Zwischennutzung:Das sind die Neuen im alten Gasteig

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Mit im Betreiber-Team: Christian Kiesler und Barbara Bergau. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Viele Menschen wirken am Zwischennutzungsprojekt Fat Cat mit, vom Betreiberteam bis zum Putztrupp. Auch die ersten Künstler sind schon eingezogen. Sieben Protokolle.

Von Sabine Buchwald

Man trifft sich in den im Erdgeschoss liegenden Büroräumen von Fat Cat mit Betriebsleiter Christian Kiesler und Barbara Bergau. Sie ist mit Till Hofmann, Michi Kern und Nepomuk Schessl Gesellschafterin und Geschäftsfüherin der gemeinnützigen Fat Cat GmbH. Die anderen drei sind an diesem Vormittag nicht im Haus. Die Sonne blendet durch das Glasdach, die Jalousien sind ausgeschaltet.

Sie versuchten, so kostengünstig wie möglich zu agieren, erklären Bergau und Kiesler, der nachschiebt: "Der Gasteig ohne viel Technik, das ist eine der großen Herausforderungen." Der Mietvertrag zwischen der Fat Cat und der Stadt läuft seit 1. März, nun beziehen die Mieter ihre Räume. Auch die ersten Veranstaltungen finden statt. Es wird also wieder lebendig im alten Gasteig.

"Das geballte Know-how der Stadt": Veranstalter Christian Kiesler hilft bei der Zwischennutzung. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Christian Kiesler, 41, Projektleiter von Fat Cat:

Seine Vorstellung: Mit den Nutzern kommen viele neue Ideen ins Haus. Die Bewerbung für die Räume landeten auf seinem Computer. So um die 1000 E-Mails seien es gewesen, ganz unterschiedlicher Art, erzählt Christian Kiesler, der in der Münchner Veranstaltungsszene als "der Kiesi" bekannt ist. Die kürzeste Anfrage lautete: "Will Raum." Jeder weiß, Raum ist knapp in München, warum also viele Worte verlieren? Doch ganz so einfach kommt man nicht an einen der derzeit begehrtesten Orte Münchens. Auch die Möglichkeiten des großen Gasteigs, der eine Gesamtfläche von 90 000 Quadratmetern hat, sind endlich. Etwa 150 Räume sind zu vergeben. Er und seine Mitarbeiterin Marie Scholz achten bei der Auswahl auf Geschlechterparität und eine gute Mischung der Kulturschaffenden, Institutionen und Kollektive. Etwa ein Drittel der Verträge sind nun unterschrieben, vorerst nur bis Ende des Jahres. Die Mieten liegen zwischen zwölf und 30 Euro pro Quadratmeter. Wer nicht viel verdient mit seiner Kunst, muss nicht so viel zahlen, lokale Größen wie Nick McCarthy mehr, Studierende der Kunstakademie weniger. Fat Cat setzt auf eine Mischkalkulation, die Zwischennutzung muss kostendeckend sein.

Kiesler ist hier, weil er in München zu den besten seines Metiers gehört. Salopp ausgedrückt: Er kann Veranstaltungen. Im vergangenen Jahr hat er das Programm der European Championships organisiert, als Booker arbeitet er seit Jahren für das Feierwerk. "Hier kommt das geballte kulturelle Know-how zusammen", sagt Kiesler. Seine Aufgabe geht weit über Veranstaltungsorganisation hinaus. Die stillgelegte Rolltreppe im Eingangsfoyer soll mit einer begehbaren Treppe überbaut werden. Neue Hinweis-Schilder sind geplant. Er sucht dringend nach Handwerkern. Der alte Gasteig wird sich verändern. "Man kann das hier einen Jungbrunnen nennen", sagt Kiesler. Allerdings müssen die Räume irgendwann wieder im alten Zustand zurückgegeben werden.

