München-Image:Zu schön, um hip zu sein

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Viele Kreative finden München langweilig, gerade Nachwuchskräfte ziehen lieber nach Berlin oder Hamburg. Das wird für die bayerische Hauptstadt zum Problem.

Von Michael Bremmer

Zu fad. Zu stad. Langweilig. Diese Eigenschaften verbinden Münchner Werbeagenturen mit ihrer Heimatstadt. Obwohl die Kultur- und Kreativwirtschaft - dazu gehören etwa Filmfirmen, Musiklabels und Verlage - in München boomt und auch die Werber mit guten Umsatzzahlen an dieser Entwicklung beteiligt sind, ist die Branche zunehmend unzufrieden mit dem Standort München.

Das Image der Stadt sei schuld am Fachkräftemangel, urteilten Fachleute bei einem Branchentreffen im Oktober 2016 auf der Praterinsel. Ihre Aussage: "Personal für Agenturen ist schwer zu bekommen, da München als Standort nicht attraktiv genug ist." Nicht attraktiv genug? "Die Außenwahrnehmung Münchens wird immer noch überlagert von Klischees, die nicht der Realität entsprechen", erklärt Jennifer Becker vom Münchner Kulturreferat. Dabei werde der Stadt in zahlreichen Befragungen und Vergleichen stets Internationalität, kreatives Potenzial und eine außerordentlich hohe Lebensqualität bescheinigt.

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"Die breite und ausgewogene Wirtschafts- und Branchenstruktur, die hervorragende Infrastruktur sowie ein vielfältiges Kultur- und Freizeitangebot stehen für Münchens Attraktivität", lobt sich der Wirtschaftsstandort selbst im Internet. Gesucht werden aber von der Werbewirtschaft oder der Computerspiele-Industrie junge Fachkräfte - und bei denen kann die Stadt nicht mit ihrer Hochkultur und Ausflügen ins Voralpenland punkten.

Gefragt sind andere Qualitäten - hier geht es um den Wirtschaftsfaktor Pop: um Konzertbühnen, auf denen quer durch alle Genres Entdeckungen gemacht werden können. Subkultur hat hierbei eine große Bedeutung, also Angebote jenseits des Massengeschmacks. Und auch eine Nachtkultur jenseits der Großraumdiscos spielt für junge Menschen eine Rolle bei der Entscheidung, einen Arbeitsplatz in München anzunehmen.

"München spricht alte Menschen an", sagt Sho Tatai von der Münchner Werbeagentur Serviceplan. "Nichts gegen Hochkultur. Aber das interessiert junge Menschen nicht. Ich kenne keinen jungen Menschen, der in die Oper geht, nicht mal jemanden aus meinem Jahrgang." Tatai ist Jahrgang 1985, seine Aufgabe bei der Werbeagentur ist es, junge Fachkräfte nach München zu locken. Aber diese Aufgabe wird, wie er sagt, immer schwieriger. Das liegt zum einen an der Branche selbst - an dem Image, wenig Geld zu zahlen und dafür lange Arbeitszeiten einzufordern, sind die Werber selbst schuld.

Das andere Problem liegt am Standort. "Die Stadt München beziehungsweise die Entscheider haben keinen Plan, was die jungen Menschen interessiert", sagt Tatai. München sei nicht dafür bekannt, eine wirtschaftlich kreative Stadt zu sein. München habe im Vergleich zu Hamburg und Berlin eine viel kleinere Subkultur, eine viel geringere kreative Ausrichtung - deswegen hätten Kreativ-Agenturen meist ihren Sitz in Hamburg und Berlin. Und die besten jungen Bewerber ziehe es dann eben dorthin.

Dem will die Münchner Werbebranche ein klein wenig entgegenwirken. Zehn Agenturen bieten gemeinsam mit der Stadt für das Sommersemester 2019 das Projekt "Take Munich" an. Kreative Berufseinsteiger sollen für ihr Pflichtpraktikum an die Isar gelockt werden. Das Besondere: Für die drei Monate werden 2000 Euro gezahlt, und eine "Wohnung gibt es for free", sagt Petra Lorenz, Geschäftsführerin des Bayerischen Werbefachverbands Comm Clubs.

In den drei Monaten sollen die Praktikanten aber nicht nur arbeiten. "Wenn die jungen Talente vor Ort sind, werden wir ihnen viele verschiedene Facetten der Stadt näher bringen. Und da ist das Nachtleben auch eine Facette", erklärt Lorenz. Der Hintergedanke: Wer einmal in Studienzeiten in München gelebt hat, entwickelt keine Vorurteile, sondern baut die Stadt in die Karriereoptionen ein.

