Corona-Krise:Die kleinen Firmen trifft es besonders hart

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Brauereichef Franz Inselkammer erlässt Wirten die Pacht. (Foto: Claus Schunk)

Auch wenn sie sich mit kreativen Lösungen behelfen, können viele Betriebe den Umsatzausfall nicht lange überbrücken. Die IHK befürchtet vor allem im Einzelhandel und in der Gastronomie eine Insolvenzwelle.

Von Christina Hertel

Alexander Moosbauer kann viele Geschichten erzählen. Wie Fußballer Philipp Lahm seine Hochzeit feierte. Wie streng die Sicherheitsregeln waren, als der russische Präsident Wladimir Putin zu Gast war. Doch wenn man den Geschäftsführer des Ayinger Bräustüberls nach dem Ereignis seiner Karriere fragt, das ihn am meisten berührt hat, fällt ihm als erstes eines ein, das sich kurz vor den Ausgangsbeschränkungen ereignete: Ein bestimmt 80 Jahre alter Mann, der in Zeiten von Corona eigentlich das Haus nicht verlassen sollte, sei trotzdem jeden Tag in das Wirtshaus gekommen. "Als ich ihn heimschicken wollte, hat er geantwortet, dass er einmal am Tag eine warme Mahlzeit braucht. Er könne doch nicht nur von kaltem Leberkäse leben", sagt Moosbauer.

Inzwischen versorgt der Wirt in seiner Gaststube niemanden mehr, sondern sitzt zu Hause und bekommt Kurzarbeitergeld. Das Bräustüberl hat wegen der Ausgangsbeschränkungen geschlossen. Einen Lieferdienst bietet es nicht an, denn der würde sich für den Betreiber, die Ayinger Brauerei, nicht lohnen. Woher der alte Mann nun seinen Braten bekommt? Wirt Moosbauer weiß es nicht.

Seit fast zwei Wochen steht das Geschäftsleben in Deutschland fast komplett still - und das betrifft alle, vom Fitnessstudio bis zum Buchhändler, vom Dax-Konzern bis zum freischaffenden Künstler. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen das auf die mehr als 43 000 Unternehmen im Landkreis langfristig haben könnte, kann noch niemand verlässlich sagen. Der Umsatz im Handel- und Dienstleistungsbereich ist laut Industrie- und Handelskammer in den allermeisten Fällen auf null gesunken. "Die Kosten werden wohl alles übersteigen, was wir aus den Wirtschaftskrisen in der Nachkriegsgeschichte kennen", sagt der Geschäftsführer der IHK für München und Oberbayern, Manfred Gößl.

Die IHK hat eine Hotline eingerichtet

Sein Verband hat eine Telefonhotline eingerichtet, um Unternehmen in der Krise zu beraten. Als sich abzeichnete, dass bald Ausgangsbeschränkungen kommen würden, riefen am Tag 2000 Menschen an und suchten Rat - viermal so viele wie sonst. Die Stimmung sei angespannt gewesen, sagt IHK-Pressesprecher Florian Reil. Wenn es noch lange so weiter gehe, sei besonders im Einzelhandel und der Gastronomie mit einer Insolvenzwelle zu rechnen. Tatsächlich nahmen bis jetzt besonders viele kleine Unternehmen die finanziellen Hilfen des Freistaats in Anspruch: Von den fast 35 0000 Anträgen, die oberbayerische Unternehmen bis vergangene Woche stellten, hatten etwas mehr als Dreiviertel nicht mehr als fünf Beschäftigte. Insgesamt lag der "Zuwendungsbedarf" in Oberbayern laut bayerischem Wirtschaftsministerium bei annähernd 262 Millionen Euro und war damit so hoch wie in keinem anderen Regierungsbezirk. Um die wirtschaftlichen Folgen abzufedern, stockte die bayerische Regierung die Hilfen nun sogar noch einmal auf: Firmen mit bis zu 50 Beschäftigten können nun statt 15 000 Euro bis zu 30 000 Euro beantragen.