"Es tut dem Projekt gut, dass wir alle die nötige Erfahrung haben." Fat-Cat-Mitgesellschafterin Barbara Bergau. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Barbara Bergau, 52, Juristin, Geschäftsführerin bei Bellevue di Monaco, Geschäftsführerin Gesellschafterin von Fat Cat:

Ihr Motor: An einem gemeinnützigen Projekt zu arbeiten. Einmal die Woche gibt es einen Jour fixe, an dem sich alle Beteiligten zusammensetzen. In dieser Runde ist auch Barbara Bergau immer dabei. Sie empfindet es als "großes Glück", dass die Gasteig GmbH Leute stellt, mit denen sie zusammenarbeiten können. "Wir wären sonst längst verloren, denn die kennen das Haus", sagt sie. Sie sind der städtische Beitrag, den Gasteig aufrechtzuerhalten. Es sei ein sanierungsbedürftiges Haus, das dürfe man nicht vergessen, sagt Bergau. Der Betrieb könne nicht so funktionieren wie früher. Eben anders.

Bergau ist studierte Juristin und Geschäftsführerin der Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco in der Müllerstraße. Sie teilt sich also zwischen den beiden Orten auf. Sie ist jemand, der gelassen den Überblick behält. Auch sie hat viel Erfahrung mit der Organisation von Events, aber bisher eher kleineren. Die positiven Signale freuen sie sehr. "Wir merken, dass viele Leute Lust haben mitzuarbeiten", sagt sie. Wie Christian Kiesler denkt auch sie: Es ist eines der spannendsten Projekte, das es in München gerade gibt.

Volle Konzentration auf den alten Gasteig: Andreas Zeh ist Projektleiter dort. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Andreas Zeh, 43, Standortleiter von der Stadt:

Seine Herausforderung: mit einem minimalen Personaleinsatz das große Gebäude am Leben erhalten. "Wir haben nicht ansatzweise die Personalstärke von früher", sagt Andreas Zeh. Im Gasteig waren jahrzehntelang alle Prozesse erprobt. Nun ist das erstmal nicht mehr so. Aber Zeh, den alle Andi nennen, ist ebenfalls erprobt. Seitdem er 18 ist, arbeitet er als Techniker auf Veranstaltungen. Das waren damals nicht gleich Konzerte im Olympiastadion, so wie im vergangenen Jahr die Auftritte der Toten Hosen und Die Ärzte, wo bei Zeh die Fäden zusammenliefen. Auch als 2019 auf dem Königsplatz das österreichische Duo Seiler und Sperr nach La Brass Banda abgingen, wirkte der gelernte Informatiker ebenfalls mit. Im HP8, sagt Zeh, habe er die "technische Fertigstellung gewährleistet", sich um Licht-, Daten und Veranstaltungstechnik gekümmert.

Mit dem Ersatz-Gasteig HP8 in Sendling ist Zeh nun durch und kann sich voll auf den alten Gasteig konzentrieren, der verwaltungsintern "R5" genannt wird. Beispielsweise geht Zeh gerade der Frage nach: Wohin mit dem Müll? Für die Abfallentsorgung waren früher Putzteams zuständig, jetzt müssen sich die Mieter selbst drum kümmern. Leere Flaschen, Take-away-Verpackung, ein Apfelbutzen, so etwas muss raus aus dem Haus, bevor die Kakerlaken kommen.

Zeh ist Kontaktperson für die Behörden, wenn etwa die Brandmeldeanlage und die Sprinkler gewartet werden sollen. So etwas sei jahrzehntelang alles eingespielt gewesen, jetzt müssten solche Themen Stück für Stück zusammen mit den Leuten von Fat Cat abgearbeitet werden. Derzeit gibt es noch kein Wlan im Haus. Welche Kabelkapazitäten für das IT-Netz vorhanden sind, das klärt Zeh im Moment. "Das Haus ist leider furchtbar komplex", sagt er und halt auch schon mehr als 40 Jahre alt. "So ein Standort braucht unglaublich viel Pflege." Dereinst werkelten hier tagtäglich Maschinenbauer, Elektriker und Sanitärfachleute in den hauseigenen Werkstätten, die konnten in Notfällen umgehend einen Aufzug oder eine Brandschutztür reparieren. War er überrascht, was jetzt alles auf ihn zukommt? "Nein. Ich finde es unglaublich spannend."