Münchens Pop- und Nachtkultur ist durchaus besser als ihr Ruf. Aber schon Josef Schmid, ehemaliger Zweiter Bürgermeister, der kürzlich vom Rathaus in den Landtag wechselte, musste 2017 bei einer Podiumsdiskussion eingestehen, dass die Szene nicht wegen, sondern trotz München spannend sei. Seitdem hat sich die Situation eher verschlechtert.

Einige Bands sind nach Berlin gezogen, die Anzahl der Clubs hat sich in den vergangenen Jahren fast halbiert. Die Milla, ein Club mit einem bundesweit beachteten Programm, ist wegen Anwohnerbeschwerden gefährdet. Und zuletzt schimpfte David Süß über die Stadtpolitik. Er ist der Betreiber des Harry Klein - der Electro-Club ist ebenfalls gefähdet, weil das Haus einem neuen Hotel weichen soll.

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Süß fragte, ob junge Veranstalter eine Chance in München bekommen, sich auszuprobieren, Freiräume zu besetzen und eine spannende Nachtkultur zu entwickeln. "Die Hürden für die Kreativen" sollten nicht so hoch sein, meint Süß: "Warum muss gerade die junge Kultur solche Räume selbst finanzieren und solches unternehmerisches Risiko eingehen?" Immerhin: Für diesen Montag lädt die Stadt zu einem Pop-Hearing ins Feierwerk ein. Musiker und Veranstalter sollen diskutieren, in wie weit sich München für ihre Bedürfnisse verändern muss.

Dass die Stadt etwas tun muss, zeigt sich auch in einem aktuellen Städteranking der Wirtschaftswoche. Zwar liegt München hier - wie nahezu in allen Studien - auf Rang eins der 71 verglichenen deutschen Großstädte. Es wurde aber auch die Zukunftsfähigkeit untersucht - und hier liegt München nur auf Platz vier. Die Kultur- und Kreativwirtschaft treibt zudem schon länger um, dass es zu wenige Hochschulabsolventen gibt - hier belegt München den 32. Platz.

Und noch eine Erkenntnis bereitet der Kreativwirtschaft Sorgen. "In München besteht die Gefahr, gewerblich zu verkrusten", sagt Michael Söndermann, große Unternehmen bleiben, die kleinen Kreativen verschwinden. Der Sozialwissenschaftler, Jahrgang 1951, ist seit mehr als 20 Jahren in der Kulturwirtschaftsforschung tätig und verfasst regelmäßig für die Stadt und die Metropolregion Kulturwirtschaftsanalysen. Seine Zahlen belegen, dass München deutschlandweit und auch in Europa bestens dasteht - allerdings bemerkt er in den vergangenen Jahren eine strukturell schlechte Entwicklung bei den Selbständigen.

"Für die Kultur- und Kreativwirtschaft ist es ein schlechtes Zeichen, wenn sich hier nichts tut", sagt Söndermann. Diese Stagnation zeige, dass die Selbständigen kein Vertrauen in den Standort haben. In der aktuellen Studie für die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) für Oberbayern schreibt Söndermann: "Wenn die kleinen Künstler und Kreativen in andere Regionen abwandern, wird die KKW des Großraumes München auf mittlere Sicht erheblich weniger kreatives Potenzial entwickeln können." Dies sei aber eine zwingend notwendige Voraussetzung dafür, im Städteranking weiter führend zu sein.

Falls sich nichts ändert, sieht Söndermann schwarz: "Es wird keine eigenständige kreative Produktion in München laufen", sagt er, "Kleine haben keine Chance zu überleben", die Großen würden sich stattdessen die Leistungen international einkaufen. Sein Lösungsansatz: Um die Talent- und Kreativszene zu stärken, müssten für diesen Bereich extra Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ein Wunsch, den Jürgen Enninger, Leiter im Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft der Landeshauptstadt, unterstützt, aber nicht pauschal betrachten möchte: "Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für kultur- und kreativwirtschaftliches Arbeiten in München erlauben keine einfache Lösungen. Die Anforderungen sind differenziert und die dafür nötigen nächsten Schritte hängen sehr von der Situation in den jeweiligen Branchen ab", sagt er.

Söndermann ist pragmatischer. Die Stadt müsse internationale Spitzenleute holen. Man benötige kreative Entwicklungshelfer in allen Bereichen, um junge Leute anzulocken. Söndermann sagt: "Wenn die Stadt wirklich eine kreative Infrastruktur entwickeln will, dann muss sie viel Geld in die Hand nehmen. Auf jeden Fall eine Summe wie für die Hochkultur."

© SZ vom 01.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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