Gräfelfing:Nie mehr Luft anhalten im Dirndl

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Monika Strobl-Klein trägt selbst gerne Dirndl. (Foto: Florian Peljak)

Die Kombination aus einer Yoga-Hose und einem bayerischen Mieder brachte Monika Strobl-Klein auf die Idee, bequeme Trachtenkleider zu entwerfen.

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Luft anhalten, Bauch einziehen, Reißverschluss zu! Und jetzt nicht mehr atmen, nichts essen und trinken und schon gar nicht bücken. Jede Frau, die sich so fühlt, wenn sie in ihr Dirndl steigt, hat noch kein Samtherz-Dirndl aus Gräfelfing getragen. "Anziehen und wohlfühlen" - das verspricht Monika Strobl-Klein, die seit 14 Jahren in ihrem Atelier maßgeschneiderte Dirndl unter der Marke "Samtherz" entwirft. Ihre Dirndl aus Samt und Seide lassen sich in alle Richtungen dehnen und sind bei aller Bequemlichkeit auch noch glamourös. Mit dem Konzept hat sich die Gräfelfingerin in die Herzen der Trachtenfans und des Münchner Szenepublikums genäht.

Ins Modeatelier Samtherz geht es gleich hinter der Gartentür in der Lenbachstraße im Gemeindeteil Lochham wie über einen Laufsteg. Wer sich noch nicht einzigartig fühlt, tut es spätestens, sobald er im Atelier angekommen ist und die ganze Aufmerksamkeit der Chefin bekommt. Hier entwirft Monika Strobl-Klein Geschichten, wie sie sagt. Jede Kundin soll hier "ihr Dirndl" finden, das ultimative Kleid, in dem sie sich wohlfühlt, an dem es nichts zu zweifeln gibt, an dem sie nicht herumzupfen muss. "Jeder soll mit seinem Dirndl seine Geschichte erzählen", ist der Anspruch der Designerin. Ist die Trägerin eher sportlich oder mehr Prinzessin? Ist sie mehr der Baumwolltyp oder der Seidenfan? Braucht es viel Glitzer oder lieber etwas Schlichtes? Schnitte, Farben und Borten machen jedes Kleid zu einem Unikat.

Braucht es viel Glitzer? In diesem Fall ja. (Foto: Florian Peljak)

Ein Dirndl ist halt doch mehr als ein Kleid. Die Tracht hat oft Tradition in der Familie, zur Auswahl von Schnitt und Stoffen wie auch zur Anprobe kommt häufig die Oma mit. Strobl-Klein kennt viele Familiengeschichten. Inzwischen ließen sich auch viele junge Mädchen ihr Dirndl maßanfertigen. Nach dem ganzen Billig-Dirndl-Boom wollen sie etwas Individuelles. Das darf dann auch etwas kosten, ab 1000 Euro aufwärts gibt es die Gräfelfinger Trachtencouture. Das Kleid muss dabei ein Alleskönner sein, für den großen Auftritt taugen, aber auch barfuß zum Picknick passen. Übrigens werden auch Herren in Samt und edle Stoffe eingeschlagen und das Hündchen erhält auf Wunsch ein Samtdeckchen passend zum Outfit vom Frauchen.

Zur Modedesignerin wurde Monika Strobl-Klein aus eigener Not. Sie hat früher als Unternehmensberaterin gearbeitet und sich dabei immer daran gestört, dass Business-Kostüme untauglich waren, um nach Büroschluss mit dem Sohn auf den Spielplatz zu gehen. Auch die Yogastunde im bequemen Schlabberlook war nicht ihr Ding. So fing sie an, sich ihre eigenen Stücke nähen zu lassen. In der maßangefertigten Yoga-Hose mit bayerischem Mieder kam sie groß raus, die Kombi fand sogar auf den Titel einer Yogazeitschrift. Der Weg zu den Dirndln war da nicht mehr weit. Denn Strobl-Klein ist "urbayerisch", wie sie sagt. Sie kommt vom Tegernsee und hat ein Faible für bayerische Folklore - Geweihe und ausgestopfte Enten hängen an ihren Wänden, da passen die Dirndl ja auch irgendwie dazu. Ihren Blick richtet sie aber gerne über die bayerische Heimat hinaus. Sie ist viel gereist und hat im Ausland gelebt. Mitgebracht hat sie aus der Ferne oft Borten oder Schnallen, mal aus Russland, aus Österreich oder dem Oman, die sie in ihre Dirndl integriert.

