Neue Formen der Partizipation:Dampf im Maschinenraum

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Nur ein- bis zweimal im Jahr dürfen Bürger gewöhnlich selbst abstimmen - hier in der Bürgerversammlung für Trudering-Riem. (Foto: Florian Peljak)

Die Stadt München will, dass Bürgerinnen und Bürger verstärkt ihre Anliegen einbringen können. Jetzt gibt es ein Konzept für mehr analoge und digitale Öffentlichkeitsbeteiligung - doch das löst in den lokalen Gremien nicht gerade Begeisterung aus.

Von Nicole Graner

Er muss die 76 Seiten genau gelesen haben. Denn mit Bleistift hat Patric Wolf (CSU), Vorsitzender des Bezirksauschusses (BA) Schwabing-Freimann, so einige Notizen an den Rand geschrieben und mit rosafarbenem Marker Stellen markiert, die ihm wichtig erscheinen. Da heißt es zum Beispiel auf Seite 64 des "Konzepts für die analoge und digitale Öffentlichkeitsbeteiligung", dass Bürgerinnen und Bürgern der Landeshauptstadt München die Möglichkeit gegeben wird, selbst "Debatten zu initiieren", "Vorschläge einzureichen" sowie Quoren und Abstimmungen zu erreichen. "Das machen wir doch alles schon im Bezirksausschuss", sagt Wolf, runzelt die Stirn und zeigt auf das Exposé, das die auf Partizipation spezialisierte Agentur Zebralog erarbeitet und das Direktorium und die städtischen Fachreferate fertiggestellt haben. "Dazu", ergänzt Wolf, "braucht es keine Fachstelle Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation."

Diese Fachstelle soll laut Papier Service-, Koordinierungs-, Kompetenz- und Geschäftsstelle sein. Und eine öffentliche Anlaufstelle für die Realisierung analoger und digitaler Beteiligung. "Sie ist der Maschinenraum." Und wieder runzelt Patric Wolf die Stirn: "Dann wird ja jemand im Maschinenraum sitzen, die Hebel betätigen und sagen, wohin es geht." Für diese Fachstelle wurde, so bestätigt Felix Gertkemper von der Abteilung für zentrale Verwaltungsangelegenheiten im Direktorium, schon "eine Stelle zugesagt".

Ideen sind gefragt: 230 Bürger haben ihre Meinung beim ersten öffentlichen Dialog zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im Nordosten geäußert. (Foto: Sebastian Gabriel)

Der Münchner Stadtrat hatte den externen Dienstleister Zebralog mit Sitz in Bonn beauftragt, ein Konzept für mehr Bürgerbeteiligung zu erarbeiten. Tatsächlich möchte die Stadt vor allem die initiierende Bürgerbeteiligung stärken, Ressourcen bündeln. Und zwar "deutlich", wie Gertkemper sagt. Eine Rolle mag vielleicht auch gespielt haben, dass sich in der Stadt immer mehr Bürgerinitiativen gründen - zum Beispiel zur umstrittenen Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten, zum viergleisigen Gleisausbau der Bahn AG im Osten der Stadt oder zum Grundwassernotstand in Schwabing. Tatsächlich lasse sich beobachten, sagt Oliver Märker von Zebralog, dass es in den Kommunen immer mehr Bürgerinitiativen (BI) gebe. Und das Expertenwissen auf beiden Seiten, also der Kommune und der BIs, immer größer werde.

Bürgervesammlungen sollen häufiger stattfinden

Das Konzept, das dem Stadtrat Anfang des kommenden Jahres vorgelegt werden soll, rückt nicht nur die Fachstelle in den Fokus, sondern auch einen Beirat für Öffentlichkeitsbeteiligung (BÖ). Der BÖ soll "die Einbindung der organisierten und nicht organisierten Öffentlichkeit und deren Vernetzung mit Akteuren aus der Politik und Verwaltung gewährleisten" - und als "Arbeits- und Reflexionsgremium" die Fachstelle unterstützen. Auch die Formen der initiierenden Beteiligung sollen weiterentwickelt werden. Etwa die Bürgerversammlungen. Sie sollen laut Konzept häufiger stattfinden, aber schlanker ausfallen. Digitalisierte Unterstützung vor der Bürgerversammlung sei sinnvoll, ebenso "weniger Inputs, mehr Diskussion". Vergleiche zu Städten wie Nürnberg, Köln oder gar Madrid werden im Konzept herangezogen. In Nürnberg gibt es zum Beispiel eine Fachstelle, die stadtübergreifend die elektronisch unterstützte Öffentlichkeitsbeteiligung unterstützt.

Die Bezirksausschüsse waren anfangs in einem Workshop zur Erstellung des Konzepts mit einbezogen. Und genau das ist einer der großen Kritikpunkte von Patric Wolf am Konzeptpapier. Viele der damals aufgekommenen Gedanken seien überhaupt nicht eingeflossen. Klar könne man, ist sich Wolf bewusst, die Menschen noch mehr für die BA-Arbeit begeistern und "Schwellen" abbauen. Aber: Man würde Hilfestellung gerne annehmen, zum Beispiel was die Unterstützung digitaler Formen betrifft. "Aber in diesem Papier werden krasse Kategorisierungen vorgenommen, also Parallelstrukturen aufgebaut." Wie auch Gegensätze von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. "Das ist falsch", sagt Wolf und verweist darauf, dass BA-Arbeit sowieso auch zivilgesellschaftliche Arbeit sei. Dass vor allem 90 Prozent der Probleme von Bürgerinnen und Bürgern, die an den BA herantreten, auch nur im Viertel gelöst werden könnten. Das werde im Papier gar nicht gesehen. Er verstehe, dass der BA aus Sicht der Verwaltung auch manchmal "unbequem oder unprofessionell" sein könne.

"Das Konzept ist nicht der Endpunkt, sondern der Auftakt."

Wolf ist mit seiner Kritik nicht allein. Auch der Bezirksausschuss Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt kritisiert das Konzept als "sehr kompliziert und nicht leicht verständlich" und wünscht sich "Beteiligungsmöglichkeiten, welche keinen übermäßig großen Zeitaufwand benötigen". Und das Gremium in Obergiesing-Fasangarten macht deutlich, dass man als BA schon jetzt "erfolgreich mit diversen Formaten" den direkten Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern und deren Beteiligung sicherstelle. Man würde es daher begrüßen, wenn die Bezirksausschüsse und ihre Arbeit in diesem Konzept stärker eingebunden würden.

Eine Kritik, die Felix Gertkemper vom Direktorium versteht. "Das alles klingt ziemlich abstrakt, das muss noch konkreter werden", sagt er. Und müsse vor allem den lokalen Bezug abbilden. Denn ein sehr großer Teil der Öffentlichkeitsbeteiligung spiele sich ja in den Bezirksausschüssen ab. Auch Zebralog-Geschäftsführer Oliver Märker weiß das. Ein bisschen "vage" sei das Papier in diesem Punkt geblieben. Er betont aber, dass das Konzept erstmal eine "Vorlage" sei, nicht der "Endpunkt, sondern der Auftakt". Auch richte es das Augenmerk besonders auf die Errichtung der Fachstelle für Öffentlichkeitsarbeit und Partizipation und die informelle Bürgerbeteiligung. Gerade da besteht seiner Meinung nach in München noch Handlungsbedarf. Ein solcher könnte in München auch noch darin bestehen, mehr Bürgeranträge, egal ob sie von Lokalpolitikern oder in Bürgerversammlungen gestellt werden, tatsächlich auch umzusetzen.

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