Münchenzulage:Ein Wahlgeschenk, das andere bezahlen müssen

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Pflegekräfte werden seit der Corona-Pandemie als systemrelevant angesehen, verbessert hat sich ihre Lage trotzdem nicht. (Foto: Federico Gambarini/dpa)
  • Die Verdoppelung der Münchenzulage für Beschäftigte in der Pflegebranche ruft bei Sozialverbänden Kritik hervor.
  • Denn wer für die zusätzlichen Kosten aufkommen soll, ist unklar - die Verbände befürchten, darauf sitzen zu bleiben.
  • Dass die Beschäftigten besser bezahlt werden müssten, sei zwar notwendig, meint etwa die Caritas. Nur die Umsetzung sei fraglich.

Von Heiner Effern und Sven Loerzer, München

Die auf 270 Euro verdoppelte Münchenzulage für Beschäftigte der Stadtverwaltung stellt die Träger sozialer Einrichtungen vor große Probleme: So rechnet der Caritasverband für München und Oberbayern bei einer Einführung für seine Belegschaft mit Mehrkosten in Höhe von 14 Millionen Euro jährlich. Auf mindestens einem Drittel bis zur Hälfte der zusätzlichen Kosten wird die Caritas wohl sitzen bleiben.

Caritasdirektor Georg Falterbaum bezeichnete es als "nicht akzeptabel, wenn Wahlgeschenke verteilt werden, die zumindest teilweise dann andere bezahlen müssen". Das zeigt sich beispielhaft an den Pflegeheimen, die ihren Pflegesatz für Bewohner um bis zu 250 Euro monatlich erhöhen müssten, um die Kosten zu decken. Diesem Dilemma versuchte sich jetzt der städtische Träger Münchenstift zu entziehen: Der Aufsichtsrat beschloss zwar die Zulagen, die vom 1. April den 1900 Beschäftigten gezahlt werden sollen, wollte aber offenbar eine Entscheidung über die Finanzierung nicht mehr vor der Wahl treffen. Inzwischen ist über das weitere Vorgehen ein handfester politischer Streit entbrannt.

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Für Pflegekräfte bedeutet das mehr Geld, für Heimbewohner womöglich höhere Kosten. Die Finanzierungsfrage ist noch nicht final geklärt.

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Dass die Stadt die Zulage finanziert, dafür gibt es kaum eine Chance. Sollte das überhaupt zulässig sein, müssten auch alle anderen Pflegeheimträger den Betrag erhalten. Allein für das städtische Unternehmen aber wären das schon mehr als sechs Millionen Euro jährlich, bei der Arbeiterwohlfahrt 2,1 Millionen Euro für 650 Beschäftigte. Würde das auf die Pflegesätze umgelegt, müssten sie im Schnitt um bis zu 250 Euro monatlich steigen. Weil aber auch zusätzlich die üblichen jährlichen Tariferhöhungen und enorme Investitionen in Bau und Digitalisierung anstehen, sollte der Münchenstift-Aufsichtsrat offenbar sogar eine Steigerung von 400 Euro genehmigen. Doch der Widerstand im Aufsichtsrat war groß, zumal eine solche Erhöhung etwa zwei Drittel der Bewohner träfe - die Selbstzahler, die trotz Pflegeversicherung ohnehin schon Kosten von mehr als 2000 Euro tragen müssen. "Eine Erhöhung um 400 Euro wird es mit mir nicht geben", erklärte SPD-Fraktionschef Christian Müller, der sich "von der Geschäftsführung in keiner Weise gut informiert" fühlt.

Grünen-Stadtratsfraktionschefin Katrin Habenschaden findet es zwar "billig und recht", wenn die Münchenstift-Beschäftigten auch die Zulage bekämen, aber nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen und ihrer Familien. Altenpflege einschließlich angemessener Bezahlung sei eine gesamtstädtische Aufgabe. Daher stehe "die Stadt in der Pflicht, ähnlich wie bei vielen anderen Einrichtungen im sozialen Bereich", die Finanzierung der Münchenzulage sicherzustellen. Mit einem Antrag zur dringlichen Behandlung im Sozialausschuss am 12. März, also drei Tage vor der Kommunalwahl, wollen die Grünen/Rosa Liste erreichen, dass die Zulage nicht durch eine Erhöhung der Pflegesätze finanziert wird. Wie das gehen soll, bleibt offen: Die Verwaltung solle andere Vorschläge machen. Müller hält von dem Antrag angesichts der Rechtslage nichts. Die Grünen sollten lieber Münchenstift-Geschäftsführer Siegfried Benker, der auch lange Jahre Fraktionschef der Grünen im Stadtrat war, an die Kandare nehmen.

