Grünwald:Sportdeutschland am Scheideweg

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Jede Menge offener Baustellen: Wolfgang Weigert, Jörg Ammon und Moderator Christian Nitsche (von links) klapperten in der Alten Turnhalle im Freizeitpark eine Vielzahl kritischer Themen rund um den Sport in Deutschland ab. (Foto: Claus Schunk)

Bei einem Kamingespräch reden BLSV-Präsident Jörg Ammon und Wolfgang Weigert, Chef des Karateverbandes, über aktuelle Krisen in den Spitzengremien und Corona-Folgen für den Nachwuchs.

Von Stefan Galler, Grünwald

Wenn man schon einmal echte Experten zu Gast hat, sollte man die Gelegenheit beim Schopf ergreifen. Das dachte sich offenbar auch Christian Nitsche, Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, als er am Donnerstagabend in Grünwald eine Gesprächsrunde mit zwei führenden Sportfunktionären leitete.

Also wollte der Journalist von Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landessportverbandes (BLSV), und von Wolfgang Weigert, Präsident des Deutschen Karate Verbandes (DKV), wissen, welche Medaillenausbeute sie für die in einer Woche beginnenden Olympischen Spiele in Tokio erwarten. Und während Weigert "18 Mal Gold" für das deutsche Team und einen Platz unter den ersten Zehn der Medaillenwertung prognostizierte, sprach Ammon von "18 bis 20 Goldmedaillen" und gab Rang sechs in der Nationenwertung als Ziel aus.

Krisenherde gibt es aktuell zur Genüge

Es war eine launige Gesprächsrunde in der alten Turnhalle auf dem Gelände des Freizeitparks. Erstmals nach 15 Monaten coronabedingter Pause fand wieder ein "Kamingespräch" statt, nur eben nicht im Kaminzimmer, um die nötigen Abstände zwischen den rund 40 Zuhörern wahren zu können. Gekommen waren einige Prominente, etwa der dreimalige olympische Bronzemedaillengewinner im Schwimmen, Christian Tröger, der in seiner Funktion als stellvertretender Präsident des Veranstalters, der Deutschen Olympischen Gesellschaft, Stadtgruppe München, die einführenden Worte sprach.

Auch die Kreisvorsitzende des BLSV München-Land, Elke Baumgärtner, sowie Thomas Summerer, Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportrecht, waren der Einladung gefolgt. Ebenso wie wichtige Vertreter des TSV Grünwald, darunter Vorstand Willi Mühlbauer, Geschäftsführer Nikolai Dlugi und Hockey-Abteilungsleiter Michael Bork.

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Sie lauschten den Gedanken der Funktionäre auf dem Podium, die sich unter anderem um die aktuellen Krisenherde im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Deutschen Fußball-Bund (DFB) drehten, schließlich stand die Runde unter dem Motto "Quo vadis Sportdeutschland?". Und so nahm vor allem BLSV-Chef Ammon kein Blatt vor den Mund: "Die Krise des DOSB ist mindestens mittelschwer", sagte er, nachdem Christian Tröger bei seiner Anmoderation zuvor bereits an "vier gescheiterte deutsche Olympiabewerbungen in Folge" und ein "schwindendes Gewicht Deutschlands in den internationalen Gremien" erinnert hatte.

Zumindest Karate-Präsident Wolfgang Weigert verteidigte DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der Mitte Juni seinen Rücktritt zum Ende des Jahres angekündigt hatte. Der Spitzenfunktionär war zuvor in einem anonymen Brief, vermutlich von einem Mitarbeiter aus der Verbandszentrale, scharf attackiert worden, eine eigens eingesetzte Ethikkommission konnte die Vorwürfe, Hörmann sei führungsschwach und respektlos gegenüber Verbandsangestellten, nicht entscheidend entkräften. "Corona hat die Aggressivität gefördert, zumindest was Angriffe aus der Deckung anbelangt", sagte Weigert also, früher habe es keine solchen anonymen Attacken gegeben, man habe sich ausgesprochen "und danach in die Augen geschaut".

Das Ehrenamt als DOSB-Chef bedeute eine "80-Stunden-Woche", in der man nur von einem Flugzeug zum nächsten eile. "Und das für 200 Euro Entschädigung im Monat, um das zu machen, muss man finanziell unabhängig sein." Hörmann habe "immer versucht, für Sportler tätig zu sein und nicht nur, den Verband zu repräsentieren".

Damit widersprach er indirekt den Äußerungen des deutschen Spitzen-Ruderers Oliver Zeidler, der beim letzten Kamingespräch vor Corona zur Unterstützung durch Verbände, insbesondere durch den Deutschen Ruderverband (DRV), gesagt hatte: "Ich erwarte nichts und ich bekomme nichts." Für Jörg Ammon eine Aussage, die große Defizite in den Verbandsstrukturen offenbart: "Wenn das System nicht intakt ist, wie sollen wir dann Sportler zu internationaler Reife bringen?", sagte er. Der Athlet müsse immer im Mittelpunkt stehen.

Weigert stimmte ihm zu und betonte, dass man etwa durch die Schaffung der Sportfördergruppe der Bundeswehr und ähnlicher beruflicher Möglichkeiten bei der Polizei einen "doppelten Boden" für die Sportler geschaffen habe, wenn Karrieren nicht wie erhofft verlaufen oder verletzungsbedingt vorzeitig enden sollten.

Und so klapperten Moderator Nitsche und seine Gesprächspartner alle möglichen Themen ab, etwa das enttäuschende Auftreten der Fußballer bei der Europameisterschaft, "als Nürnberger kam ich mir vor wie beim Club", sagte Ammon. Auch Corona und die Folgen der Pandemie kamen dran, so sprachen sich beide Funktionäre gegen eine Impfpflicht für ehrenamtliche Übungsleiter aus. Durch das lange Trainingsverbot habe man im Lockdown 25 Prozent aller U12-Sportler in Bayern verloren, sagte Ammon. Dabei sei es so wichtig, dass sich Kinder mehr bewegen. Was schon dadurch konterkariert werde, dass viele Eltern die Kleinen morgens mit dem Auto bis vor das Klassenzimmer kutschierten. Dagegen sei der Breitensport für Ältere so gut aufgestellt wie nie. "Wir haben die fittesten Senioren und die unfittesten Junioren aller Zeiten", so der BLSV-Präsident.

© SZ vom 17.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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