Literatur:Die eigene Stimme finden

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Anregung, Inspiration, Austausch - die Schreibwerkstatt ist keine Schule, sondern ein Ort, um gemeinsam zu wachsen. (Foto: Internationale Jugendbibliothek)

Die Schreibwerkstatt der Internationalen Jugendbibliothek will Jugendlichen einen Raum bieten, an dem sie ohne Konkurrenzdruck kreativ werden können.

Von Fiona Rachel Fischer, München

Am Anfang muss Beate Schäfer die Stille noch selbst füllen. Aber bald werde sie nicht mehr durchkommen, so ausgelassen würden sie dann quatschen, sagt die Lektorin vergnügt zu den sieben Jugendlichen, die mit Maske und Abstand um sie herumsitzen. Sie sind in die Internationale Jugendbibliothek gekommen, um an der fünften Runde der Schreibwerkstatt teilzunehmen, die seit nun zehn Jahren besteht. Und die Jugendlichen merken schnell, dass es in der Schreibgruppe nicht streng zugeht, auch wenn man sich mit einem Text bewerben musste: "Es ist keine Schule, ganz wichtig", schärft die Bibliotheksdirektorin Christiane Raabe den Neuzugängen ein.

Austausch, Anregung und einen Raum fürs Schreiben ganz ohne Konkurrenzdruck, das soll diese Schreibwerkstatt den Jugendlichen zwei Jahre lang bieten. Den Satz "All writing is a gift" von Aiden Chambers hat sich Schäfer, die die Werkstatt leitet, zum Vorbild genommen - jedes Schreiben ist ein Geschenk.

Freundschaften sind über die Gruppe hinaus entstanden, zwei haben sogar geheiratet

Auch an den Jugendlichen der fünften Runde sieht man das. Manche schreiben gerne Fantastik, andere eher Science-Fiction, wieder andere erzählen am liebsten lyrisch oder filmisch. Das Alter der neuen Teilnehmenden, die sich gerade noch unsicher beäugen, liegt zwischen 15 und 18 Jahren. So kommen verschiedene Perspektiven und Stile zusammen, die sich auch in den Texten niederschlagen werden. Das ist Beate Schäfer so wichtig wie die lange Dauer der Werkstatt. Sie möchte den jungen Schreibenden über mehrere Lebensphasen hinweg Impulse geben und ihnen ein "Schreibzuhause" bieten, in dem sie sich entwickeln können. Vor genau zehn Jahren, im Januar 2012, ist sie zu dieser Mission aufgebrochen, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Inzwischen hat Schäfer mit dem Projekt schon mehr als 50 Leben berührt. Es sind Freundschaften über die Gruppe hinaus entstanden, zwei haben sogar kürzlich geheiratet.

"Wir haben alle eine Geschichte miteinander, und das gibt dem Ganzen noch mehr Dimensionen über das reine Schreiben hinaus", sagt Schäfer. In der Werkstatt werden Schreibaufgaben gestellt und Texte besprochen. Doch es wird auch angeregt über Bücher und Filme diskutiert, persönliche Erlebnisse werden geteilt. Am Ende der zwei Jahre gibt es eine Lesung, in der die Jugendlichen ihre Texte einem Publikum vorstellen. Doch so richtig das Ende ist es nicht: Jeden Sommer und Winter gibt es ganztägige Treffen mit Schreibausflügen, zu denen auch die Alumni eingeladen sind.

Die allgemeine Krise habe das Schreiben und den Dialog sogar noch intensiviert

Wegen Corona mussten diese Zusammenkünfte in den vergangenen Jahren online stattfinden. Auch die Treffen der vierten Runde waren davon betroffen. Doch das hat der Werkstatt keinen Abbruch getan. Im Gegenteil. "Den Begegnungsort noch mehr zu stärken, auch in dem Zoomformat, das war möglich und das war toll", findet Schäfer. Sie hat sich bemüht, auch im Lockdown den Gruppenzusammenhalt und den Selbstausdruck der Jugendlichen zu stützen. Die allgemeine Krise habe das Schreiben und den Dialog sogar noch intensiviert, sagt sie.

Das erste Treffen der fünften Generation im Januar ist aber zum Glück wieder in Person möglich. Nachdem sich alle vorgestellt haben, werden einzelne Sätze der Bewerbungstexte aus einem Sack gezogen und anschließend diskutiert. Zu welcher Art von Geschichte könnte dieser Satz gehören, und was spricht mich daran an? So entstehen erste Gespräche über das Schreiben, das Sprachgespür erwacht. Am Ende kennen sich die Jugendlichen schon etwas besser und haben einen Eindruck davon, was sie hier erwarten wird. Dann gibt es ganz zum Schluss noch ein Highlight: Beate Schäfer verteilt Briefe, die die vorausgehenden Generationen an ihre Nachfolger geschrieben haben. Darin befinden sich Erinnerungen und Liebeserklärungen an das Schreiben sowie an die Werkstatt. "Macht euch Räuberleitern gegenseitig, dann ist es gar nicht mehr so hoch", schreibt die Autorin Sophia Klink aus der ersten Gruppe und denkt dabei an die Unterstützung, die die Mitglieder ihrer "Schreibfamilie" ihr gegeben haben.

Für Schäfer schaffen die Briefe einen Zusammenhang zwischen den Generationen. Außerdem sollen die verschiedenen Stile der Briefe die Jugendlichen ermutigen, sich in der Werkstatt frei auszuprobieren. "Diese Unterschiedlichkeit ist eine Kraft", betont Schäfer immer wieder. Auch in der fünften Gruppe wird sie alles tun, um die individuellen Stimmen der Jugendlichen zu fördern. Für das nächste Treffen gibt es schon eine Schreibaufgabe, und dann werden sie das erste Mal in den Hallen der Blutenburg zu hören sein, die neuen Stimmen der fünften Generation.

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