Wintereinbruch:"Wir können nicht einmal mehr rein ins Zelt"

Lesezeit: 4 min

Das Zelt des Kinderzirkus Roberto ist unter der Last des Schnees zusammengebrochen. Jessica Frank hofft, es mithilfe von Spenden reparieren zu können. (Foto: Laura Geigenberger)

Der Zirkus Roberto war bereit für die Weihnachtsvorstellungen in Unterföhring, als das Planen-Dach unter der Schneelast zusammenbricht und einen großen Teil des Equipments zerstört. Direktorin Jessica Frank und ihre Familie hoffen auf Spenden.

Von Laura Geigenberger, Unterföhring

Der mit Kugeln behängte Christbaum auf dem Werbeschild an der Münchner Straße in Unterföhring strahlt verheißungsvoll. Über ihm schwingen sich dicke, rote Buchstaben mit der frohen Botschaft, dass es schon bald mit dem Weihnachtsprogramm des Wanderzirkus "Roberto" losgehen soll. Doch Geoffrey Frank schüttelt den Kopf und seufzt. "Ich glaube, daraus wird nichts", sagt er.

Der Akrobat steht fröstelnd an der Einfahrt zum Zirkusgelände, die Kapuze über die Stirn gezogen, die Hände tief in den Taschen vergraben. Sein Blick ruht auf dem gelb-blauen Zirkuszelt seiner Familie, das bereits in der Mitte des Grundstücks aufgebaut ist und durch seine grellen Farben deutlich aus der verschneiten Landschaft heraussticht. Es sieht seltsam schief aus: Beide Säulen sind schräg nach innen geneigt, die Plane hängt tief nach unten durch.

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"Es war zu viel Schnee auf einmal", sagt Frank. Rund vierzig Tonnen hätten sich in der Nacht auf Samstag auf das Dach des Zirkuszeltes gelegt. Die Konstruktion sei unter dieser Last "einfach eingeknickt" - trotz fachgerechter Sicherung und Dauerbeheizung. Schon in den Stunden zuvor habe er beobachten können, wie das Zelt unter den Schneemassen immer weiter zusammensank, erzählt der 29-Jährige, bevor es am frühen Samstagmorgen dann "richtig gefährlich" geworden sei. "Mein Schwager und ich sind auf das Dach geklettert, um den Schnee wegzuschippen. Auf einmal haben wir es knacksen gehört und konnten gerade so abspringen, bevor alles eingebrochen ist." Schnell hätten sie noch den Hauptstecker für die Stromversorgung ziehen können, bevor zwei Leitungen durchrissen.

Das Zirkuszelt wurde bei alldem so stark beschädigt, dass es nun einsturzgefährdet und nicht mehr begehbar ist. Unter dem Gewicht des Schnees ist der Querträger, welcher die zwei Hauptmasten stabilisiert und die Spitze über der Kuppel nach oben zieht, in der Mitte durchgebrochen; folglich biegen sich die beiden Stützen jetzt zu weit nach innen. Das Zeltdach ist dadurch über der Manege fast bis auf Kopfhöhe abgesackt und wird nur noch von Artisteneingang, Sitztribüne und Gestänge vom Boden abgehalten.

Nur die Aufbauten im Inneren verhindern, dass das Zeltdach ganz zu Boden gedrückt wird. (Foto: Laura Geigenberger)

Ein meterlanger Riss zieht sich an einer Stelle durch die Plane, wo sich eine Lichtanlage samt Scheinwerfer durchgebohrt hat. Einzig zwei Stahlseile, welche notdürftig mithilfe einer Panzerkette und einem Radlader festgezurrt sind, verhindern noch, dass die Konstruktion ganz kollabiert. "Die Plane, Lampen und Musikboxen sind kaputt; ein Teil der Requisiten auch. Wir können nicht einmal mehr rein ins Zelt, um das, was noch ganz ist, herauszuholen", sagt Geoffrey Frank traurig. Seiner Schätzung nach beläuft sich der Schaden auf rund 70 000 Euro.

