Einmal rund um München:Im Zickzack durch die Heide

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In unserer Serie "Hart an der Grenze" erkunden SZ-Autoren den Verlauf der Münchner Stadtgrenze. In der letzten Folge schlägt die Stadtgrenze zwischen Garching und Fröttmaning einige Haken. Dabei gerät man unversehens ins Sperrgebiet.

Von Gudrun Passarge, Garching, Ismaning

Zickzack ist das richtige Wort, um den Weg zu beschreiben. Wer die Grenze zwischen München und Garching finden will, muss sich zunächst ins Niemandsland auf die Heide begeben und dann etliche Bögen schlagen. Denn echte Straßen bieten sich dem Grenzgänger nur selten und ständig hat er mit zwei Hindernissen zu kämpfen: der U-Bahn und den Autobahnen. Das macht den Weg zwar etwas länger, aber es bietet zwischendrin auch beschauliche Ausblicke, immer beschirmt von der Allianz-Arena, die wie ein überdimensionaler platt gedrückter Wattebausch über der Landschaft thront.

Die Schönheit der Heide erschließt sich vielen erst auf den zweiten Blick

Schon die Grenze zu finden ist nicht ganz einfach. Rudi Naisar ist jedoch bestens ausgerüstet. Naisar ist ein alteingesessener Hochbrücker, ein passionierter Fahrradfahrer, saß schon für die SPD im Stadtrat als er noch Gemeinderat hieß und ist zudem Vorsitzender des Geschichtsvereins in Garching. Und für diesen Ausflug enorm wichtig, er hat eine App, die ihm nicht nur die Grenze zeigt, sondern auch punktgenau, wo er gerade steht. "Das hier ist jetzt genau die Grenze", sagt er mitten im Irgendwo. Rundherum ist Heide, rechts das Fußballstadion, links spitzen einige hohe Häuser der Fröttmaninger Siedlung durch ein paar Kiefern und weiter nördlich bildet das Helmholtz-Zentrum in Oberschleißheim einen Blickfang. Außerdem sind überall sanft modellierte längliche Hügel zu erkennen. "Nach meiner Theorie stammen die nicht vom Militär, sondern das waren Hochäcker im Mittelalter", sagt Naisar.

Die Heide, deren Schönheit sich vielen erst auf den zweiten Blick erschließt, hat eine bewegte Vergangenheit. Sie ist ein Relikt der Eiszeit, als die Gletscher weit hineinragten ins Land. Als sie sich wieder zurückzogen, blieben große Mengen Kies in der Schotterebene liegen und stellten den Boden, der seltenen, geschützten Pflanzen und Tieren bis heute eine Heimat bietet. Für die Bauern war der Magerrasen dagegen weniger ergiebig. Die Flächen wurden als Allmende genutzt und an die Leute verlost. Sie versuchten mit Hochäckern wenigstens eine karge Ernte einzufahren.

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(Foto: Florian Peljak)

Um von den Schafen in der Fröttmaninger Heide...

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(Foto: Catherina Hess)

...auf den Müllberg der Deponie Nord-West zu kommen,...

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(Foto: Catherina Hess)

...muss man erst die hier oberirdisch verlaufende U-Bahntrasse und...

...den Autobahnring A 99 überwinden.

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(Foto: Catherina Hess)

Der Müllberg bietet aber auch einen schönen Blick über die Heide bis zum Garchinger Stadtteil Hochbrück.

Und dann ist da noch die militärische Vergangenheit. Mehr als Hundert Jahre übten Soldaten in der Fröttmaninger Heide, fuhren Panzer durch das Gelände. Teilweise sieht man noch Bunkeranlagen im Vorbeifahren. Heute hält der Heideflächenverein seine Hand über dieses Gebiet. Seit 2016 ist die südliche Fröttmaninger Heide Naturschutzgebiet und in Zonen eingeteilt. Darunter gibt es ganzjährige Schutzzonen und Wege, die man nicht betreten darf, weil der Verdacht besteht, dass Kampfmittel unter dem Magerrasen schlummern. Zurzeit fehlen allerdings noch Hinweisschilder, die das Verbot erkennen lassen.

Ein Schäfer weidet gerade seine Tiere in dem Grenzgebiet. Die Merino-Schafe, es sind etwa 700, gehören Hermann Stadler, in dritter Generation Schäfer aus Vilsbiburg. In der Heide bewachen sein Angestellter Bruno Waliczek und die beiden Schäferhunde Bella und Caro die Schafe und die etwa 50 Ziegen. Von April bis Ende September sind sie in der Heide unterwegs, als Naturschutz auf vier Beinen. Das Wasser holen die Schäfer vom Helmholtz-Zentrum. Stadler kennt die Flächen seit 2001. Früher weideten Mutterschafe und Lämmer dort gemeinsam, "aber der Boden ist zu karg, die Muttertiere haben nicht genug Milch, um die Lämmer zu füttern", erzählt Stadler.

