ZDF-Serie als Musical im Deutschen Theater:Das tanzende Wirtschaftswunder

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Als Deutschland Rock'n'Roll war: "Ku'damm 56" erzählt vom Aufbegehren der Jugend. (Foto: Jörn Hartmann)

Der ZDF-Renner "Ku'damm 56" als Musical, kann das gut gehen? Die Drehbuchautorin Annette Hess und die Popstar-Liedermacher Ulf Leo Sommer und Peter Plate haben es gewagt - und gewonnen.

Von Michael Zirnstein

Die Frage "Wie machen die das nur?" muss bei Peter Plate und Ulf Leo Sommer zweifach gestellt werden: Wie schreiben die beiden Berliner die erfolgreichsten Lieder und Alben mit den deutschen Stars von Helene Fischer über Roland Kaiser bis Sarah Connor? Und wie wurde das Duo jetzt auch noch zu den gefragtesten Musical-Machern des Landes? Das eine muss ja nicht zwangsläufig zum anderen führen.

Also, woher kennt man die? Peter Plate, das war der Mann bei Rosenstolz. Die Chanson-Pop-Superstars gossen im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends ihr Herz in unzählige Lieder, und bekamen Liebe, Gold- und Platin-Auszeichnungen dafür zurück: "Liebe ist alles". Weniger bekannt war, dass außer der Sängerin Anna R. auch Plates damaliger Liebling, der bühnenscheue Ulf Leo Sommer, mitmischte. Diese Autoren-Partnerschaft hielt dann länger als Rosenstolz; und auch sie, sagen Plate und Sommer, seien zwar kein Paar mehr, aber als Texter-Komponisten-Gespann harmonieren und zoffen und schaffen die Freunde wie frisch verliebte Eheleute.

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Wer Hits nicht nur gerne hört, sondern auch mal die Autoren-Credits liest, findet ihre Namen schon 2001 bei "Daylight in Your Eyes" von den No Angels, später beim Album "36 Grad" von 2Raumwohnung und bei Helene Fischers Dauerbrenner "Unser Tag", es folgten "Der perfekte Moment" mit Max Raabe; und dass Sarah Connor vor zehn Jahren mit deutschen Texten all ihre Triumphe toppte, lag auch an Plate/Sommer: "Vincent kriegt kein' hoch, wenn er an Frauen denkt ..." etwa haben sie mit ihr zusammen durchgeboxt, gegen die Plattenfirma und gegen die eigenen Bedenken ("Sarah, bitte missbrauch' uns nicht für einen Schwulensong ...").

Sie erzählen auch, wie Roland Kaiser ("ein Denkmal!") ihnen imponiert habe, als er sich gegen die Pegida und rechte Fans auflehnte, und wie sie ihm dann anboten, eine Friedenshymne zu schreiben. Jetzt ziehen in Kaisers Konzerten Tausende bei "Liebe kann uns retten" weiße Taschentücher raus. Für solche Momente machen sie das. Und nur mit Leuten, mit denen sie können. "Ich muss mich immer verlieben", sagt Sommer. Aber mit anderen zu schreiben, sei eben auch "wie Sex: Man zieht sich voreinander aus. Jede doofe Idee muss auf den Tisch, manchmal ist es die doofste, die gut ist."

Peter Plate (li.) und Ulf Leo Sommer sind kein Paar mehr, aber als Freunde und Songwriter-Duo harmonieren sie super. (Foto: IMAGO/APress)
Hat 300 Seiten ihres Drehbuchs auf 100 Seiten fürs Libretto eingedampft: Annette Hess. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Auftragsarbeiten gehen daher meistens schief, das erklären sie bei einem Interview neulich im Bayerischen Hof in München. Mit in der Sitzgruppe dabei: Annette Hess, mit den Fernsehserien "Weißensee", "Wir Kinder vom Bahnhofzoo" und der "Ku'damm"-Dreiteiler-Trilogie eine der erfolgreichsten Drehbuchautorinnen des Landes, ausgezeichnet mit dem Grimme- und Fernsehpreis, immer mit Haltung und Anspruch bei der Arbeit, etwa ihrem Buch über den Auschwitz-Prozess.

2020 wollte man die Bedächtige also mit den zwei Herz-Hit-Handwerkern zusammenspannen, die von sich sagen: "Musikmachen ist wie Sandkastenspielen." Würde das passen? Sie hatte noch nie ein Libretto geschrieben, und Plate und Sommer hatten "noch nie so einen Riesenschinken" gemacht. Aber die zwei hatten zuvor jede einzelne Folge von Hess' TV-Straßenfeger (im Schnitt sechs Millionen Zuschauer) über die Familie Schöllack und deren Tanzschule im Nachkriegswehen-Berlin gefeiert. Sie hätten noch nie in ihrem Leben "zu einer Anfrage so schnell ja gesagt".

