Pilotprojekt in Perlach:Für jeden Erstklässler einen Betreuungsplatz

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Viel Spaß im "Schulstadl": Kinder im neuen Erweiterungsbau der Grundschule am Pfanzeltplatz. (Foto: Florian Peljak)
  • Die Grundschule am Pfanzeltplatz hat erstmals allen Erstklässlern einen Betreuungsplatz garantiert. Die Eltern können ihre Kinder flexibel bis 18 Uhr abholen, auch in den Ferien.
  • Das Pilotprojekt, das Stadt und Freistaat in Perlach erproben, heißt "Kooperative Ganztagsbildung". "Das ist Gold wert", sagt eine Mutter.
  • Der Schule muss aber auch zusätzliches Personal rekrutieren - Lehrer und Erzieher. Eine Herausforderung.

Von Jakob Wetzel, München

Sogar das Catering sei jetzt besser, sagen sie in der Grundschule am Pfanzeltplatz in Perlach. Normalerweise sähen die Eltern immer sehr kritisch, was ihre Kinder essen. Doch seit im September das Modellprojekt begonnen hat, seien offenbar alle zufrieden. Das Essen ist jetzt nicht mehr vegetarisch, aber der Lieferant achte auf Bio-Qualität und sei sehr bemüht, sagt Birgit Regel, die Leiterin der neuen Ganztagsbetreuung. Nur einmal habe sich eine Mutter über zu wenig Nachtisch beklagt. Die einen Kinder hatten den anderen die Muffins weggegessen.

Die Grundschule am Pfanzeltplatz ist seit diesem Schuljahr Pilotschule: Gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) erproben die Stadt und der Freistaat hier das Modell einer "Kooperativen Ganztagsbildung", das Grundschulen und Kinderbetreuung in München erheblich verändern kann. Hier haben alle Erstklässler erstmals einen Betreuungsplatz garantiert bekommen. Die Eltern konnten die Zeiten flexibel bis 18 Uhr buchen, selbst in den Ferien. Abgelehnt wurde niemand, es gab weder banges Warten auf Zu- oder Absagen noch Neid unter den Eltern. Nächstes Jahr sollen neun weitere Münchner Grundschulen diesem Vorbild folgen, langfristig soll das Modell flächendeckend eingeführt werden, schließlich will die Bundesregierung bis 2025 jedem Grundschüler einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung verschaffen. In Perlach ist bereits zu sehen, was das bedeuten kann.

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Auch die CSU will mittlerweile einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für die Sechs- bis Zehnjährigen. Etwa 360 000 Plätze wären dazu nach Schätzung des Familienministeriums nötig.

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Es sei ein neuer Anfang, schwärmt Veronika Schäffer. Seit elf Jahren führt sie die Grundschule, doch im Alltag sei vieles festgefahren, sagt sie. Jetzt aber könne man gestalten: "Wir machen Schulentwicklung." Am Pfanzeltplatz hatten die Eltern der Schulanfänger im September die Wahl zwischen einer rhythmisierten Ganztagsklasse, in der die Kinder bis in den Nachmittag hinein abwechselnd Unterrichts- und Spielzeiten haben, und einer sogenannten "Flexi-Klasse". Hier endet der Unterricht spätestens um 13 Uhr, danach können die Kinder in die Ganztagsbildung gehen.

Hier kooperiert die AWO mit externen Partnern wie dem Verein "Science Lab", den "Lesefüchsen" oder auch der städtischen Sing- und Musikschule. Und dort können später auch Kinder aus den Ganztagsklassen dazustoßen, wenn ihr Unterricht zu Ende ist. Das Interesse der Eltern war groß: Von 112 Erstklässlern besuchen 50 den rhythmisierten Ganztag, 19 von ihnen gehen im Anschluss in die Betreuung. Aus den "Flexi-Klassen" kommen 42 Kinder.

Für die Schule und die AWO ist der Modellversuch eine Herausforderung, angefangen mit den Räumen. Die "Kooperative Ganztagsbildung" nutzt Zimmer in einem neuen Erweiterungsbau namens "Schulstadl", anfangs gab es nicht genug Möbel, der Telefonanschluss macht nach wie vor Probleme, das Gelände ist immer noch großteils Baustelle. Zudem brauchte die Schule mehr Personal - und das, obwohl eigentlich Grundschullehrer und Erzieher fehlen. Zuletzt war die Schule dreizügig, nun gibt es fünf erste Klassen, zwei sind rhythmisiert. Die neuen Klassen gebe es auch, da der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund gestiegen sei, erläutert Schäffer.

Insgesamt sind sechs zusätzliche Lehrerinnen gekommen. Die Ganztagsbetreuung brauchte ebenfalls sechs neue Mitarbeiterinnen. "Ich habe alle rekrutiert, die ich kriegen konnte", sagt Birgit Regel. Es half, dass die AWO in München derzeit 55 Kitas betreibt. So konnte Regel ein Team mit Erfahrung zusammenstellen.