An Chestor Gnanapiragaasam führt kein Weg vorbei, er hat die Zugangschips für die Mieter. (Foto: Stephan Rumpf)

Chestor Gnanapiragaasam, 25, gelernter Fachinformatiker:

Seine Aufgabe: Ansprechpartner für die Mieter sein. An Chestor führt kein Weg vorbei. Wer ins Fat Cat will, der braucht ihn. Denn er hat für die Schlüssel für die Räume, die in Wahrheit schwarz-weiße Kunststoffchips sind. Er weiß, wo die Leitern gelagert werden, wenn jemand etwas an der Decke montieren will, und in welchem Lastenaufzug man Instrumente nach oben transportieren kann. Als er hier angefangen hat, war ihm nicht ganz klar, was alles auf ihn zukommen würde. Er sei es gewohnt gewesen, mit Vorgesetzten zu arbeiten, erzählt er.

Er hat Fachinformatiker gelernt, aber bald gemerkt, dass er nicht sein Leben lang von früh bis spät vor einem PC sitzen möchte. "Das erfüllt mich nicht", sagt Chestor Gnanapiragaasam. Deshalb gab er seinen sicheren IT-Job auf und machte einen Bundesfreiwilligendienst. Dass man im Gasteig jemanden wie ihn gut brauchen kann, erfuhr er im Bellevue di Monaco, wo er schon lange in der Theatergruppe mitmacht. "Also habe ich mich beworben", sagt er. Ab Herbst möchte er Soziale Arbeit studieren, nebenbei dann womöglich in Teilzeit im Fat Cat weiterarbeiten. Im Moment aber ist er voll da, normalerweise Montag bis Freitag von zehn bis 18 Uhr. "Wohin mit dem White Board", fragt ihn ein Mieter. "Wir haben das abmontiert, wir brauchen es nicht."

Das sogenannte Re-use-Konzept sieht vor, dass die alte Ausstattung des Hauses, also Gegenstände, die nicht in den HP8 umgezogen wurden, erstmal aufbewahrt werden. Dafür gibt es Lagerräume im Erdgeschoss und im ersten Stock. Auch als neulich eine Toilette verstopft war, hat er sich um das Problem gekümmert. "Am Anfang war ich etwas überfordert", sagt der 25-Jährige und lacht. Aber inzwischen komme er mit seinen vielen Aufgaben ganz gut klar.

Als Student der Musikhochschule war Samuel Wootton schon im Gasteig, jetzt ist der Percussionist Interims-Mieter hier. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Samuel Wootton, Percussionist, 34, einer der ersten Mieter:

Seine Hoffnung: Hier länger bleiben zu können als nur bis Ende des Jahres. Samuel Wootton fährt mit einem weißen Kombi vor, der voll beladen ist mit Instrumenten und Equipment. Die Congas und die fellbezogenen Djun Djuns hat er ohne Schutzhülle ins Auto gestellt, andere Trommeln sind sicher verpackt, die Steeldrum zum Beispiel. Weil er die Einfahrt in der Kellerstraße nicht zu lange blockieren darf, bringt Wootton erstmal die Instrumente und die weißen Dämmelemente, die aussehen wie Matratzen, in den Gang.

Dann parkt er das Auto um und leiht sich von Chestor einen Rollwagen. Mit dem geht es dann Fuhre für Fuhre in den dritten Stock. Wootton wischt sich immer wieder über die Stirn. Er hat einen 30-Quadratmeter-Raum gemietet, dort wo mal die Musikhochschule untergebracht war. Braunes Eichenparkett, abgehängte schräge Holzdecke, doppelte Schallschutztür. Er habe einen totalen Flashback, sagt Wootton. Denn hier hat er vor Jahren klassisches Schlagzeug studiert. Er kennt sich also aus in diesem Haus. Dass er hier mal als Mieter einziehen würde, hätte er nie gedacht.

Nach der Ausbildung in München studierte er in Hamburg Jazzpercussion. Inzwischen pendelt er zwischen den Städten. Wootton spielt in mehreren Bands, bei Jazzrausch, Slatec und Toytoy zum Beispiel, und hat gerade viel Kraft in ein neues Soloprojekt gesteckt. Am 19. Mai erscheint seine neue Single. Den Raum teilt er sich mit der Rapperin und Moderatorin Nina Sonnenberg, auch als Fiva bekannt. In seinem alten Proberaum hatte er nur halb so viel Platz, sagt Wootton. Grund für ihn, die Kündigung zu riskieren. Ein Zurück gibt es nicht. Er rechnet, wie eigentlich alle, dass die Zwischennutzung länger dauern wird. "Vielleicht gibt es ja am Ende eine Alternative zum Gasteig", hofft Wootton.

