Sozialdemokratie:Eine Macht - eigentlich

Lesezeit: 4 min

Die SPD in Bayern liegt am Boden. Nicht aber deren Bürgermeister. Die kämpfen - und wollen in eineinhalb Jahren wiedergewählt werden. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die SPD ist im Landkreis München auf kommunaler Ebene stark. Doch bei der Landtagswahl landet sie bei 9,7 Prozent. Die Bürgermeister in den roten Rathäusern sehen den Absturz als Herausforderung

Von Stefan Galler, Iris Hilberth und Martin Mühlfenzl

Hundert Unterschleißheimer erreicht Christoph Böck mit seiner Aktion auf jeden Fall - vor allem junge Unterschleißheimer. Einmal im Jahr, in den Sommerferien, verteilt der SPD-Bürgermeister hundert Kugeln Eis an Daheimgebliebene. Näher kommt ein Rathauschef seinen Bürger nicht. "Und wir müssen ran an die Menschen, beim Einkaufen, in der Kirche und sonstwo", sagt Böcks Parteikollege, Feldkirchens Bürgermeister Werner van der Weck. "Das Miteinander ist doch der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält."

Der SPD aber scheinen die Bürger und vor allem die Nähe zu ihnen immer mehr abhanden zu kommen; nicht erst seit den katastrophalen 9,7 Prozent bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag. Wie erklären sich das die erfolgsverwöhnten Bürgermeister mit SPD-Parteibuch im Landkreis?

Und viel wichtiger: Wie stemmen sie sich gegen den Negativtrend nicht einmal mehr eineinhalb Jahre vor der bayerischen Kommunalwahl?

Kommunalwahlen sind keine Protestwahlen

Christoph Böck sitzt im Auto; er muss zur Sitzung der SPD-Kreistagsfraktion ins Landratsamt am Mariahilfplatz. Passt ja. "Wir sind eine starke Kraft im Landkreis, gerade im Münchner Norden mit erfolgreichen Bürgermeistern - und wir leisten gute Arbeit", sagt Böck. Klar sei das Ergebnis vom Sonntag "enttäuschend", sagt der Bürgermeister der einwohnerstärksten Kommune im Kreis:

"Aber ich spüre in den Ortsvereinen einen Wandel. Da heißt es mit Blick auf die Kommunalwahl: Jetzt packen wir richtig an." Und Kommunalwahlen seien Persönlichkeitswahlen, sagt Böck, "keine Protestwahlen".

Das zeigt ein Blick zurück auf die Kommunalwahl 2014; schon damals war die SPD auf Bundesebene und im Land ein Schatten ihrer selbst. Alexander Greulich gewann die Stichwahl ums Bürgermeisteramt in Ismaning mit 53 Prozent. Auch er spricht von Persönlichkeitswahlen. "Das merkt man schon beim Auszählen, die Menschen wählen kunterbunt durcheinander, je nachdem, wen sie kennen und vor allem, wem sie vertrauen, wer glaubhaft rüberkommt", sagt er.

Dennoch müsse die aktuelle Lage der SPD "ernst genommen werden", sagt Greulich. "Das Erscheinungsbild der SPD macht es uns nicht einfacher", so der Rathauschef. "Aber umgekehrt dürfen wir uns auch nicht ausruhen, wenn für die SPD mal wieder Sonnenschein herrscht. Wir müssen immer weiter für unsere Glaubwürdigkeit kämpfen, die wir uns hart erarbeitet haben."

Greulich sagt, er werde sich dabei auch einer aktiveren Rolle innerhalb des SPD-Kreisverbandes nicht verschließen: "Wenn das gewünscht und für mich machbar ist." Er selbst habe darüber auch mit der Kreisvorsitzenden Bela Bach schon gesprochen. "Meine Bereitschaft, mehr Verantwortung zu übernehmen, ist gegeben."

Bei der MVV-Tarifreform haben die Bürgermeister viel bewegt

Auch Christoph Böck will sich dem nicht verschließen. "Wir als Bürgermeister bringen uns ja schon stark ein, das hat man zum Beispiel bei den Diskussionen um die MVV-Tarifreform gesehen, bei der wir richtig Bewegung reingebracht haben."

Ihre Haarer Kollegin Gabriele Müller sagt, die Rathauschefs seien diejenigen, die "sozialdemokratische Politik für die Menschen erfahrbar machen" - und zwar durch konkretes Handeln: durch die Schaffung von günstigem Wohnraum, Angebote für Jung und Alt, die Ansiedlung von Firmen. Auch Müller kann sich ein stärkeres Engagement vorstellen, indem sie in eineinhalb Jahren etwa für den Kreistag kandidiert.

