Bildung:Am Limit

Lesezeit: 3 min

Nicht alle Lehrkräfte sind beim Erreichen des Renteneintrittsalters ausgelaugt. Manche lieben ihren Job so sehr, dass sie sogar verlängern. (Foto: Peter Endig/dpa)

Die Personaldecke an Grund- und Mittelschulen ist dünn. Für kranke Lehrer fehlt der Ersatz. Trotz aller Beteuerungen der Politik ist die "Mobile Reserve" im Landkreis schon wieder aufgebraucht

Von Stefan Galler

Der Fachkräftemangel in Deutschland hat längst die Grund- und Mittelschulen erwischt. Ein besonders schockierendes Beispiel lieferte dafür zuletzt eine Grundschule in der thüringischen Gemeinde Unterwellenborn, die durch den Ausfall mehrerer Lehrkräfte vorübergehend nur noch an vier Tagen Unterricht anbieten konnte.

Das Problem, immer wieder Unterrichtsausfälle überbrücken zu müssen, haben - wenngleich in deutlich überschaubarerem Maße - auch Schulen im Landkreis München. "Wir versuchen selbstverständlich, Ausfälle zu vermeiden", sagt Schulamtsdirektorin Karin Olesch. Da jedoch derzeit alle Pädagogen aus der mobilen Reserve, die nach Bedarf an Schulen eingesetzt werden, verplant seien, müssten manche Schulen improvisieren.

Insbesondere wenn Ausfälle wegen Krankheit oder Schwangerschaft dazukämen. Es besteht nur vage Hoffnung auf Besserung: Von der Staatsregierung gebe es Informationen, dass zum Halbjahr neue Bewerber im Schuldienst anfangen könnten. "Das sind dann Lehramtsstudenten im ersten Studienjahr oder Quereinsteiger", erklärt die Schulamtsdirektorin.

Auf den Schülern lastet hoher Druck

Unter solchen Engpässen leiden die Kinder: Gerade für Dritt- und Viertklässler, die sich in der Entscheidungsphase befinden, welche weiterführende Schule sie besuchen, ist es schwierig, sich auf neue Lehrer einzustellen. Auf den Acht- und Neunjährigen lastet ohnehin hoher Druck - schließlich soll möglichst jedes Kind den Sprung aufs Gymnasium schaffen.

"Die Politik tut so, als ob die Digitalisierung das Hauptthema in den Schulen wäre. Aber was die Schulen wirklich belastet, das ist der Lehrermangel, und zwar nicht nur in Zeiten von Grippewellen", sagt Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV).

Klimaschutz
:Fünf vor zwölf? Viertel nach Zwölf!

Sie bringen sogar Eltern und Lehrkräfte mit: Tausende Jugendliche haben am Freitag die Schule geschwänzt, um in Berlin für den Klimaschutz zu demonstrieren. Und zwar mit harschen Parolen.

Von Jasmin Siebert

In vielen Grund- und Mittelschulen im Landkreis hat es in den vergangenen Jahren Probleme mit mittel- und langfristigen Ausfällen von Lehrern gegeben. Vor zwei Jahren hat das Schulamt aus diesem Grund bereits händeringend nach Aushilfskräften gesucht und dabei ausdrücklich Personen ohne pädagogische Ausbildung angesprochen, um die mobile Reserve aufzustocken. Im Frühjahr 2018 meldeten beispielsweise die Schule am Jagdfeld in Haar, sowie Grundschulen in Ismaning und Unterhaching immense Personalprobleme, in Haar musste sogar einmal der Hausmeister eine Klasse beaufsichtigen.

Auch aktuell gibt es eine Schule im Landkreis, an der "derzeit alles zusammentrifft: eine längere Krankheit, ein Unfall, zahlreiche Ausfälle von Lehrkräften", sagt Karin Olesch. Um welche Schule es sich handelt, möchte die Schulamtsdirektorin nicht verraten. Womöglich meint sie jene der drei Grundschulen in Ottobrunn, an der etliche Schüler einer vierten Klasse unter den Defiziten aus dem vergangenen Schuljahr leiden.