Die gute Nachricht in dieser Krise: Zumindest in der Region rund um München zeigt sich in vielen Gemeinden auch Solidarität. In Neubiberg und Kirchheim können Menschen Hilfsgutscheine für lokale Läden erwerben. Die Idee dahinter: Mit einem solchen Gutschein erhalten Einzelhändler und Gastronomen sofort Einnahmen, auch wenn die Kunden erst später einkaufen. Gut 70 seien innerhalb der ersten Tage verkauft worden, sagt der Kirchheimer Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). Für ihn sei das ein Zeichen, dass der Ort zusammenhält. In einer neuen Facebookgruppe bewirbt der Gewerbeverband Haar Unternehmen, die nun ihr Konzept umgestellt haben - von der Metzgerei, die das Fleisch nach Hause bringt, bis zur Yogalehrerin, die Kurse per Video statt im Studio gibt. Auch die Rathäuser in Kirchheim, Ottobrunn und Unterhaching machen auf ihren Websites und über Social Media Werbung für lokale Geschäfte. Und viele Kommunen wie Garching gewähren Unternehmen Steuererleichterungen - zum Beispiel, indem sie die fälligen Gewerbesteuervorauszahlungen herabsetzen. Um die 20 Anträge seien in Garching gleich kurz nach Bekanntgabe der Ausgangsbeschränkungen eingegangen - die meisten davon von mittleren Unternehmen, sagt die stellvertretende Kämmerin Monika Gschlößl.

Die Brauerei Aying verlangt im April keine Pacht

Auch die Brauerei in Aying verzichtet - im April verlangt sie von ihren 30 Wirten keine Pacht. Insgesamt sei das ein niedriger sechsstelliger Betrag, sagt Geschäftsführer Franz Inselkammer. "Wir sehen uns als Partner der Wirte und für die ist die Situation dramatisch." Wenn Fixkosten wie Miete weiterlaufen, aber keine Einnahmen reinkommen, könne das schnell das Ende einer Existenz bedeuten. Doch auch die Brauerei selbst trifft die Krise hart: Der Bierverkauf sei mindestens um die Hälfte eingebrochen. Die Gaststätten sind geschlossen, fast alle Mitarbeiter in Kurzarbeit. In der 140-jährigen Unternehmensgeschichte sei kein Ereignis, nicht einmal der Krieg, so einschneidend gewesen, sagt Inselkammer. Denn kaum jemand rechnete damit, dass das Virus das gesamte öffentliche Leben lahmlegen könnte.

Auch Benedikt Lunemann traf das Virus unvorbereitet. Seine Familie betreibt in Kirchheim seit fast 40 Jahren einen Lieferservice für das Essen in Kitas und Schulen. Als diese wegen des Virus geschlossen wurden, war sein Lager, eine 700 Quadratmeter große Halle, mit Tonnen von Lebensmitteln gefüllt. Lunemann entschied sich, Obst, Gemüse, Milch und Eier an Privatpersonen zu verkaufen. Nach wenigen Tagen war das Lager leer. Lunemann schickte fast alle seiner 40 Mitarbeiter in Kurzarbeit, beantragte Hilfen vom Freistaat, meldete seine Fahrzeuge ab, um Kosten zu sparen. "Wir sind ein gesundes Unternehmen und werden das überleben", sagt Lunemann. Doch gerade liege der Umsatz bei null Prozent - ein wirtschaftlicher Totalschaden und das konnte der Lagerverkauf nicht ausgleichen.

Online-Kurse sind keine Rettung auf Dauer

So ähnlich geht es Claudia Devi Mägdefessel, die seit vier Jahren in Haar ein Yogastudio betreibt. Auch sie kann sich mit ihrer neuen Geschäftsidee nicht auf Dauer retten. Sie bietet seit kurzem Online-Fitnesskurse an. Ihre Kunden können nun im Wohnzimmer per Video-Schalte verfolgen, wie sie die Übungen vormacht. Allerdings würden sich mehr als fünf Kurseinheiten in der Woche nicht lohnen, sagt Mägdefessel. Gerade mal zehn Prozent ihres Umsatzes könne sie damit ausgleichen. Deshalb hat sie die Soforthilfe des Freistaats beantragt und hofft, damit die nächsten ein bis zwei Monate zu überbrücken. "Wenn ich dann nicht wieder öffnen kann, weiß ich nicht, wie es weitergehen soll", sagt Mägdefessel. Denn nun rufen die ersten Kunden an und fragen, ob sie ihre Kurskarten, die sie für März gebucht haben, verlängern könnten. Natürlich mache sie das. Aber sie weiß auch: Jeder, dem sie jetzt die Karte verlängert, wird nicht sofort eine neue kaufen, wenn die Krise vorüber ist. Claudia Devi Mägdefessel versucht dennoch das Positive zu sehen. "Die Erde kann einmal richtig aufatmen, und die Menschen sehen hoffentlich, was ihnen wirklich wichtig ist." Diese Gelassenheit habe sie durch Yoga gelernt.

© SZ vom 01.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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