Theaterfabrik Unterföhring:"Das muss Wahnsinn gewesen sein, was da abging"

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Christian Greimel führt seit Herbst 2021 mit seinem Geschäftspartner Lai Le die Reterior Fabrik, in der eine bunte Möbel-Warenwelt ihren Platz gefunden hat. (Foto: Robert Haas)

Weil in München Auftrittsmöglichkeiten für Bands fehlten, etablierte der spätere Kunstpark-Ost-Macher Wolfgang Nöth in den Achtzigerjahren die Theaterfabrik Unterföhring. Wo einst die Red Hot Chili Peppers und die Beastie Boys spielten, werden heute Vintage-Möbel verkauft.

Von Franziska Gerlach, Unterföhring

Die Decke der Halle, die war früher niedriger. Oder hing da vielleicht ein Tuch über dem Gebälk? Ja genau, ein großes, schwarzes Tuch. So wird es gewesen sein. "Viele haben es dunkler und kleiner in Erinnerung", sagt Christian Greimel. Er erlebt solche Szenen häufig, seit er die Halle angemietet hat, um dort Secondhand- und Vintagemöbel zu verkaufen. Die Leute kommen, und dann wird sich erst mal ausgiebig erinnert. An das ewige Gedränge und an die Aura des Abgerockten in dieser Halle, die damals Theaterfabrik hieß, an die freitägliche "Orange Disco", an die Auftritte von Kabarettisten wie Bruno Jonas und an die legendären Konzerte von Bands wie Bad Religion und Red Hot Chili Peppers.

Vor 30 Jahren, am 21. Juli 1992, spielte Johnny Guitar Watson das letzte Konzert in der Theaterfabrik in Unterföhring, die ein gewisser Wolfgang Nöth fast zehn Jahre lang betrieben hatte. Dann verkaufte Nöth die Halle, wandte sich neuen Hallen und neuen Projekten zu: 1993 etablierte der gewiefte Veranstaltungsunternehmer am ehemaligen Flughafen in Riem die bis dahin aufregendste Zwischennutzung, 1996 eröffnete Nöth den Kunstpark Ost auf dem früheren Pfanni-Gelände, ein Jahr später kam die Zenith-Halle in München-Freimann hinzu. Der unscheinbare Backsteinbau nahe der S-Bahn in Unterföhring aber war die erste Halle des Mannes, der die Münchner Veranstaltungskultur und das Nachtleben über Jahrzehnte hinweg prägen sollte.

Hatte als Veranstalter nicht nur hochfliegende Pläne, sondern sie auch vielerorts umgesetzt: "Hallen-Mogul" Wolfgang Nöth, hier im Zenith. (Foto: Stephan Rumpf/SZ Photo)

Am späten Vormittag fällt mildes Licht in diese Halle. Nach der "Theaterfabrik"-Zeit bot sie noch einer Filmproduktionsfirma und viele Jahre lang einem Verleih und Ankauf von Requisiten ein Zuhause. Die Dunkelheit der wilden Partynächte hat sich verflüchtigt, und mit ihr das Gerangel um Resttickets und der Geschmack von zu vielen Selbstgedrehten, gegen den auch der pfefferminzigste Kaugummi nicht ankam.

"Das muss Wahnsinn gewesen sein, was da abging", sagt Greimel. Seit Herbst 2021 führt er zusammen mit seinem Geschäftspartner Lai Le auf den inklusive einer Galerie knapp 800 Quadratmetern die "Reterior Fabrik", eine bunte Warenwelt aus gebrauchten Kommoden, Schreibtischlampen. Teeservices, Nachtkästchen, Schaukelpferden und Bauernschränken, unter die sich hochwertige Designklassiker mischen.

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Der Händler schenkt Mineralwasser ein, nur einige Meter von jener Stelle entfernt, an der in der Vergangenheit literweise Bier und Spirituosen über den Tresen gingen. Heute steht dort eine Glasvitrine mit Schmuck darin und einem Pumuckl aus Plastik darauf. In der Wand dahinter sieht man noch die beiden Eisentüren, die zum Kühlraum führten. Greimel war über Bekannte auf die Halle aufmerksam geworden, und weil ihn die Geschichte der Theaterfabrik neugierig machte, befragte er erst mal Wikipedia. Aber da stehe ja nicht viel, sagt er. Nöth eröffnete die Theaterfabrik 1983, weil er erkannte, dass in München ein Ort für Konzerte fehlte. Aha.

