Oper:Revision im Ideen-Reich

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Die Gedanken des Musiker Schaunard rezitiert Risto Kübar, selbst freier Schauspieler. (Foto: Fatih Kurceren)

Mit dem Opernprojekt "La Bohème 2022" weisen Carl Oesterhelt, Matthias Günther und das Ensemble für Synkretische Musik auf die schwierige Lage von Künstlern in der Corona-Zeit hin.

Von Egbert Tholl, München

Es beginnt ungefähr so: "Kürzlich fragte mich jemand: Kennst du diese berühmte opulente Oper ,La Bohème'? Das ist eine klischeehafte Verklärung des Künstlertums, komponiert von dem berühmten Giacomo Puccini nach dem berühmten Roman ,Les scènes de la vie de bohème' von dem Wassertrinker Henri Murger." Alles beginnt in einem Dachgeschoss, dort frieren die armen Künstler Rodolfo, ein Dichter, und Marcello, ein Maler, vor einem kalten Ofen. "Sie haben kein Brennholz und würden sich doch so gerne vom Rotz ihrer schniefenden Nasen ein Künstlersüppchen kochen." Rodolfo entzündet eines seiner Manuskripte, kurz wird es wärmer. Der Philosoph Colline betritt die Bühne und sagt nun so etwas wie: "Dies ist meine Lederjacke, die trug einst Jean-Paul Sartre, als er ins wilde Leben geworfen wurde." Als letzter kommt Schaunard, ein Musiker, der gerade einen Auftrag erhalten hat, was er hier allerdings so kommentiert: "Ich verspeise die Tasten von meinem Klavier wie einen Schokoriegel und gebe verbrauchte Energie zurück." Dann kaut er sich eine Melodie zusammen, eine "Études sur La Bohème".

Eben, eine Etüde über Puccinis "Bohème", verfasst von Carl Oesterhelt und Matthias Günther. Der eine ist ein Experimentalmusiker, der andere war Dramaturg an den Münchner Kammerspielen, macht dasselbe nun in Hamburg. Beide eint die Lust an Unternehmungen, die nicht der Norm des künstlerischen Betriebs entsprechen. Gemeinsam und zusammen mit dem Ensemble für Synkretische Musik erdachten sie sich "La Bohème 2022", ein Projekt, das sich der Kernaussage von Giacomo Puccinis Oper widmet, die Musik entromantisiert, aufs Wesentliche reduziert. Im Bestreben, ein richtiges Künstlerleben zu führen, findet eine Revision der Erwartungen statt. Und eine solche Revision mussten in der vergangenen zweieinhalb Jahren viele Künstler erleben.

Der Barmann spielt den Philosophen

"La Bohème 2022" besteht aus vier Teilen an vier Abenden, jeder stellt eine der vier Künstlerfiguren der Oper ins Zentrum. Beginn ist die Uraufführung Mittwoch, 6. Juli, 20 Uhr, in der Muffathalle, "Die Gedanken des Musikers Schaunard", integriert in jene "Études sur La Bohème", vorgetragen vom freien Schauspieler-Atom Risto Kübar. Oesterhelt schrieb die Musik, Günther den Text, Videos machte er auch. Zum Abend gehört auch noch Olivier Messiaens "Louange a l'immortalite de Jesus" von 1942 für Violine und Klavier. Teil zwei des Gesamtprojekts folgt am 21. Juli in der Bar Gabányi am Beethovenplatz und widmet sich dem Philosophen Colline, der im Barmann selbst seine Verkörperung findet. Teil drei gilt dem Maler Marcello, am 15. November 2022 im Schwere Reiter. Und der Abschluss, oder wahrscheinlich besser: die Synthese, stellt den Dichter Rodolfo ins Zentrum, am 2. Dezember im Köşk, Schrenkstraße 8.

Für alle Teile schrieb Oesterhelt Musik für das Ensemble für Synkretische Musik, der ein bestehendes Werk, eben Messiaen oder auch ein Streichquartett von Webern gegenübergestellt wird. Ziel des Ganzen ist die vermutlich wenig larmoyante Absage an eine klischeehafte Verklärung des Künstlertums. Durch eine dekonstruierte Neuinterpretation des Werks setzt sich das Ensemble mit der brisanten Prekarisierung unter Künstlern auseinander, deren Folgen vor allem während der Pandemie deutlich spürbar wurden: "Du starrst in den leeren Zuschauerraum. Der Pförtner hockt im gut gesicherten Glaskasten am Bühneneingang der gut gesponserten Oper. Die Reichen haben dich einst gespeist. Du warst besoffen in deinem Künstlerelend der ach so gescheiterten Ideen."

La Bohème 2022, 1. Teil, Mi., 6. Juli, 20 Uhr, Muffathalle

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