Geweihe dienen im Modeatelier in Lochham als Kleiderhaken. (Foto: Florian Peljak)

Bei der Produktion der Trachten setzt die Gräfelfinger Designerin auf Regionalität: Ein Großteil der Stoffe kommt aus Deutschland, die Näherinnen sind alle aus dem Münchner Umland. Sie müssen das spezielle Dirndlnähen erst lernen, denn gearbeitet wird mit drei Lagen, damit sich trotz Elastizität die Nähte nicht verziehen. Mit den Dirndln war die Designerin auf Erfolgskurs, in den vergangenen zehn Jahren hat das Geschäft einen Aufschwung erlebt. Und dann kam die Pandemie. Es gab von heute auf morgen keine Bühne mehr für die Tracht. "Es war, als würde einem jemand die Haustür abschließen", sagt Strobl-Klein.

Die Modedesignerin ist neuerdings auch Einrichtungsberaterin

Doch als "geborene Unternehmerin" habe sie sofort nach Alternativen gesucht, ihre Näherinnen mussten ja auch beschäftigt werden. So ließ sie aus der edlen Baumwolle feine Bett- und Tischwäsche anfertigen und aus dem Samt Kissen und Nackenrollen mit gezwirbelten Borten. Die Dirndlkundschaft, die gelegentlich auch mal ein Chalet einrichten muss, hat es geschätzt. Und weil alle in der Pandemie ihr Haus renoviert und umgestaltet haben, war Monika Strobl-Klein plötzlich als Einrichtungsberaterin bei ihrer Kundschaft gefragt. Genauso wie sie Geschichten mit ihren Dirndln erzählt, hat sie jetzt Wohnräume Geschichten ihrer Bewohner erzählen lassen. In den vergangenen zwei Jahren hat sie angefangen, Möbel zu entwerfen, Wohntextilien und ganze Wohnräume.

Während der Pandemie kamen Möbel und Wohntextilien als neues Geschäftsfeld dazu. (Foto: Florian Peljak)

Wenn ihre eigenen Räume etwas über sie erzählen, dann ist es eine Geschichte der Vielfalt. Das Trachtenatelier ist Showroom und Lebensraum zugleich. Zu den Rehbockgeweihen gesellt sich ein Büffelhorn, das sie von einer Reise mitgebracht hat, die Trachten sind vor einer Tapete in Schlangenhautoptik ausgestellt, und auf der weißen Sofalandschaft liegt eine Decke aus Nerz, gefertigt aus ausrangierten und aufgekauften Pelzmänteln. Über all das blickt Jackie Kennedy hinter ihrer großen schwarzen Sonnenbrille auf einem Fotodruck - den klassischen Stil der Mode-Ikone liebt Monika Strobl-Klein nämlich auch. Es gibt nichts, was sich ausschließt, so könnte die Botschaft dieser Räume lauten.

Jetzt sind aber wieder die Dirndl dran. "Das Geschäft läuft wieder an", sagt Strobl-Klein. Nach monatelanger Zwangspause steigt die Nachfrage nach Tracht. "Die Kleidung soll wieder auf Figur sitzen, man will sich wieder ganz bewusst anziehen." Borten dürfen glitzern und Seide darf schimmern. Eine Gemeinsamkeit gibt es mit dem Pandemie-Look dann doch: die Bequemlichkeit.

Die Menschen in Münchens Umland sind extrem kreativ. In der Serie "Hippes von hier" stellen wir Ihnen Beispiele für ausgefallene Geschäftsideen vor.

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