Landtagswahl
:Sieben auf einen Streich

Der Landkreis München stellt im neuen Landtag zwei Abgeordnete mehr als im alten. Große Gewinner sind die Grünen, Verlierer ist die SPD

Von Iris Hilberth

Der freilich ist auch für die Bürgermeister eine wichtige politische Bühne - und ein Handlungsfeld, auf dem sie vom Bau neuer Schulen bis hin zu Sozialleistungen, der Mobilität und Integration von Geflüchteten viel bewegen können. Fünf von neun sozialdemokratischen Bürgermeistern sitzen im Kreistag.

Unter ihnen auch Edwin Klostermeier aus Putzbrunn, der erst im März gezeigt hat, dass Sozialdemokraten durchaus auch 2018 noch Wahlen gewinnen können: Er setzte sich im ersten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durch. "Ich glaube, dass sich die Ergebnisse auf Bundes- und Landesebene nicht im kommunalen Bereich widerspiegeln", sagt Klostermeier, der seit 2006 die Putzbrunner Gemeindeverwaltung leitet.

Politiker müssten "dem Volk aufs Maul schauen und ihr Ohr an den Problemen der Bürger haben", sagt er und sieht hier ein entscheidendes Problem für die SPD auf den überregionalen Ebenen: "Genau das ist oben ein bisschen abhanden gekommen." Dazu habe sich auch die Gesellschaft verändert: "Es ziehen nicht mehr alle Leute an einem Strang, immer mehr Einzelinteressen stehen im Vordergrund." Und deshalb habe auch das Modell der "Volkspartei" ausgedient: "CDU und CSU sehen die SPD abstürzen und wissen ganz genau, dass ihnen das in den nächsten Jahren ebenfalls droht."

Er selbst sieht sich nicht in der Lage, noch mehr Verantwortung zu übernehmen: "Als Bürgermeister, Kreisrat und Aufsichtsrat in mehreren Gremien bin ich voll ausgelastet." Allerdings nehme er jede Gelegenheit zum Austausch mit den SPD-Spitzen im Landkreis wahr: "Wir Bürgermeister versuchen immer, Natascha Kohnen und Bela Bach zu zeigen, wie es an der Basis aussieht."

Wie es mit der SPD weitergehen soll, kann Wolfgang Panzer, seit 2008 Bürgermeister von Unterhaching, nicht wirklich beantworten: "Ich bin kein Politikwissenschaftler." Wie man als SPD-Politiker Wahlen gewinnen kann, weiß er zwar in Unterhaching, für übertragbar hält er das nicht. "Es hängt in der Kommunalpolitik einfach von den Personen ab, weniger von der Partei", sagt er.

Nicht jeder will mehr Verantwortung

Panzer sieht sich in erster Linie als Bürgermeister von Unterhaching, weniger als SPD-Politiker. "Ich bin zwar in der Partei und auch im SPD-Ortsverein. Aber ich habe keinerlei Ämter und strebe die auch nicht an", sagt er. Zwar unterstütze er die SPD dort, wo es notwendig sei, Posten aber wolle er nicht übernehmen. "Ich bin mit absoluter Überzeugung Bürgermeister und will das bei der nächsten Wahl 2020 auch wieder werden."

Bei dieser Wahl wird es für die Sozialdemokraten vor allem darum gehen, die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten im Landkreis und in den Kommunen nicht aus der Hand zu geben. Auf Unterstützung aus Berlin oder dem Münchner Oberanger wollen sie sich dabei nicht verlassen. "Es ist doch an uns, die Bürger mit unseren Ideen zu begeistern, sie zu erklären, für die Menschen da zu sein", sagt Werner van der Weck, der 2020 aber nicht noch einmal antreten wird. "Das Menschliche zeichnet doch uns Sozialdemokraten aus." Alexander Greulich rät seiner Partei, selbstbewusst und ohne Angst in die Kommunalwahl zu gehen. "Wir vor Ort erreichen die Menschen am ehesten und besten. Wir müssen aber auch ständig an unserem Profil arbeiten. Jeder Einzelne."

Die SPD ist eine Macht. Also eigentlich ihre Bürgermeister. Christoph Böck hat 2014 die Stichwahl in Unterschleißheim mit 68 Prozent gewonnen. Indem er den Menschen zugehört hat. Bei einem Eis.

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: