Kommunalpolitik:Mehr Basisdemokratie wagen

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Was wünschen sich die Menschen für ihr Viertel oder ihre Gemeinde? Die App eines Schweinfurter Start-ups verspricht Kommunen Entscheidungshilfe. (Foto: Johannes Simon)

Mit Hilfe der App "Democy" beteiligen Kirchheim, Neubiberg und neuerdings auch Höhenkirchen-Siegertsbrunn ihre Bürger an Diskussionen und Entscheidungen. Bindend für die Gemeinderäte sind die Abstimmungen aber nicht.

Von Patrik Stäbler, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

"Der Gemeinderat ist die Vertretung der Gemeindebürger." So steht es in der Bayerischen Gemeindeordnung, Artikel 30, Absatz 1. Folglich sollen Gemeinderatsmitglieder ihre Entscheidungen im Sinne der Bürgerschaft treffen - was freilich nicht immer ganz einfach ist. Denn "dem Volk aufs Maul zu schauen", wie es Franz Josef Strauß stets für sich reklamierte, ist leichter gesagt als getan. Welches Gemeinderatsmitglied weiß schon wirklich, ob beispielsweise eine Mehrheit der Menschen in Höhenkirchen-Siegertsbrunn im Kirchenweg einen Radstreifen will? Oder was die Bevölkerung in Neubiberg davon hielte, wenn die Gemeinde den S-Bahn-Kiosk von der Bahn erwerben würde, um ihn zu beleben?

Genau hier setzt die App Democy an, die aktuell drei Gemeinden im Landkreis München nutzen. Haben die Bürger dieses Programm auf ihr Smartphone geladen sowie Wohnort, Alter und Geschlecht angegeben, können sie sich auf dem Bildschirm durch Fragen zur Kommunalpolitik tippen. In Höhenkirchen-Siegertsbrunn, wo man seit Anfang März auf Democy setzt, drehen sich diese etwa um die Kinderbetreuung im Ort, um Radwege und Tempo-30-Zonen, um öffentliche Hotspots und Treffpunkte für Jugendliche. Alle Fragen können mit "Stimme dafür", "Stimme dagegen" oder "Keine Meinung" beantwortet werden; im Anschluss sieht man das bisherige Ergebnis. Zudem können Nutzer auch eigene Fragen vorschlagen, die nach einer Prüfung freigeschaltet werden.

Bürgerbeteiligung analog: Bisher versuchen Kommunen im Rahmen von Veranstaltungen ihre Bürger in Entscheidungen einzubeziehen. (Foto: Sebastian Gabriel)

"Wir verstehen unsere App als digitale Ergänzung zu bestehenden Formaten der Bürgerbeteiligung wie Bürgerversammlungen oder Bürgersprechstunden", sagt Julius Klingenmaier. Der 34-Jährige, der im Landkreis Schweinfurt lebt, ist Gründer und Geschäftsführer von Democy, das die Zeitschrift Brand Eins als "Tinder für Bürgerbeteiligung" bezeichnet hat. Wobei die App "nur der sichtbare Teil des Eisbergs ist", betont Klingenmaier. Weit mehr Zeit und Arbeit entfalle auf die Beratung der Gemeinden. So gebe man Workshops in den Rathäusern, helfe bei der Erstellung der Fragen und begleite die Kommunen bei der Öffentlichkeitsarbeit. "Es geht nicht nur darum, die Bürger zu befragen - und damit ist's gut", sagt Klingenmaier. "Wichtig ist auch, was mit den Ergebnissen passiert, und dass die Bürger darüber informiert werden."

Kurz und knackig: Mal eben auf der Couch zehn Fragen beantworten

Vor knapp fünf Jahren hat Klingenmaier das Start-up Democy gegründet - neben seinem Hauptjob als IT-Spezialist. Heute wird seine Firma vom Bundesinnenministerium gefördert und zählt circa zehn Kommunen zu ihren Kunden. Die allererste war 2019 die Gemeinde Kirchheim, die mehrere Befragungsrunden über die App abhielt. "Der Charme von Democy ist, dass es kurz und knackig ist", sagt Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU). "Da kann man auf der Couch schnell mal zehn Fragen beantworten." Zudem erreiche man gesellschaftliche Gruppen, die bei klassischen Bürgerbeteiligungsformaten oft unterrepräsentiert seien - etwa junge Menschen und Eltern von kleinen Kindern. In Kirchheim wurden die Fragen von den Gemeinderatsfraktionen formuliert. Die Ergebnisse sollten dann in Entscheidungsprozesse einfließen - "als einer von mehreren Orientierungspunkten", so Böltl. Aufgrund diverser Großprojekte wie der neuen Ortsmitte und der Landesgartenschau habe man zuletzt eine Pause in Sachen Democy eingelegt. Mittelfristig jedoch solle die App wieder zum Einsatz kommen.

Als "Stimmungsbarometer" sieht Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) die Ergebnisse der Umfragen. (Foto: Claus Schunk)

In Neubiberg ist die erste Befragungsrunde mit Democy im Herbst angelaufen. Die große Resonanz - insgesamt beteiligten sich mehr als 600 Menschen - habe ihn positiv überrascht, sagt Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU). Er sieht in der App ein "Stimmungsbarometer"; zudem könnten die eingereichten Fragen neue Ideen anstoßen. Alle Themen, bei denen sich in der ersten Runde eine Zwei-Drittel-Mehrheit dafür oder dagegen ausgesprochen hat, lägen nun bei den zuständigen Ämtern im Rathaus, so Pardeller. "Die werden wir neu aufarbeiten oder uns noch mal kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Das heißt aber nicht, dass wir da Entscheidungen vorwegnehmen."

In Höhenkirchen-Siegertsbrunn erhofft sich Bürgermeisterin Mindy Konwitschny (SPD) durch Democy "einen neuen und zusätzlichen Baustein für unsere Bürgerbeteiligung". Zwar nehme die App dem Gemeinderat keine Entscheidungen ab, jedoch gäben die Ergebnisse Hinweise darauf, was die Menschen beschäftige und wie sie aktuelle Projekte einschätzten. Vorerst ein Jahr lang wird die Gemeinde die App nutzen - zum Preis von 8000 Euro. Im Vorfeld hatte es im Gemeinderat durchaus kontroverse Diskussionen gegeben. Kritik richtete sich vor allem an die Anonymität der Abstimmenden. So könnten Ortsfremde "womöglich sogar bewusst das Ergebnis beeinflussen", gab Roland Spingler (CSU) zu bedenken. Dazu sagt Neubibergs Bürgermeister Pardeller: "Das ist sicher ein Kritikpunkt, den es abzuwägen gilt." Er selbst erachte die Gefahr der Einflussnahme jedoch als gering: "Denn wer interessiert sich schon in Buxtehude für Fragen aus Neubiberg?"

Pardeller jedenfalls äußert sich nach den ersten Erfahrungen betont positiv über die Bürgerbeteiligungs-App - auch wenn sie Lokalpolitiker mitunter in die Zwickmühle bringe. So habe beispielsweise der Neubiberger Gemeinderat unlängst beschlossen, die Gestaltung der Vorgärten im Ort mittels einer Satzung zu regeln, sagt der Rathauschef. Bei der Democy-Umfrage hätten dies aber 70 Prozent der Befragten abgelehnt. "Das heißt nicht, dass wir das jetzt nicht machen", betont Thomas Pardeller. "Aber wir sollten uns mit diesem Thema noch mal kritisch auseinandersetzen."

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