Drei Schwestern, drei Träume (v.l.): Helga (Pamina Lenn) will die perfekte Hausfrau sein, Eva (Isabel Waltgott) ihren Professor heiraten, Monika (Sandra Leitner) weiß noch nicht so recht, was sie von den Männern halten soll. (Foto: Joern Hartmann)

Show-Erfahrung hatten sie aber durchaus. Man könnte sogar sagen, dass ein Musical das Saatkorn von allem bei Plate war: Als Gymnasiast hatte er "Justus und das Land der Träume" inszeniert, ganz ohne Lehrer, queer besetzt mit einem weiblichen Justus, es ging um Burnout bei Jugendlichen. Als er nach der zehnten Klasse auf die FOS für Sozialpädagogik wechselte und in der Theater AG Brecht spielen sollte, fragte er den Lehrer (was ihm heute peinlich ist): "Die Musik ist schrecklich - darf ich neue schreiben?" Es braucht, sagen Plate und Sommer, mehr solche Anti-Autoritäten, die "die Kids einfach machen lassen". So wie sie jetzt bei "Ku'damm 56 - das Musical" von den Produzenten "in Ruhe gelassen wurden. Das ist der Schlüssel zur Kreativität."

Kurz erwähnt sei die Musik zu den "Bibi & Tina"-Filmen, die nicht nur zu äußerst erfolgreich tourenden Teenager-Shows führte (14. Februar 2024, München, Olympiahalle), ohne Pferde zwar, aber mit Gute-Laute-Singalongs wie "Mädchen auf dem Pferd", das 2023 mit neuem Techno-Wumms zum Sommer- und Club-Hit wurde. Und dann war da "Romeo & Julia" als Musical, ein erster Versuch 2014 in Kiel, seit 2023 der nächste "große Smash-Hit" in Berlin.

Großes Musical mit kleinem Budget: "Ku'damm 56". (Foto: Jörn Hartmann)

Die Musical- und Rosenstolz-Gemeinde sei immer etwas argwöhnisch bei Neuem, sagen sie. Und dann bekommen sie sie doch herum. "Ku'damm 56" hatte nach 15 Monaten im Theater des Westens nicht nur mehr als 300000 Besucher und vier Preise beim Deutschen Musical Preis 2022 (bestes Musical, beste Komposition), sondern auch richtige Fans, die sich mit Petticoat verkleideten, ein Ticket-Rekordhalter kam achtzigmal. So was kennt man sonst nur aus dem Londoner Westend, nicht von einem "urdeutschen Musical", wie sie es im Sinn hatten.

Das Kreativ-Team ist von hier, wie Regisseur Christoph Drewitz ("Fack ju Göhte"), die Schauspieler seien Riesentalente (Musical-Preis für die beste Hauptdarstellerin: Katja Uhlig), und die Themen in dieser Geschichten sind auch verschweißt mit dem Schicksal der Nation: Kriegstrauma, Waffenfirmen und Benimmkurse auf der einen Seite, jugendliches Aufbegehren, Fußball und Rockkultur-Liebe auf der anderen. Zudem geht es um eine Vergewaltigung und unterdrückte Homosexualität.

Der Sänger Freddy hat den Holocaust überlebt - die Themen sind im Musical keine leichten. (Foto: Jörn Hartmann)

In den Zwanzigern sei man einmal schon viel weiter gewesen, sagt Sommer, und jetzt, da die deutsche Rechte wieder erstarke, müsse man sich immer vor Augen halten: "Was wir an Freiheiten erkämpft haben, kann uns blitzschnell wieder weggenommen werden: History repeating!" Annette Hess hat geschockt auf die Flugblatt-Affäre um den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger reagiert: "Ich habe einen halben Tag nicht atmen können." Dann schrieb sie für München, das erste Gastspiel außerhalb Berlins, einen Dialog dafür um: "Freddy, eine unserer Hauptfiguren, ist ja ein den Holocaust überlebender Rock'n'Roller."

Es soll nicht zu schwer werden. Aber die Zuschauer sollen beim Mitsingen eine Meinung entwickeln. "Haltung mit Humor ist unser Credo", sagt Ulf Leo Sommer, "die Welt geht vor die Hunde, aber wir tanzen dazu." Ihre schmissigen Songs wie "Berlin, Berlin" sind der Soundtrack dazu; "Melodien", sagen sie, "sind die Königsdisziplin". Man merkt, dass sie sich an die Arbeit gemacht haben wie an eine Pop-Album-Produktion.

Schön zu sehen, dass die drei Fans ihres eigenen Musicals sind. Und Fans wollen immer mehr. Mit ihrer neuen Freundin Annette Hess überlegten Plate und Sommer schon bald, was sie als Nächstes machen könnten. Sie habe "irgendein Nordpol-Dings" vorgeschlagen, aber "eure Minen waren versteinert". "Das war das Botox", scherzt Plate. Aber die drei waren sich bald einig, eine "Schnapsidee" auf die Bühne zu bringen: Nach "Ku'damm 56" stehen sie in den Startlöchern für ein "Ku'damm 59"-Musical zu Teil 2 der ZDF-Reihe (die auch einen vierten Teil bekommen soll). Ein Singspiel mit einer Fortsetzung, das ist einmalig - nicht nur in Deutschland.

Ku'Damm 56 - Das Musical, Mi., 29. Nov., bis Sa., 16. Dez., München, Deutsches Theater

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