Man muss nicht den Filmklassiker "Das Wirtshaus im Spessart" gesehen haben, um zu ahnen, dass Lokale mitten im Wald auch Zeitgenossen anziehen, die nicht ganz astrein beleumundet sind. Das Gebäude mit der Hausnummer 39, das um 1900 an der Stelle des heutigen Waldgasthofes Buchenhain, inmitten von hohen Bäumen zwischen Höllriegelskreuth und Baierbrunn stand, hatte offenbar in seinen Anfangsjahren eine gewisse Anziehungskraft auf zwielichtige Gesellen, denen man Holzfrevel und andere Delikte vorwarf. Nicht zuletzt solche Geschichten und daraus erwachsene Vorbehalte der Behörden untergruben zunächst die Versuche des ersten Eigentümers Gottfried Baumgartner und seines Nachfolgers Anton Ley, eine Konzession zum Ausbau einer Wirtschaft zu erhalten.
Wann und warum genau dort überhaupt das Anwesen erbaut wurde, ist nicht ganz klar, es muss in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen sein, vermutlich hing die Errichtung zusammen mit dem Bau der Isartalbahn. Ley, ein Bauzeichner, Techniker und Maurer aus München, der 1904 das Anwesen übernommen hatte, musste auch noch zwei Jahre mit den Behörden ringen, ehe er eine Schankerlaubnis für die Sommersaison erhielt - bis dahin war dort nur Handel mit Flaschenbier und Brot gestattet.
Nicht förderlich gewesen war die Tatsache, dass sich im Sommer 1904 eine Betrügerbande im Haus einquartiert hatte - wie in der Baierbrunner Chronik von Joachim Lauchs zu lesen ist. Das königliche Bezirksamt Wolfratshausen verneinte noch im Dezember 1904 nicht nur die gastronomische Bedürfnisfrage, obwohl damals vermutlich schon viele Spaziergänger auf ihrem Weg von Höllriegelskreuth nach Baierbrunn das Gebäude passierten, sondern stellte auch kritisch fest, "dass die Gastwirtschaft des Ley für zweifelhafte Elemente aus München ein willkommener Unterschlupf wird,..., zumal die Kontrolle bei der isolierten Lage des Hauses sehr erschwert ist." Nun, im Juni 1906 wurde dann doch eine Erlaubnis zum Betrieb zumindest einer Sommerwirtschaft erteilt, die den Namen "(zum) Buchenhain" erhielt - "zweifellos ein treffender, aber auch wohlklingender Name", wie die Autoren Fritz Schweinsberg und Hubert Kastner in dem Büchlein "Buchenhainer G'schichten" schreiben.
Stefan Kastner, der aktuelle Wirt und Inhaber des Waldgasthofs Buchenhain, schmunzelt; er kennt diese Geschichten natürlich auch - Anton Ley ist sein Urgroßvater. Das Haus, das er als Familienbetrieb in vierter Generation führt - mit seiner niederländischen Frau Rina den Drijver -, ist heute natürlich alles andere als ein Magnet für lichtscheue Elemente, sondern ein ziemlich edel und rustikal eingerichtetes Gasthaus mit Hotel sowie einem großen und in Umfragen immer wieder als besonders beliebt prämierten Biergarten. Anders als in den früheren Jahren - zeitweise gab es noch drei weitere Wirtshäuser in Baierbrunn - ist es mittlerweile das einzige Lokal am Ort (der deutlich ältere, traditionsreiche Gasthof zur Post in einem denkmalgeschützten Gebäude an der Wolfratshauser Straße ist seit Sommer 2019 geschlossen). Der hübsch zwischen Waldrand und der S-Bahnhaltestelle "Buchenhain" gelegene Hotelgasthof erfreut sich guter Resonanz. Selbst das von der Pandemie überschattete Jahr 2020 hat man relativ unbeschadet überstanden. "Wir haben sehr gute Voraussetzungen hier", sagt Kastner, der das Haus 2011 übernommen hat. Er hat den Lockdown und die Folgezeit genutzt, den ohnehin durch großzügige räumlichen Dimensionen gekennzeichneten Biergarten umzuorganisieren und zu erweitern: 800 Plätze stehen dort derzeit zur Verfügung, es gibt eine Grillstation, eine massive Holzbar und eine Bühne für kleine Auftritte. Essen zum Mitnehmen bietet Kastner ohnehin an. Auch wenn die coronabedingte Zäsur ihre negativen Folgen zeitigte - Kastner hat etwa aus finanziellen Gründen seine 400 Flaschen umfassende Whisky-Sammlung versteigert - brummt der Garten wieder. Kurzarbeit gibt es schon länger nicht mehr, auch das Hotel mit seinen 42 Zimmern ist passabel belegt. "Normal haben wir 65 Prozent Belegungsrate", so Kastner, "ich denke, dass wir in diesem Jahr auf 50 Prozent kommen."
