Kreis und quer:Staudumm sind immer die anderen

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Wie wäre es wohl, wenn alle vom Auto auf das Rad oder den Bus umsteigen würden? (Foto: Niels P. Jørgensen)

Allmählich kommt die Verkehrswende auch für Radfahrer in die Gänge. Die Mobilität des modernen Menschen hat freilich weiter ihre Tücken.

Kolumne von Udo Watter, Landkreis München

Es sind aufregende Tage für die Pedaleure in der Welt und in Oberbayern. Zum einen beginnt diesen Samstag die Tour de France, zum anderen sind die Zeiten des Irrealis ("Hätte, hätte Fahrradkette") im Landkreis München passé: Bei Garching haben diese Woche die Bauarbeiten für den ersten Abschnitt des Radschnellwegs von München zum TU-Campus begonnen. Blaise Pascal, ein Philosophe de France, hat zwar mal gesagt: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen", aber die Mobilität ist nun mal ein Signum der Gegenwart. Je schneller und barrierefreier er ans Ziel gelangt, desto glücklicher ist der Homo movens. Er hat Zeit gespart, die er wieder anderweitig investieren kann.

Wer freilich derzeit am anderen Ende des Schnellwegs - im Dunstkreis des ersten Bauabschnitts auf Stadtgebiet nördlich des Stachus - unterwegs ist, fragt sich, ob die anderen Verkehrsteilnehmer nicht alle ein Rad abhaben. Erstaunlich nicht nur, wie viel Bewegung respektive urbane Verstopfung dort herrscht, sondern auch welch ästhetische Zumutungen unterwegs sind: von automobilen Fettklößen mit Protzfront bis zu E-Bikes, bei denen jeder Design-Anspruch zugunsten von Pragmatismus aufgegeben wurde. Und dann noch die Fußgänger, die im Weg rumstehen, wenn man sich mal das Recht herausnimmt, aufs Trottoir auszuweichen, um dem Stau oder der Baustelle auszuweichen. Nicht zu vergessen die Autofahrer, die hupen, wenn man qua Gewohnheitsrecht eine rote Ampel passiert. Die anderen sind doch staudumm, nicht das radfahrende Ich.

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Ja, wie wird das weitergehen im Raum München mit seinen täglich wogenden und jährlich zunehmenden Verkehrsschüben? Wenn nur die Hälfte der allein im Auto sitzenden Fahrer umsteigen und statt dessen S-, U-Bahn oder Bus nutzen würden - raus und rein, kreis und quer - was wäre gewonnen? Würde man dann noch jemals einen Sitzplatz (oder Stehplatz) finden? Der Aufenthaltsqualität im ÖPNV wäre so eine Entwicklung womöglich abträglich.

Auch die Überbevölkerung auf den Radwegen wäre bei massiven Umsteigebewegungen von Auto auf Sattel kein Spaß, wobei das Pedalieren im Landkreis im Vergleich zur Stadt generell entspannter ist. Das Nerv-Potenzial entfaltet sich dort eher in den Rushhours der Freizeit, wenn Rennradkonvois durch den Perlacher Forst zur Kugleralm rasen oder Mountainbiker im Isartal rumbrettern. L'enfer - c'est les autres: die Hölle, das sind die anderen, erklärte ein anderer Philosophe de France (Sartre), und das empfindet der Mensch besonders auf oder in einem Vehikel. Mit der Aktion "Critical Mass", zu der sich gerade in Garching Aktivisten in einem radelnden Pulk zusammengeschlossen haben, wollen diese Aufmerksamkeit für ihre Forderung erregen, dem Rad mehr und sicheren Platz im Verkehr zu gewähren. Wer sein Zimmer verlässt, will ja nicht gleich auf der engen Ortsdurchfahrt von seinem Rad gefahren werden.

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