Verkehr:Wie das Münchner Umland gegen zu viele Autos kämpft

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Mehr Menschen bedeutet mehr Autos: Auch in Umlandgemeinden wie Brunnthal sind Parkplätze rar. (Foto: Claus Schunk)

In einigen Gemeinden geht der Trend hin zum Drittauto, beobachtet man in einigen Rathäusern. Sie reagieren mit Verboten und planen sogar ganze autofreie Neubauviertel.

Von Bernhard Lohr

Nicht nur die Ein- und Ausfallstraßen im Münchner Umland sind verstopft. Mehr und mehr wird auch das Parken zum Problem. Wenn baulich verdichtet wird und auf Grundstücken in zweiter Reihe Häuser entstehen, wächst auch die Zahl der abgestellten Autos auf der Straße. Konflikte unter Nachbarn nehmen in vielen Siedlungsgebieten im Landkreis zu, Feuerwehrzufahrten sind blockiert. Die Rathäuser begegnen dem mit härteren Stellplatz-Vorgaben oder schicken Ordnungshüter auf Streife. Strafzettel wegen falschen Parkens kriegen Autofahrer nicht mehr nur in Schwabing verpasst, sondern auch in Unterhaching oder Oberschleißheim.

Die Zeiten sind vorbei, in denen auf dem Land der Platz noch unbegrenzt zu sein schien. Wenn früher eine Siedlung mit Einfamilienhäusern geplant wurde, gab es vor jedem eine Garage und einen Stellplatz. Und wenn mal Besuch kam, dann parkte der selbstverständlich auf der Straße. Doch dort wird der Platz immer knapper. Denn trotz aller Bestrebungen, weg vom Auto zu kommen, beobachtet man in den Rathäusern anderes: "Momentan geht der Trend zum Drittauto", sagt Unterhachings Rathaussprecher Simon Hötzl, "und nicht zum Drittfahrrad".

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Viele Gemeinden haben reagiert und ihre Stellplatzsatzungen verschärft. Mittlerweile werden in Unterhaching etwa drei Stellplätze je Einfamilien- oder Reihenhaus auf eigenem Grund eingefordert, und sobald mehrere Wohneinheiten auf einem Areal entstehen, kommt der Bauherr auch in Dörfern um eine Tiefgarage nicht mehr herum. Wer ein Haus baut, muss zudem neuerdings Fahrradabstellplätze mitplanen. Wo alles nichts hilft, gibt es Strafzettel. In Gemeinden entlang der S 1 zum Flughafen wie Oberschleißheim stellen Urlauber, die sich die Parkgebühren am Flughafen sparen wollen, in Wohngebieten ihre Autos ab und fahren die letzten Stationen mit der S-Bahn. In Unterhaching beklagt die Feuerwehr regelmäßig, dass Autofahrer Rettungswege zuparken und enge Straßen unpassierbar machen.

Viele Gemeinden im Landkreis München lassen längst nicht mehr nur Raser blitzen, sondern gehen auch gegen den sogenannten "ruhenden Verkehr" vor. Als ein Riesenproblem hat Oberschleißheims Bürgermeister Christian Kuchlbauer (Freie Wähler) dauerparkende Wohnmobile und Anhänger ausgemacht. Etwas entschärft hat sich die Lage, seit in weiten Teilen der Gemeinde eine Höchstparkdauer von neun Stunden eingeführt wurde. So habe man Dauerparker vom Parkplatz vor dem Bürgerhaus wegbekommen, sagt Kuchlbauer. Die Kontrollen habe man seit einigen Monaten wieder ausgeweitet. In Unterhaching werde laut Hötzl Falschparken neuerdings auch an Wochenenden und nachts geahndet.

Wie Unterhaching hat sich Höhenkirchen-Siegertsbrunn kürzlich aufgemacht, die Stellplatzsatzung an die neuen Verhältnisse anzupassen und dabei eine Idee aufgegriffen, die zeigt, wie drückend die Verkehrsprobleme in ländlich geprägten Kommunen empfunden werden. Auf Vorschlag von Gemeinderätin Andrea Hanisch (CSU) soll im Juli Gunhild Preuß-Bayer in den Gemeinderat kommen und von ihrem Leben ohne Auto berichten. Die 70-jährige Sprecherin des Münchner Vernetzungsstelle "Leben ohne Auto" in Haidhausen wird dann vorstellen, wie Wohnprojekte umgesetzt werden können für Menschen, die vollkommen auf ein Auto verzichten. Preuß-Bayer ist Mitinitiatorin eines solchen Wohnprojekts in der Messestadt-Riem. Sie schaffte Mitte der Siebzigerjahre ihr Auto ab, fährt mit Rad, Bus und Bahn und sagt: "Um Missverständnisse auszuschließen - autofrei leben heißt wirklich autofrei." Also nicht mit einer Tiefgarage am Siedlungsrand.

