Neueröffnung nach Umzug:Das Köşk ist tot, es lebe das Köşk

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Agnes Andrae, Andrea Huber, Andrea Schönhofer und Julia Ströder (von links) stoßen gemeinsam mit Toshio "Toshi" Kusaba (Mitte) und einem heißen Glühwein auf die neuen Räumlichkeiten an. (Foto: Catherina Hess)

Der beliebte Kreativtreff muss aus dem Westend in die Ludwigsvorstadt umziehen. Grund dafür sind die Pläne der Stadt auf dem alten Grundstück. Die Initiatoren sind wehmütig - besonders wegen ihres Gartens.

Von Julian Raff

"Wir wollen keine Gentrifizierer werden", stellt Andrea Huber, künstlerische Leiterin des "Köşk", vorsichtshalber klar, während Nachbarn, Macher und Besucher des Kunst-Labors gerade das neue Domizil an der Schillerstraße 38 erkunden. Huber, ihre Kolleginnen Julia Ströder und Andrea Schönhofer und viele Helfer sind buchstäblich noch dabei, die Umzugskisten auszupacken. Alles wirkt unfertig und improvisiert und das soll es auch, schließlich feiert die Köşk-Familie ihren Umzug vom Westend in die Ludwigsvorstadt mit einer Baustellenparty. Mit Galeristen-Chic hat der niederschwellige, experimentierfreudige Kreativ-Treff zwar so gar nichts am Hut, aber man wisse ja leider, wie das so läuft mit der freien Kunstszene als Vorhut des großen Geldes, meint Huber. Ganz aus der Luft gegriffen sind die Bedenken nicht: Gerade die hiesige Gegend zwischen südlichem Bahnhofs- und Klinikviertel hat noch Luft nach oben und verspürt gerade unguten Aufwind aus der Immobilienbranche.

Das Vorleben des Köşk gibt schon mal keinen Grund zur Sorge. Entsprechend schwer fiel allen Beteiligten der Abschied: Man fühlte sich wohl und daheim im Flachbau des Multikulturellen Jugendzentrums (MKJZ) an der Schrenkstraße, wo der Treff 2014 als Zwischennutzung und Ableger der Untergiesinger "Färberei" eröffnete. Die üppige Begrünung des Grundstücks, das multikulturelle Konzept und eine Portion Ironie standen Pate für den Namen, das türkische Wort für eine Villa, ein Schlösschen im Grünen, oder einen Pavillon, wovon sich übrigens der deutsche "Kiosk" ableitet.

Nachbarn, ob mit oder ohne festen Wohnsitz, hätten Musik und Atmosphäre geschätzt, und der grüne Köşk-Garten stand allen offen, schwärmen Huber, Ströder und Schönhofer leicht wehmütig. Die Grünoase im grauen Westend ist zum Politikum geworden, als die Stadt ihre Pläne fürs eigene Grundstück bekannt gab und, wie viele im Viertel kritisieren, ohne nennenswerte Bürgerbeteiligung bis zum baldigen Baustart weiter verfolgte: Ein vierstöckiger, knapp 19 Meter hoher Bau soll den abgenutzten Bestand aus den 60er-Jahren ersetzen. Aufnehmen wird er unter anderem größere und bessere MKJZ-Räume, darunter eine Sporthalle über zwei Kellergeschosse. Dazu kommen ein Hort und ein Stützpunkt für mobile Tagespflege. Außerdem sind günstige Wohnungen für Auszubildende und Studenten geplant sowie eine neue Geschäftsstelle für den Kreisjugendring (KJR).

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Dem Sozialzentrum müssen 27 Laubbäume auf dem Grundstück weichen, 13 davon fallen mit einem Stammumfang von mehr als 80 Zentimetern unter die Schutzverordnung. Besonders schmerzt der Verlust einer vitalen morgenländischen Platane, die der Bund Naturschutz in einer Protestnote als "Herzstück des Westends" bezeichnet. Eine Initiative "Köşkgarten retten" lud Anfang November zur Trauerfeier für die Bäume und fordert, wie auch der BN, die kaum acht Jahre alte und dennoch vom Klimawandel überholte Planung doch noch zu ändern. Matthias Weinzierl, einer der Aktiven aus dem Köşk-Umfeld, schlägt vor, dazu die KJR-Verwaltung auszulagern, freien Büroraum gebe es genug. In seiner Beschlussvorlage verweist das Kommunalreferat demgegenüber darauf hin, dass die Büromiete im Neubau nicht in private Hände abfließe, anders, als etwa in der Paul-Heyse-Straße, wo das KJR derzeit noch Büros anmietet.

Im neuen Köşk an der Schillerstraße läuft unterdessen der Betrieb an, mit Ausstellungen, Workshops, Konzerten und laufenden Mitmach-Angeboten: Auf anhaltenden Zulauf freut sich unter anderem der für alle offene Köşk-Chor, dessen Repertoire von Schubert bis Bowie reicht. Ohne Vorkenntnisse (oder auch mit) kann außerdem jederzeit beim Community Music Orchester vorbeischauen, wer erleben will, wie Laien und Profis zum Klangkörper zusammenwachsen. Wegen des großen Andrangs nur nach Voranmeldung oder für Workshops steht zudem im neuen Köşk bald wieder Münchens einzige öffentliche Dunkelkammer für Foto-Tüftler bereit. Kreative, handwerkliche Analog-Fotografie boomt als Gegenwelt zur Smartphone-Knipserei schon seit Jahren, vergleichbar mit der Wiederauferstehung der Vinylplatte.

Das Köşk in der Schillerstrasse. Hier die drei DJ`s Elias, Johann und Bernhard bei der Eröffnungsfeier. (Foto: Catherina Hess)

Als Glücksfall hat sich bei alldem der Kontakt mit der Eigentümerfamilie des sanierungsbedürftigen Baukomplexes an der Schillerstraße herausgestellt, den zuletzt die Elektro-Innung für Schulung und Verwaltung genutzt hatte. Mit den nicht nur an maximalem Profit orientierten Eigentümern einigte sich das Sozialreferat/ Stadtjugendamt auf eine dauerhafte Anmietung auch über den gerade laufenden Umbau hinaus. Mit dieser Bleibeperspektive im Hinterkopf sehen Huber, Ströder und Schönhofer auch dem wegen der Sanierung bald anstehenden Umzug innerhalb des Hauses gelassen entgegen, Improvisation und kreatives Chaos gehören ohnehin zum Köşk. Längerfristig will das Team, im Einvernehmen mit den Eigentümern, den kleinen Innenhof begrünen, vielleicht sogar mit Ehrenplatz für eine aus dem Stamm der alten Platane geschnitzten Bank als Erinnerung an den Köşk-Garten.

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