Das Hotel gibt es seit 1970, der Biergarten wurde bereits in den 1920ern zum Anziehungspunkt, von damals bis zu 3000 Sitzplätzen ist die Rede. Vor knapp hundert Jahren, im März 1922, hatte Kastners Urgroßmutter Lina Ley endlich eine Konzession zum Betrieb der ganzjährigen Gastwirtschaft bekommen. Der etwas zweifelhafte Ruf der Anfangsjahre war passé. Ein Bericht des Bezirksamtes an die Regierung von Oberbayern im Oktober 1928 betont, dass der Wirtschaftsbetrieb seit Jahren keinen Anlass zur Beanstandung gegeben habe. Auch die Kletterer, die im nahen Klettergarten ihre Fertigkeiten übten, kehrten gerne hier ein, darunter sogar der spätere Papst Pius XII. (siehe Infokasten). Ein Familiendrama hat es indes 1922 gegeben, als bei einem Brand die Ley-Tochter Elisabeth zusammen mit einem anderen zweijährigen Mädchen aus der Nachbarschaft ums Leben kam. Vater Toni Ley starb 1930, die Söhne Anton und Leonhard kamen nicht aus dem Weltkrieg zurück und die Witwe Lina Ley blieb bis 1966 Chefin des Hauses.
Der Saal der Waldgaststätte fungierte wiederum nach dem Krieg sogar für eine Weile als Kino, auf Initiative des späteren Baierbrunner Bürgermeisters August Tauscheck, der damals im Filmzentrum Geiselgasteig arbeitete. Am 13. Mai 1950 wurde die Haltestelle an der Isartalbahn eröffnet, der heutige S-Bahn-Stopp, und der Name "Buchenhain" offiziell auf den Ortsteil erweitert. Wirtstochter Antonie Ley, die den Förster Fritz Kastner heiratete, übernahm das Haus 1966, im Jahr 1982 ging die Führung an Christine und Hubert Kastner über. Die Wirtschaft lief nicht schlecht, unter anderem trafen sich hier, so Stefan Kastner, auch Mitarbeiter des BND aus dem nahen Pullach. Von 2000 an ging es allerdings peu à peu bergab. Regelmäßige Seniorenausflüge und "Schnitzeltage" allein reichten nur noch für eine begrenzte Attraktivität.
Stefan Kastner, der unter anderem die renommierte École hôtelière in Lausanne besuchte und später im gehobenen Hotelsektor arbeitete - aber auch mal eine Weile im Internet mit Uhren handelte - kümmerte sich erst mit seinen beiden Geschwistern, später allein um den Betrieb. Der teils baufällige, vernachlässigte Gebäudekomplex wurde hergerichtet (und apricotfarben gestrichen), die Küchenphilosophie änderte sich ("Große Weinkarte, kleine Speisekarte"), die Ausrichtung ging auch verstärkt Richtung Münchner und überregionale Gäste. Für manche Traditionalisten mag der Waldgasthof einen Teil seiner bajuwarischen Ursprünglichkeit verloren haben und zu "schick" geworden sein. Kastner, 55, kann ob der Resonanz darüber hinwegsehen: "Am Anfang war schon Ressentiment da. Aber wir sind, wie wir sind." Ein Schicki-Micki-Lokal wolle man freilich nicht sein, genau so wenig wie einst ein Unterschlupf für zwielichtige Zeitgenossen.