Viel unternehmen kann die Familie im Moment nicht. Bereits am Samstag begutachteten die Freiwillige Feuerwehr Unterföhring sowie das Technische Hilfswerk das beschädigte Zelt. Es sei "nichts mehr zu retten", sagt ein Feuerwehrmann am Montag. Aufgrund der "akuten Einsturzgefahr" sei es zu riskant, die Stützen per Steiger oder Kran zu stabilisieren. Und weil die Kuppel frei hängt und weiter eine tonnenschwere Schneelast auf sie drückt, könne sie auch nicht von innen gestützt werden.

Geoffreys Franks Schwester Jessica lädt zum Gespräch in den beheizten Wohnwagen ein. Die Versorgung mit Wärme, Wasser und Strom in den mobilen Unterkünften der Artisten wurde durch das Unglück nicht abgeschnitten, das sei im Moment der einzige Lichtblick, sagt die 28-Jährige. Jessica Frank leitet den Zirkus Roberto als Direktorin. Der Familienbetrieb aus Röhrmoos bei Dachau ist seit Jahrzehnten in München und dem Landkreis vor allem für seine Mitmach-Workshops bekannt, einer Art Zirkusschule für junge Nachwuchsartisten. In einwöchigen Kursen unterrichten die Franks dabei regelmäßig Hunderte Schul- und Kindergartenkinder in den Grundlagen der Zirkuskunst: von Boden- und Luftakrobatik über Tanz, Clownerie, Zauberei bis zu Feuerspucken und Jonglage.

"Es ist ganz, ganz schrecklich für uns", sagt die Zirkusdirektorin

"Alles, was wir an Inventar im Zelt haben, brauchen wir für den Mitmach-Zirkus", sagt Jessica Frank. Sie wirkt erschöpft, nahezu resigniert. Eigentlich habe man im März mit den Kinderkursen in die nächste Saison starten wollen. Doch ohne ihr Equipment sei das nahezu unmöglich. "Es ist ganz, ganz schrecklich für uns", sagt sie. Ihre Mutter, die im Hintergrund lauscht, ringt an dieser Stelle verzweifelt die Hände - die Existenz der elfköpfigen Zirkusfamilie hänge an den wenigen Seilen, die das Zelt gerade noch so aufrecht halten.

Leicht hätten sie es ohnehin schon nicht, erzählt die Direktorin. Ihre Mutter sei lungenkrank, zwei der Geschwister schwerbehindert. Sie selbst hat erst vor zwei Wochen einen Sohn zur Welt gebracht. Einen harten Schicksalsschlag habe sie zudem im Frühjahr mit dem Tod ihres Vaters Renée verkraften müssen, dem Gründer des Zirkus Roberto. "Er hat unser Zelt entworfen, hat es auf einem Blatt aufgemalt, so wie er es haben wollte und wie es bis jetzt auch war", sagt Jessica Frank. 1990 sei das gewesen. Auch die Sitztribüne, welche die gelbe Kuppel derzeit noch mit vor dem Einsturz bewahrt, stammt aus der Anfangszeit von vor über 30 Jahren, ebenso wie so manche der Requisiten. "Da hängen für uns viele Erinnerungen dran", sagt ihr Bruder Geoffrey. Seine Töchter etwa hätten auf der kleinen Seiltanzanlage das Laufen gelernt und der dreijährige Sohn - "der jüngste Clown Deutschlands" - sei in seiner eigenen Nummer durch die Manege getobt.

Die Geschwister Frank klammern sich nun an die Hoffnung, dass es ihnen doch noch gelingt, das Zirkuszelt von Hand abzulassen und weitere Schäden zu vermeiden. "Wir wollen es unbedingt retten", sagen sie. Die Plane müssten sie zur Reparatur zum Hersteller nach Italien fahren und obendrauf die gesamte Elektrik sowie das Gestänge ersetzen. Die Rücklagen der Familie reichten dafür allerdings nicht - die Franks setzen deshalb auf Hilfe aus der Bevölkerung. Seit Sonntag gibt es deshalb ein Spendenkonto, berichtet Jessica Frank. Auch freue sich die Familie über jeden, der persönlich auf dem Grundstück an der Münchner Straße 26 vorbeikommen möchte, um Geld oder auch nur Trost zu spenden.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer kommt in Form eines "Rettungsangebots" aus der Stadt München: Demnach könnte die Artistenfamilie möglicherweise in einem Ausweichzelt gastieren, bis ihr eigenes Equipment repariert ist. Ob und wie sich das realisieren lässt, ist derzeit aber noch offen.

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