Sogar Veranstaltungen finden wieder statt - wenn auch in sehr kleinem Rahmen

Als die Halle vor Kurzem ein kleines Comeback als Veranstaltungsort erlebt hat, ging es freilich weitaus ruhiger zu als damals. Bildende Kunst statt Alternative Rock. Der Unterföhringer Künstler Max Pfefferle, der während einer Covid-Erkrankung angefangen hatte, seine Fotografien künstlerisch zu bearbeiten, hatte zur Vernissage eingeladen.

Nachdem ihm die örtlichen Weinhändler eine Abfuhr für seine Ausstellung erteilt hatten, kam er beim Spazierengehen an der Theaterfabrik vorbei. Und dachte sich: Mensch, das wär's doch. Und es wurde: Greimel schob Stühle, Lampen, Kommoden beiseite, die ihm in Kommission zum Verkauf überlassen werden. Schuf Platz für die Kunst. Wolfgang Nöth, im Januar 2021 gestorben, hätte das wohl gefallen: Der Gründer des Kunstparks Ost hatte das Vergnügungsareal nämlich nicht zufällig so genannt, sondern dort auch erschwingliche Ateliers an Künstler vermietet.

Für eine Ausstellung werden die Möbel schon mal beiseite geräumt. (Foto: Robert Haas)

"Der Nöth war ein findiges Kerlchen, seiner Zeit weit voraus", sagt Lothar Kapfenberger, Bauamtsleiter im Unterföhringer Rathaus. Aus ganz Bayern seien die Leute damals in die Theaterfabrik gekommen. Und Künstler Pfefferle erinnert sich zwar nicht mehr an den Namen der Band, deren Konzert er dort einst besuchte. Aber dass die Stimmung unvergesslich gewesen sei, das Konzert ein regelrechtes Erlebnis, das weiß er noch gut. "Der Herr Nöth hat dafür gesorgt, dass da vorne eine richtige Action war", sagt er. Überhaupt habe es dieser nicht ganz so genau genommen mit den Auflagen. Warum den Zapfenstreich einläuten, wenn's gerade so lustig ist?

Greimel dagegen ist mit 34 Jahren zu jung, um in Sachen Theaterfabrik als Zeitzeuge auftreten zu können. Aber als Münchner sagte ihm der Name Wolfgang Nöth natürlich etwas, er weiß, dass die Presse diesen gern als "Hallen-Mogul" bezeichnete. Dass er als Mann mit einem guten Draht zu den Bürgermeistern beschrieben wurde, durchsetzungsstark und hartnäckig, wenn es darum ging, Genehmigungen einzuholen für Dinge, die ursprünglich niemand genehmigen wollte. Ja, irgendwie ahnte Greimel, dass der flache Bau an der Föhringer Allee über Potenzial verfügt. Ein kultiges Relikt in Zeiten, da Hallen schon mal für Bürokomplexe oder Hotels platt gemacht werden. Und definitiv ein epochales Zeugnis Münchner Ausgehkultur.

Dass die Theaterfabrik dennoch schließen musste, war für die Nachtruhe der Unterföhringer vermutlich ein Segen. Für die Münchner Konzertveranstalter eher nicht. Denn außer dem Circus Krone und dem Metropolis gab es in den frühen Neunzigern keinen geeigneten Ort für Pop- oder Rockkonzerte. Nachdem ein Bauvorhaben Nöths an der Betastraße gescheitert war, bot er der Stadt München an, die beiden ursprünglich für Unterföhring geplanten Hallen auf städtischem Grund in Fröttmaning zu errichten. Doch auch daraus wurde einer vorab erforderlichen, kostspieligen Bodensanierung wegen nichts.

Es kam das Kulturzentrum in Riem mit Münchens erstem Technoclub Ultraschall, es kamen die Zenith-Halle und 2003, in direkter Nachbarschaft zum Kunstpark Ost, die Optimolwerke. München mauserte sich zu einer zeitweise ziemlich spannenden Stadt der Clubs und Partys, Unterföhring wuchs zu einem soliden Standort für Medien und Versicherungen heran.

Erst als Nöth die Theaterfabrik 2009 in den Optimolwerken ein zweites Mal aufleben ließ, erfuhr Unterföhring unter Partygängern neue Beachtung. Es kam nämlich durchaus vor, dass Leute statt zum Münchner Ostbahnhof in den nordöstlichen Landkreis fuhren. Die meisten aus Versehen. Doch sicher war unter den Irrläufern auch so mancher, der das Aus des Originals auch 17 Jahre später noch nicht verdaut hatte.

Vor 30 Jahren fand das letzte Konzert statt

Über Wochen, ach was, Monate hinweg, so schrieb ein Kritiker der SZ, wurde in Unterföhring damals Abschied gefeiert, ehe Johnny Guitar Watson am 21. Juli 1992 das wirklich allerletzte Konzert spielte. Wie sich der Verlust angefühlt haben muss für jene, deren Welt sich um die Theaterfabrik gedreht hatte, nun, dazu braucht man sich nur vorstellen, die eigene Lieblingskneipe würde unwiederbringlich schließen. Dieser Ort, an dem man geknutscht hatte, um den anderen gleich wieder zu vergessen. Wo man mit pochendem Herzen den gefälschten Ausweis vorgezeigt hatte. Wo der Schweiß beharrlich daran arbeitete, selbst das sorgsamst aufgetragene Make-up zu ruinieren.

Vor allem aber war die Theaterfabrik ein Ort, den viele seiner Konzerte wegen für immer mit ihrer Jugend verbinden sollten: Im Februar 1992 tourten die Red Hot Chili Peppers mit ihrem Mix aus Funk und alternative Rock durch Unterföhring. Die Punkrockband Bad Religion piesackte hier das Establishment mit ihren sozialkritischen Texten. Ende der Achtziger hatten die Einstürzenden Neubauten vermutlich auch die Wände der Theaterfabrik zum Wackeln gebracht. Und aus New York waren die Beastie Boys in der Theaterfabrik zu Gast, eine der coolsten Hip-Hop-Bands überhaupt.

Auch die Beastie Boys, hier bei einem Auftritt 1994, waren in der Theaterfabrik zu Gast. (Foto: Heinrich/imago)

"Da hinten war die Bühne", sagt Greimel und deutet über die Möbelreihen hinweg auf eine schwarz gestrichene Wand. Vielleicht ist es gut, dass er selbst nicht dabei war. Es liegt im Wesen von Erinnerungen, Sentimentalitäten auszulösen. Und die stehen unternehmerischem Denken nun einmal eher im Weg. "Selten gibt es heutzutage noch derart schöne Räumlichkeiten mit dem Flair einer alten Fabrikhalle", steht auf der Homepage der Reterior Fabrik. Greimel hat die Halle schon für Dreharbeiten vermietet und für ein Fotoshooting. Für den Herbst sei eine zweite Ausstellung mit Max Pfefferle geplant. Auch andere Veranstaltungen kann er sich vorstellen, sofern sie zur Halle passen.

Wolfgang Nöth hatte nach Jahren des Dauerclinchs offenbar eingesehen, dass die Kombination aus Anwohnern und Ausgehen wenig Zukunft hat. An manchen Abenden waren gut und gerne 1000 Leute in die für 700 Personen zugelassene Theaterfabrik geströmt. Wenn auch nur ein Drittel von ihnen mit dem Auto nach Unterföhring gekommen war, kann man sich ausmalen, was auf den Straßen los war. Bauamtsleiter Kapfenberger berichtet von Mantas und GTIs, die mitten in der Nacht ihre frisierten Motoren aufheulen ließen. "Da hat sich der Wolfgang Nöth dann umorientiert", sagt er. "Der wollte ja keinen Ärger und Stress. Der wollte eine gute Location."

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