Viel Gesprächsbedarf haben Kita-Leiterin Birgit Regel (rechts) und Schulrektorin Veronika Schäffer. Sie treffen sich jede Woche, um sich abzustimmen: (Foto: Florian Peljak)

Der Alltag am Pfanzeltplatz besteht derweil aus vielen Gesprächen. Schäffer und Regel treffen sich jede Woche, um sich abzustimmen. Alle acht Wochen kommt eine Prozessbegleiterin vom Pädagogischen Institut der Stadt. Am ersten Schultag standen Schäffer und ihre Stellvertreterin an der Eingangstür, um die Fragen der Eltern zu beantworten. Und Erzieherinnen und Lehrerinnen besprechen regelmäßig den aktuellen Lernstoff, Verhaltensregeln für die Kinder und die Probleme einzelner Schüler - und sie klären auch, wer wann wen abholt.

Es gibt keine Kernzeit in der Ganztagsbildung, daher könnten im Grunde nach jeder Schulstunde neue Kinder in die Gruppen kommen, und die Eltern könnten sie jederzeit abholen, sagt Regel. Für die Arbeit mit den Kindern sei das hinderlich. Es ist die Kehrseite der Flexibilität. Schule und AWO überlegen daher nachzubessern; vielleicht wird es später doch feste Abholzeiten geben, etwa zu jeder vollen Stunde. Man diskutiere, sagt Schäffer. "Es ist wirklich ein Pilotprojekt."

Für die Eltern hat sich das neue Modell schon jetzt bewährt - egal, welche Art von Klasse ihre Kinder besuchen. Janine Müller etwa erzählt, sie und ihr Mann seien im Schichtdienst tätig, deshalb hätten sie ihre zwei Töchter gerne um 14 Uhr daheim. Die ältere, Anna, geht in die zweite Klasse; sie suchte deshalb einen Kurzzeitplatz in der Mittagsbetreuung. Die jüngere, Marie, ist dagegen in einer "Flexi-Klasse". Ähnliches berichtet Ines Schicht: Bei ihrer älteren Tochter Hannah habe sie Glück gebraucht. Sie sei beruflich darauf angewiesen, dass die Kinder am Nachmittag betreut sind. Von zwei Horten habe sie aber Absagen bekommen - da sei Hannah doch in die Ganztagsklasse gerutscht. Ihr jüngerer Sohn Benno dagegen besucht seit September die Ganztagsklasse. Unsicherheit gab es dabei nicht: Schicht hat ihn angemeldet, und das war's. Einige Eltern hätten bei der Einschreibung gar nicht glauben wollen, dass es wirklich so einfach sei, heißt es von der AWO. "Das ist Gold wert", sagt Schicht.

Heikel ist das Pilotprojekt indes für die bisherigen Kindertagesstätten. Bisher besuchten die Kinder vom Pfanzeltplatz zwei Horte und zwei von Eltern organisierte Mittagsbetreuungen. Damit ist bald Schluss. Es solle einen sanften Übergang geben, sagt Schulleiterin Schäffer. In vier oder fünf Jahren aber solle die Nachmittagsbetreuung ganz in der Hand der AWO liegen. Doch ob dieser Übergang wirklich so sanft wird, daran gibt es Zweifel. "Wir hätten uns mehr Vorbereitungszeit gewünscht", sagt etwa Matthias Fleschütz, Vorsitzender der Mittagsbetreuung "Perlacher Fische". Die Elterninitiative gibt es seit 18 Jahren, sie bietet 48 Plätze, und bisher war sie eine zentrale Anlaufstelle für die Eltern der Schüler vom Pfanzeltplatz.

Das Modellprojekt sei grundsätzlich toll, findet Fleschütz. "Es ist eine gute Sache, wenn es der Staat endlich schafft, das zu leisten, was Eltern jahrelang durch Eigeninitiative und ehrenamtliche Arbeit aufgefangen haben." Aber der Übergang macht ihm Sorgen. Ab sofort breche jedes Jahr ein Jahrgang weg, sagt Fleschütz. Sind die jetzigen Erstklässler in der vierten Jahrgangsstufe, werde die Mittagsbetreuung zusperren.

Und vieles sei unklar, sagt Fleschütz. Da ist zunächst das finanzielle Risiko. "Es kann zum Beispiel passieren, dass wir, wenn wir zehn Prozent weniger Kinder haben, 25 Prozent weniger Fördergeld erhalten", sagt Fleschütz. Als eingetragener Verein müssen die Vorstände persönlich haften. Sorgen machen sich auch die Mitarbeiter. Zwar sucht die AWO Personal, und sie erklärt, sie übernehme auch gerne Mitarbeiter aus den bisherigen Kitas. Doch in Mittagsbetreuungen arbeiten oft neben Fachkräften auch Küchenhilfen oder Eltern, die anfangs aushalfen und jetzt auf die Arbeit angewiesen sind.

Die AWO beschwichtigt: Man bilde aus, es werde Schulungen geben, niemand müsse sich Sorgen machen. Doch Fleschütz vermisst verbindliche Zusagen. Und er warnt: Wenn der Modellversuch ausgeweitet wird, müssten bald viel größere Mittagsbetreuungen abgewickelt werden. "Dieses Jahr sind wir noch ein Einzelfall", sagt er. "Nächstes Jahr aber nicht mehr."

© SZ vom 26.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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