Kommunalwahl in München:Mehr abwählen geht kaum

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Zwölf Prozentpunkte mehr für die Grünen im Stadtrat. Dieser wuchtige Zugewinn ist eine Klatsche für das bisherige rot-schwarze Bündnis.

Kommentar von Heiner Effern

Was die Grünen bei der Wahl zum Oberbürgermeister verpasst haben, holen sie bei der Stadtratswahl nach. Sie krempeln die Stadt politisch um. Erstmals ziehen sie als stärkste Fraktion in den Stadtrat ein. Wie bei der letzten Landtags- und Europawahl sind sie die neue Nummer eins, die Machtverhältnisse unter den Münchner Parteien sind erst mal geklärt. So stellte es sich am Montagabend dar, als nur noch 100 von 1472 Stimmbezirke fehlten.

Ein Zuwachs von etwa zwölf Prozentpunkten, das hat eine Wucht, der die müden Parteien CSU und SPD nichts entgegensetzen können. Es wurde nicht einmal knapp für die Grünen. Da mutet es geradezu verzweifelt an, wenn die CSU aus dem OB-Ergebnis herauslas, dass der Höhenflug der Umweltpartei in München gestoppt sei.

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Die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl ist sogar gestiegen. Oberbürgermeister Dieter Reiter ist mit 71,7 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt worden - nun erwartet den Wahlsieger die nächste Aufgabe.

Wie sehr dieses Ergebnis die politische Landschaft in München erschüttert, zeigt auch ein Blick auf die Zahlen von SPD (-9) und CSU (-8 Prozentpunkte). Damit verliert das Regierungsbündnis insgesamt etwa 17 Prozentpunkte. Mehr abwählen geht kaum, auch rein rechnerisch hat sich diese Konstellation erledigt.

Die Grünen nutzen die Chance, die ihnen der Klimawandel bietet. Sie haben diesen eindeutigen Regierungsauftrag der Wähler nun vor allem deshalb, weil sie die Stadt in eine ökologische Zukunft führen sollen. Der CSU trauen diese das nicht zu, und bei der SPD wissen sie nicht, ob sie dem Wandel zur Sozial-Ökopartei trauen können. Auch die Corona-Krise schadete den Grünen offensichtlich nicht. Das Ergebnis aus den Wahlbüros vom Sonntag ist noch besser als das aus der Briefwahl.

Die CSU wird sich wieder auf das besinnen müssen, was sie unter Bürgermeister Josef Schmid schon einmal kurz sein wollte und zumindest in ihrem Binnengefühl auch war: eine liberale Großstadtpartei. "Wieder München werden", wie ihr Slogan lautete, kam maximal bei ihrem älteren Stammpublikum an. In einer Stadt von 1,5 Millionen Einwohnern, von denen jährlich 100 000 wegziehen und noch mehr zuziehen, hat diese Kampagne nicht funktioniert.

Auch wenn viele Menschen das Wachstum als schmerzhaft erleben, wollen sie dafür nicht eine Lösung von gestern. Auch die SPD spürt schmerzhaft, dass sich die Stadt massiv verändert. Sie hat sich in zwei Wahlperioden fast halbiert. Allerdings gibt es Anzeichen, dass wenigstens Teile der Partei verstanden haben, dass sich etwas ändern muss.

Die Fraktion hat im letzten Jahr mehr Leben gezeigt als in den fünf Jahren zuvor und begonnen, in ihre Sozialpolitik die Mittelschicht einzubeziehen. Das und Reiters Ökowende dürfte ein noch viel größeres Desaster vermieden haben. Auch wenn es ein bitteres blaues Auge ist, der Schmerz sollte nicht wieder zur bekannten Jammerei führen, sondern zum wirklichen Neuanfang. Nur mit einem solchen können die einst Großen den Grünen wieder etwas entgegensetzen.

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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