Auf dem Weg vom Gasteig zum Konzert nach Nürnberg: das Duo "Umme Block", Leoni Klinger (links) und Klara Rebers. (Foto: Alessandra Schellnegger/Alessandra Schellnegger)

Leoni Klinger, 29, und Klara Rebers, zusammen das Duo Umme Block :

Ihr Motto: Let's do it! Der Gasteig ist für Leoni Klinger und Klara Rebers ein Ort mit vielen Erinnerungen. Als Jugendliche haben sie hier zusammen im Chor gesungen, in der Philharmonie etwa "Herr der Ringe" aufgeführt. Klinger erzählt von den vielen Stunden, die sie in der Stadtbücherei verbrachte, um CDs und Kassetten auszuleihen. Rebers verbrachte hier mehrere Monate während ihrer Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau. Deshalb kann sie gut mit einem vollen Bühnenwagen rangieren, ohne gegen Ecken zu fahren. Das kommt den beiden zugute. Denn von sofort an starten sie vom Gasteig aus zu ihren Konzerten, so wie vergangene Woche Richtung Nürnberg als Support der Sportfreunde Stiller.

Die beiden Musikerinnen sind in Haidhausen aufgewachsen, haben sich mit 13 im Gymnasium kennengelernt. Sie sind damals viel um die Häuser gezogen - "Umme Block", um den Block, daher kommt der Name des Duos. Am Vorplatz des Gasteigs haben sie heimlich ihre ersten Zigaretten geraucht, "mit Blick aufs Deutsche Museum". Es gebe eine Herzensverbindung zu diesem Ort, sagt Klinger.

Deshalb fiel ihnen die Entscheidung auch nicht allzu schwer, ihren alten Proberaum in der Landsberger Straße aufzugeben. "Die Lage ist super, das Haus ist ordentlich, die Räume für Musiker gemacht", sagt Klinger. Sie stellt es sich schön vor, an einem Sommerwochenende dort zu arbeiten und danach in die Isar zu hüpfen, eine Pizza von gegenüber zu holen oder ein Eis. Sie hofft auf ein gutes Miteinander zwischen den Mietern, auf Austausch, auf Konzerte. Umme Block teilen sich einen Proberaum und ein Studio mit Produzent und Musiker Mario Radetzky ( Blackout Problems) und dem Produzenten und Sänger Daniel Fahrländer. Auch die "Sportis" haben einen Fuß in der Tür. Klinger schwärmt: "Es entsteht hier etwas ganz Neues, es ist toll, dabei zu sein."

Objektleiter Ali Dayan sorgt mit seinem Putzteam für Sauberkeit. (Foto: Stephan Rumpf)

Ali Dayan, Fachwirt für Hygiene- und technische Reinigung, Objektleiter im Gasteig:

Sein Auftrag: die Sauberkeit. Seit 13 Monaten arbeitet die Firma Dr. Hoffmann für die Gasteig GmbH. Fast ebenso lang kümmert sich Objektleiter Ali Dayan darum, dass es in den verbliebenen Büros der GmbH und den benützten WC-Anlagen sauber ist. Coronabedingt musste anfangs noch viel desinfiziert werden, erzählt er. Das sei jetzt vorbei. Seit Kurzem wird auch im Auftrag der Fat Cat geputzt. Mindestens zwei Mitarbeiterinnen sind von Montag bis Freitag mit Staubsauer (wegen des Teppichs), Wischmopp und Lappen dort.

Mit den ersten Veranstaltungen und Mietern wird nun klarer, was zu tun sein wird. Der Fokus liege auf dem Carl-Orff-Saal, dem kleinen Konzertsaal und der Black Box, irgendwann werde wohl auch die Philharmonie wieder öffnen, sagt Dayan. So ein großes Kulturhaus könne man nicht vergleichen mit einem klassischen Bürogebäude. "Aber wir sind sehr flexibel." Kundenwünsche nimmt Dayan auch kurzfristig entgegen. Wenn übermorgen ein Konzert stattfindet, dann rückt Stunden danach ein Putzteam an.

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