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Die Bereitschaft ist mittlerweile vorhanden, relativ radikale Schritte zu ergreifen. Manchmal ist es blanke Notwendigkeit, wenn etwa die Gemeinde Haar in dem kleinen Dorf Salmdorf Parklizenzausweise ausgibt. Die Anwohner wären sonst verloren, wenn auf dem nahen Messegelände eine Großveranstaltung abläuft und ohne Regelung Tausende Besucher den Ort zuparken würden. Dafür kennen die Salmdorfer Situationen, denen sonst nur Stadtbewohner ausgesetzt sind, die nicht wissen, wo die Verwandtschaft im Parklizenzviertel beim Besuch ihr Auto ohne Zusatzkosten abstellen soll.

In vielen Kommunen wird darüber diskutiert, wie es gelingen kann, dass Familien wenigstens auf das Zweit- oder Drittauto verzichten. Selbst in einer Landgemeinde wie Brunnthal steht neuerdings ein Carsharing-Wagen am Rathaus. Und sogar im abgelegenen Ortsteil Waldbrunn gibt es eine Leihradstation. Auf der anderen Seite werden wie im Jugendstilpark Haar ganze Wohngebiete so konzipiert, dass man mit dem Auto gar nicht mehr reinfahren kann. Großzügige Tiefgaragen sind von außen angebunden. Der Verkehr bleibt draußen. Kürzlich beschloss der Gemeinderat mehrheitlich, sich bei einem Gemeindebau in der Musikersiedlung an einem Beispiel aus dem schwedischen Malmö zu orientieren. Bei dem "Oh Boy Cyklethuset" ist alles konsequent auf die Bedürfnisse von Fahrradfahrern ausgerichtet.

Die Skandinavier faszinieren auch Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). Er besuchte vergangene Woche mit der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Bayern (AGFK) Kopenhagen. Dort habe man es geschafft, den öffentlichen Raum wieder den Menschen zurückzugeben und damit aufgehört, Verkehrsplanung vom Auto aus zu betreiben, sagt er. "Diesen Impuls will ich unbedingt aufgreifen, wenn es um neue Siedlungen, aber auch um Verbesserungen im Bestand geht."

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Autos nähmen zu viel öffentlichen Grund in Anspruch, zu Lasten von Fußgängern, Radfahrern, Senioren mit Rollatoren oder Eltern mit Kinderwagen. "Wir müssen den Menschen wieder zum Mittelpunkt der Mobilität machen!" Kirchheim habe massive Probleme mit zunehmendem Parkdruck, sagt Böltl. Durch die Verkehrsüberwachung habe die Kommune an einigen Stellen Verbesserungen erreicht. Doch nahezu täglich erreichten ihn Hinweise von Bürgern und Unternehmen auf Dauer- oder Falschparker. Die Kontrollzeiten würden ausgeweitet.

Solange nicht die Zahl der Autos sinkt, steigt die Zahl derer, die wegen Falschparkens Strafzettel an den Windschutzscheiben vorfinden. Während Oberschleißheim und Kirchheim beim Kommunalen Zweckverband Südostbayern mit Sitz in Töging am Inn ihre Kontrolleure buchen, haben sich Neubiberg, Hohenbrunn, Aying, Sauerlach und Höhenkirchen-Siegertsbrunn dem Zweckverbands Kommunales Dienstleistungszentrum Oberland angeschlossen, um gegen Falschparker vorzugehen. Die Mitgliedsgemeinden buchten einer Statistik des Zweckverbands Oberland zufolge vergangenes Jahr um sechs Prozent mehr Geschwindigkeitskontrollen als 2017, bei der Parkraumüberwachung lag das Plus sogar bei 17 Prozent. Und ganz unabhängig davon, ob sich weitere Gemeinden dem Verband anschließen, ist man dort jetzt schon überzeugt, dass im laufenden Jahr die Knöllchenschreiber wieder mehr gefragt sein werden. Schon jetzt seien 15 Prozent mehr Stunden gebucht, heißt es von dem Verband, der insgesamt 126 Mitgliedsgemeinden zählt.

Der Verzicht aufs Auto könnte im Umland ein Zukunftsmodell werden. Die jüngste Baugemeinschaft mit Leuten, die autofrei leben wollten, scheiterte in Freiham an den hohen Baulandpreisen. Bei einem Projekt im Umland, also weiter draußen, könnte etwas Druck wenigstens rausgenommen werden. Aber es hängt auch von der Infrastruktur ab, ob der Verzicht aufs Auto im Umland überhaupt möglich ist. Gunhild Preuß-Bayer vom Autofreien Wohnen in der Messestadt stimmt der Blick auf die Karte von Höhenkirchen-Siegertsbrunn grundsätzlich optimistisch. Die S-Bahn mitten im Ort und kaum jemand weiter weg als einen Kilometer: "Da läuft man in zehn Minuten zur S-Bahn und mit dem Fahrrad sind es drei Minuten."

Was sie freilich nicht sieht: Es fehlt an vielen Straßen noch an Radwegen, alles ist aufs Auto ausgelegt. Katharina Prorok (CSU) sagte letztens im Gemeinderat, um ein Modell wie "Autofreies Wohnen" umzusetzen, müsste die Gemeinde erst einmal fahrradfreundlicher werden. Zunächst bräuchte man ein Mobilitätskonzept. "Dann kriegt man die Leute hierher."

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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