Deutsch-Rock:Bescheidenheit ist seine Zier

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Eine stille Macht schon in der DDR: Norbert Leisegang und seine Band "Keimzeit". (Foto: Bernd Brundert)

Die Brandenburger Lieblings-Band "Keimzeit" ist seit gut 40 Jahren eine stille Größe im deutschen Rock-Geschäft.

Von Michael Zirnstein

Starker Slogan: "Der Rock'n'Roll köpft seine Könige selbst." Das kann nur einer ungestraft singen wie Norbert Leisegang im Stück "Thronräuber". Der Frontmann von Keimzeit hat sich nie als ein King of Rock aufgespielt, er war stets ein Diener, Hofdichter oder -narr der Liedkunst. Man hatte nie den Eindruck, er wäre auf einen Thron scharf gewesen. Vielleicht ist der größte Berühmtheits-Aspekt bei dem heute 61-Jährigen, dass ihm oft eine Ähnlichkeit mit dem "Schauspieler-Gott" Klaus Kinski nachgesagt wurde. Was ihn auf der aktuellen Platte "Kein Fiasko" im Song "Berlinale" zu der Anekdote verleitete, bei eben diesem Filmfest habe ihn Brad Pitt um ein Autogramm gebeten. Wobei sich auch dieser Pitt als Double aus Wien entpuppte. "Kein Witz, man könnte meinen, dass ich prahle", singt Leisegang. Aber: Eben doch ein Witz und erfunden die ganze Geschichte um das kleine bisschen geborgten Ruhm.

Nun sind Keimzeit durchaus eine Größe in der deutschen Rockgeschichte. Zusammen mit drei Geschwistern, von denen heute nur noch Hartmut am Bass dabei ist, gründete Leisegang 1980 in Lütte die Gruppe Jogger. Als Keimzeit wurde ihnen später einmal wegen eines Lieds gegen Kinder-Kriegsspielzeug die Spielerlaubnis entzogen, ansonsten blieben sie auf dem Land in Brandenburg unter dem Spitzelradar der DDR-Kunstwächter. Dafür durften sie auch erst 1988 erstmals im Rundfunk auftreten, ihre Song veröffentlichten sie erst 1990 auf einem Debütalbum, dass auch die Politikerschelte"Irrenhaus" enthielt, welche als hellsichtiger Wende-Song gefeiert wurde, obwohl Leisegang es bereits 1987 geschrieben hatte.

Geliebt wurden Keimzeit auf jeder DDR-Party vor allem für ihre Poesie, und für prima Kuschelrock wie ihren "Erdnusschips"-Hit "Kling Klang" . Wenn sie "in der großen Stadt Berlin" auftraten, wie Leisgang sagt, kam ihre große Schar vom Land mit und gab ihnen Rückenwind, so wie nach der Wende in ganz Deutschland. Als Ostrock-Legenden werden sie vermarktet, aber so hören sie sich nicht an, sondern nach gesamtdeutscher Singer-Songwriter-Sahne. Das liegt auch daran, dass sie ihr Sound-Design von Top-Produzenten wie Frank Plasa ( Selig) und Moses Schneider ( Tocotronic) modernisieren ließen. "Kein Fiasko", diesmal selbst von Keyboarder Andreas Sperling produziert, klingt austariert nach Piano, Gitarre und Trompete und lässt Leisegangs ewigjunger Stimme viel Raum. So dass man sich nach Songs über Hausmeister und Plastiktütensammler, Kummer und Clowns fragt, warum er nicht wie etwa Markus Berges von Erdmöbel endlich auch einen Roman schreibt. "Die Latte liegt zu hoch", sagt er, er sei schon froh, wenn ihm ab und an vernünftige Songs gelängen. Die schöpfen Kraft im Wort und der Stille, wie "Zweig": "Was fällt mir nur ein zu denken, was ich hier tu, wäre furchtbar wichtig / Denn jeder biegsame Zweig ist stärker als ich." Bescheidenheit ist seine Zier.

Keimzeit, Do., 21. Juni, 20 Uhr, Ampere, Zellstraße 4

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