchtlinge und ihre Helfer kaum überwindbare Hürden, die dem kleinen Glück im Alltag entgegenstehen. Das beginnt schon bei den Definitionen: Wer ist ein Flüchtling, wer ist Asylsuchender, wer hat Chancen auf Duldung, wer darf arbeiten. Drohend, meinte eine Zuhörerin, stünden diese Themen im Raum, noch bevor die Frage aller Fragen - die der Unterbringung - gelöst wurde, meist nur vorläufig.

Uli Essig hat die Würmtal-Gemeinden analysiert: In Gräfelfing und Planegg sei die Lage "derzeit noch entspannter, aber eine Entwicklung wie in Krailling oder Gauting mit immer dichterer Belegung" sei absehbar. Die Zahl der Ehrenamtlichen werde "immer weniger": Deshalb sind Kümmerer der Gemeinden - wie in Planegg die von der Gemeinde angestellte Ukrainerin Anna Lahodyuk - "enorm wichtig und unverzichtbar. Ohne die Kümmerer gäbe es heute schon riesige Probleme in der Betreuung der Flüchtlinge", sagt Essig. Es gibt im Würmtal erfolgreiche Lösungen: In Gräfelfing etwa versorgt Marion Bredl mit Hilfe der Gemeinde "ganz unkonventionell", wie sie sagt, ukrainische Flüchtlinge in einem ehemaligen Hotel. Das Haus, sagt Bredl, werde "sehr geschätzt von den Flüchtlingen", es gebe eine Art Selbstverwaltung: "Heute zum Beispiel haben wir alle geputzt." Ihr Fazit nach vielen Monaten: "Es braucht halt beherzte Menschen."

Heftige Kritik wurde an der Politik geübt. Die Ergebnisse des sogenannten Integrationsgipfels in Berlin lehnte nicht nur Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat ab. Sie seien "inhuman" und es fehle "eine europäische Strategie", denn der Flüchtlingsstrom werde "nicht aufhören", sagte Uli Essig. Es fehle an Geld und durch politische Beschlüsse und die Weltlage werde "die Wahrnehmung auf Flüchtlinge immer schwieriger".

"Es macht einen Unterschied, auf gepackten Koffern zu sitzen oder eine Zukunft zu planen"

In der Frage, wie die Geflüchteten ihre unmittelbare Zukunft sehen, war man sich nicht so einig. Während die Fachleute eher die Beobachtung gemacht haben, "dass viele wieder nachhause möchten", hat man bei den Helferkreisen einen anderen Blickwinkel ausgemacht: "Sehr viele wollen bleiben", sagte eine Zuhörerin, und: "Es macht einen Unterschied, auf gepackten Koffern zu sitzen oder eine Zukunft zu planen." Und auch hier gibt es große Unterschiede zwischen Ukrainern und anderen Flüchtlingen, etwa aus Syrien, Afrika oder Afghanistan: Während das Aufenthaltsrecht der Ukrainer gerade um ein weiteres Jahr pauschal verlängert wurde, müssen sich die andern Flüchtlinge ihre Anerkennung in jedem Einzelfall schwer erkämpfen. Manche leben schon seit neun Jahren im Würmtal, sagt Essig, ohne wirkliche Perspektive.

Doch es gab auch einen kleinen, fast gemeinsamen Nenner: Laut Umfrage der VHS fühlen sich 74 Prozent der Befragten den Umständen entsprechend gerade im Würmtal wohl und können sich ein künftiges Leben hier vorstellen.

In einer früheren Fassung war Thomas Zimmermann vom Landratsamt München hinsichtlich Verfahren nach dem Ausländerrecht falsch zitiert worden. Wir haben das Zitat daher nachträglich gelöscht.

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