1971 wackelte die Grenze

Rudi Naisar entwickelt sich derweil zum echten Pfadfinder. Würde man dem Grenzverlauf folgen, führte der Weg weiter Richtung Autobahnring A 99, der die Heide durchschneidet. Eine Kiefernschonung schirmt die Autobahn ab, der Lärm allerdings bleibt. Ein kleiner Schrotthaufen am Rand belegt, was der Boden teilweise noch verbirgt. Selbst Granatsplitter macht Naisar in dem Haufen aus. Ein einsamer Jogger trabt auf einem eigentlich gesperrten Trampelpfad entlang. Tatsächlich liegt die Grenze laut Karte schon in der Zone, die nicht betreten werden darf. Wäre es erlaubt, müsste man durch eine Unterführung unter der Autobahn durchschlüpfen und sich auf der anderen Seite der Heide, die immer noch "militärischer Sicherheitsbereich" ist, auf Wegen und durch Büsche schlagen, um wieder in die Nähe der Grenze zu kommen.

Diese Grenze wackelte das letzte Mal 1971. Zu dieser Zeit wütete die Gebietsreform in Bayern, und irgendjemand hatte die Idee, man könne doch Garching und andere Nord-Gemeinden München zuschlagen. Die Garchinger wehrten sich, alles blieb wie es war. Um der Grenze wenigstens auf der anderen Seite der U-Bahn wieder nahezukommen, bleibt einem nur die Möglichkeit, in Richtung Heidehaus zurückzukehren, vorbei am Tümpel, in dem die Wechselkröten leben, vor bis zur U-Bahn, die hier oberirdisch fährt.

Wie auf Kommando kommt gerade eine vorbeigerattert. Die eingezäunten Gleise bilden jedoch eine unüberwindliche Hürde. Der einzige Weg auf die andere Seite führt über den U-Bahnhof Fröttmaning. Der Fahrradweg entlang der U-Bahn gehört der Stadt Garching, obwohl er auf Münchner Flur liegt, die U-Bahnlinie hat Garching in Eigenregie mit Unterstützung des Münchner U-Bahn-Referats geplant, zehn Prozent der Kosten mussten die Garchinger selbst aufbringen. Garching, das lange von wichtigen Verkehrstrassen abgehängt war, hat damit seinen Schritt in die Zukunft gemacht. 1995 fuhr die erste U-Bahn im Bahnhof Hochbrück ein, seit 2006 ist auch der Forschungscampus angebunden.

Grenznah betrachtet
:Toter Müllberg

Die Pläne zur Erweiterung der Mülldeponie Nord-West sind längst vom Tisch. In den 80er Jahren demonstrierten die Bürger mit einem Fackelzug gegen die Einrichtung. Heute sind nur zwei Drittel der Deponie gefüllt. Es wird mehr recycelt.

Von Gudrun Passarge

Über den U-Bahnhof Fröttmaning, vorbei an Fußballverzückten aus allen möglichen Ländern, die die Arena wie einen Siegestempel bewundern und für Selfies davor posieren, sucht Naisar nach einem Weg über die A 9. Dazu geht es wieder an der U-Bahn entlang, diesmal auf der Ostseite des Zauns in Richtung Garching. Der Weg führt vorbei an der Mülldeponie Nord-West und weckt in Naisar Erinnerungen an alte Zeiten, geprägt vom Kampf gegen die vielen Negativeinrichtungen im Münchner Norden. "Damals entstand auch die Nordallianz", sagt Naisar, Gemeinden wie Unterschleißheim, Oberschleißheim, Ismaning, Unterföhring, Neufahrn und Hallbergmoos schlossen sich 1982 zusammen, um nicht noch mehr Müllhalden oder Schießplätze der Bundeswehr abzubekommen. "Die Mülldeponie sollte bis zum Schleißheimer Kanal gehen", sagt Naisar. Er zeigt auf einen Gehölzstreifen, der von der A 9 bis zur Fröttmaninger Heide reicht. Garchinger haben ihn 1991 als Schutzwall gegen die Deponie angepflanzt. Vorbei an Feldern führt der Weg, und endlich taucht auch eine Autobahnbrücke auf. Darunter fließt der Verkehr ausnahmsweise mal schneller als mit Tempo 20.

Im Kampf gegen Negativeinrichtungen schloss sich die Nordallianz zusammen

Auf der anderen Seite der A 9 führt der Weg wieder an Feldern vorbei. Doch der Ausflug endet an einem verschlossenen Tor am Klärschlammberg. Die Grenze ist hier nicht begeh- oder befahrbar. Vorbei an einer Fasanenhenne, die meint, sich hinter ein paar höheren Grashalmen unsichtbar machen zu können, geht es auf einem geteerten Radweg in Richtung ehemalige B 11 in Dirnismaning.

Der Grenzverlauf ist auch dort nicht einzuhalten, er würde mitten durch ein Feld führen, also bleibt nur der Wagrainweg. An seinem Ende wartet der wassernahe grüne Dschungel. Über den Isar-Schleißheimer Kanal, den Garchinger Mühlbach und den Schwabinger Bach führt der Weg direkt zur Isar. An diesem Fluss verläuft am westlichen Ufer nicht nur die Grenze zwischen Ismaning und Garching, sondern auch die zwischen Ismaning und München. Endlich sind auch wieder andere Menschen hier unterwegs. Fröhliches Kinderlachen ist von unten aus dem Isarbett zu hören. Früher, noch bis Anfang 1900, hat der Fluss es noch öfter verlassen, das Wasser reichte teils bis zum heutigen Jugendbürgerhaus Profil am Garchinger Maibaumplatz. Unter der A 99 hindurch bringt einen der Weg zur Mollbrücke. Hier schließt sich der Kreis, denn kurz vor der Brücke beginnt schon die Unterföhringer Flur.

Alle weiteren Folgen der Serie "Hart an der Grenze" finden Sie hier.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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