Die Arbeiterwohlfahrt reagierte erbost, sie erwartet eine Gleichbehandlung: "Eine Finanzierung der Münchenzulage durch die Hintertür darf es für das Münchenstift nicht geben", erklärte Geschäftsführer Hans Kopp. "Unsere Heimbewohner erwarten von uns, dass wir gleiches Recht für sie als Münchner Bürger einfordern." Die Umsetzung der Zulage müsse "wettbewerbsneutral" erfolgen, städtische Querfinanzierungen dürfe es nicht geben. Im Interesse einer moderaten Heimkostensteigerung habe die Arbeiterwohlfahrt für die Pflegebeschäftigten eine geringere Steigerung der Münchenzulage mit Verdi bereits zum 1. Januar ausgehandelt.

Eine bessere Vergütung sei notwendig, sagt der Caritasdirektor - nur der Weg sei fraglich

"Eine bessere Vergütung unserer Mitarbeiter ist sinnvoll, richtig und notwendig", sagte Falterbaum. Allein der Weg, wie dieses Ziel erreicht werden soll, sei fragwürdig, kritisierte der Caritasdirektor. Das Umsetzen der Idee zur Münchenzulage, die auf Oberbürgermeister Dieter Reiter zurückgeht, sei ein "bisschen hemdsärmelig" erfolgt, "da hätte man mehr Liebe zum Detail walten lassen müssen". Es sei ungewöhnlich, dass die Stadt die Zulagen im Alleingang und ohne Abstimmung mit den Trägern eingeführt habe. Zwar könnten sich die Verbände der Zulage formal entziehen, aber neue Mitarbeiter würden sich das überlegen, ob sie zur Caritas kommen, "wenn sie da 3500 Euro pro Jahr weniger verdienen".

Vor Probleme stellt die Zulage die Caritas zum Beispiel bei der Asylsozialberatung: Für die von der Stadt finanzierten Mitarbeiter komme zwar auch die Stadt für die Zulage auf - aber für die vom Freistaat finanzierten nicht. "Wir wollen kein Zweiklassensystem", betonte Falterbaum. "Wir müssten dann die Zulage aus eigener Tasche bezahlen", zumal nach dem Tarifvertrag auch der Gleichbehandlungsgrundsatz gelte. Allein für München rechnet die Caritas für die 2900 Beschäftigten mit Mehrkosten in Höhe von 7,6 Millionen Euro, von denen mindestens ein gutes Drittel nicht refinanziert wären.

Für kleinere Fachverbände und soziale Vereine, die der Caritas angeschlossen sind, "können solche Zusatzkosten durchaus zur Existenzfrage werden", warnt Falterbaum. Bettina Schröer-Voit, Personalleiterin des St. Josefs-Heims in Haidhausen und Geschäftsführerin für dessen Kinder- und Jugendbereich, sieht große Probleme auf die inklusive Kinderbetreuungseinrichtung mit 163 Plätzen zukommen. "Wir müssen ohnehin Elternbeiträge verlangen und sie dann zum neuen Schuljahr noch um fünf Prozent erhöhen." Aber es bleibe keine andere Möglichkeit, sonst verliere man Personal. Genauso müsse man im Altenheim die zusätzlichen Kosten auf die Bewohner umlegen.

Probleme wird es auch in der Migrationsberatung geben, die über landeseinheitliche Pauschalen vom Freistaat finanziert wird. Oder bei den ambulanten Pflegediensten, dort gibt es landeseinheitliche Sätze von den Pflegekassen. Wenn die Träger die Zulage nicht finanziert bekommen, werden sie solche Dienste früher oder später einstellen müssen, weil sie ihr Personal in Zeiten des Fachkräftemangels nicht halten können. Falterbaum lässt keinen Zweifel daran, dass soziale Berufe besser bezahlt werden müssen, "und zwar dauerhaft und allgemeingültig". Er tritt deshalb für "höhere Grundgehälter" ein: "Das würde nachhaltig wirken und nicht nur befristet auf fünf Jahre, wie es jetzt bei der Münchenzulage vorgesehen ist."

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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