Damals hat sich die Klassenleiterin wegen schwerer Krankheit kurz nach Schuljahresbeginn für längere Zeit abmelden müssen, zunächst wurde sie stundenweise durch Lehrer aus dem eigenen Kollegium ersetzt, dann wurden die Schüler auf andere Klassen aufgeteilt. "Man hat den Kindern angemerkt, dass sie richtig durcheinander waren und sich herumgeschubst fühlten", sagt eine Klassen-Elternsprecherin.

Als sich abzeichnete, dass die ursprüngliche Klassenleiterin so schnell nicht zurückkommen würde, übernahm eine Springerin der mobilen Reserve die Verantwortung. Allerdings handelte es sich bei der Pädagogin um eine Oberstufenlehrerin aus dem Gymnasium, die noch nie eine Grundschulklasse unterrichtet hatte.

"Sie brauchte Zeit, um zu erkennen, dass die Kinder nicht in der Lage waren, ihre hohen Erwartungen zu erfüllen", sagt die Elternsprecherin, die ihren Namen nicht in der Zeitung stehen haben will. Streckenweise sei der Stoff so durchgepeitscht worden, dass Kinder den Anschluss verloren.

Nach und nach hätten sich die fachfremde Lehrkraft und die Klasse angenähert, so dass die Eltern den Wunsch vorbrachten, den Kindern in der vierten Klasse einen neuerlichen Wechsel zu ersparen. Das wiederum ging aus rechtlichen Gründen nicht: Vierte Klassen müssen von Grundschullehrern betreut werden. Mittlerweile hat eine neue Lehrerin die Ottobrunner Klasse wieder in die Spur gebracht: "Vor allem mussten die Kinder ihre Sicherheit beim Bewältigen des Stoffes wiederfinden", sagt die Elternsprecherin.

Lehrermangel bestreitet der Minister vehement

Das Ottobrunner Beispiel ist nur eines von vielen, auch wenn der frühere bayerische Kultusminister Bernd Sibler (CSU) einen Mangel an Lehrkräften noch im Landtagswahlkampf vehement bestritten hat. "Wir haben in Bayern alle Stellen besetzt", sagte er damals dem Bayerischen Rundfunk.

Zusätzlich habe man 4200 Lehrer für das neue Schuljahr angestellt. Für die BLLV-Vorsitzende Fleischmann eine voreilige Aussage: "Im Wahlkampf hatten wir keinen Lehrermangel, jetzt haben wir plötzlich wieder einen und so manche Schulleiterin muss Kinder in der Aula bespaßen."

Der Engpass sei mittlerweile die Regel an Grund- und Mittelschulen in Bayern. "Man darf einfach die mobile Reserve nicht auf Kante nähen, in manchen Landkreisen scheiden durch Burnout oder Schwangerschaften schon in den ersten zwei Monaten einen Schuljahres so viele Lehrkräfte aus, dass die mobile Reserve schon verbraucht ist", so die langjährige Rektorin einer Grundschule in Poing.

Bleibt die Frage, wie man das Problem in den Griff bekommt. Das Kultusministerium treibt ein Programm voran für die Zweitqualifizierung von Gymnasial- und Realschullehrern. Diese werden dann in einem zweijährigen Kurs zu Grund- und Mittelschulpädagogen umgeschult. "Der Zuspruch ist groß", sagt Schulamtsdirektorin Olesch. "Im Ansatz geht es darum, die Lehrkräfte zu sensibilisieren, wie der Unterricht vor allem pädagogisch auf die Grundschüler heruntergebrochen wird."

Fleischmann fordert, endlich die Gehälter zwischen den beiden Gruppen anzupassen: "Die Studenten, die Lehrer werden wollen, schauen natürlich, wo sie gut Geld verdienen können. Und da sind 1200 Euro Einstiegsgehalt in der Grundschule nicht attraktiv. Dabei haben alle Lehrer eine wertvolle Aufgabe." Olesch pflichtet bei: "Eine Angleichung der Bezahlung wäre in der Tat wünschenswert."

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: