Glocken im Dom:Der Klang für die Ewigkeit

Lesezeit: 6 Min.

Glockenexperte Michael Plitzner bei der Überprüfung der Benno-Glocke in der Münchner Frauenkirche. Sie stammt aus dem Jahr 1617. (Foto: ECC-ProBell/oh)

Michael Plitzner hat sich auf die Untersuchung von Glocken spezialisiert. Nach 2017 war er gerade wieder in der Münchner Frauenkirche, wo die älteste Glocke aus dem 14. Jahrhundert stammt. Ein Gespräch über den Zustand des Domgeläuts, Lautstärke und Heimatgefühle.

Von Sabine Buchwald

Diese Woche war Michael Plitzner, 47, ganz oben in den Türmen der Münchner Frauenkirche. Dort hat er mit einer Kollegin die zehn großen Glocken untersucht. Stundenlang war deshalb in der Innenstadt immer wieder das Geläut des Doms zu hören. Plitzner ist Maschinenbau-Ingenieur und Theologe, in Gießereitechnik hat er promomiert. Im Gepäck hatte der Experte vom Europäischen Kompetenzzentrum für Glocken ECC-ProBell Messgeräte, Computer, einen Flaschenzug und eine ausziehbare Leiter.

SZ: Herr Plitzner, wirkt die Untersuchung im Dom bei Ihnen nach?

Michael Plitzner: Absolut. Meine Arbeit als Ingenieur findet zu etwa 80 Prozent am Schreibtisch statt, wenn man dann mal wieder auf einen Kirchturm kann, macht das immer sehr viel Freude. Ich bin ja auch Forscher und jedes Mal lerne ich etwas dazu, wenn wir raus gehen.

Ich habe eigentlich gemeint, ob Ihre Ohren nachklingen, wenn Sie stundenlang so nah an läutenden Glocken stehen?

Ach so. Nein, wir arbeiten in der Regel mit Schallschutz auf den Ohren. Diese großen Glocken können zwischen 120 und 130 Dezibel erzeugen. Das ist so laut, als wenn Sie neben einem startenden Flugzeug stehen. Ihre Frage ist aber durchaus berechtigt. Ich treffe manchmal auf ältere Glockenexperten oder Handwerker, die man ziemlich laut ansprechen muss. Ich glaube, es ist so eine Männersache, sich nicht immer gut zu schützen.

Sie aber achten anscheinend auf Ihr Gehör, brauchen Sie ein besonders gutes für Ihre Arbeit?

Ich habe kein absolutes Gehör, das wäre schön, ist aber nicht unbedingt nötig. Bei mir steht mehr im Vordergrund, wie eine Glocke klingt, wenn sie läutet, dabei ist es nicht so maßgeblich, ob zum Beispiel einzelne Teiltöne nicht ganz sauber sind, und ich das erkennen kann. Für mich ist der dynamische Klang entscheidend, also die Ausgewogenheit zwischen hohen und tiefen Tönen.

Sie lernen immer etwas Neues dazu, was beispielsweise jetzt im Münchner Dom?

Ganz viele Kleinigkeiten. Ganz besonders spannend und schön war für mich die Arbeit an der großen Salveglocke, die Susanna. Die hat einen Durchmesser von gut zwei Metern, wiegt zwischen sechseinhalb und sieben Tonnen und stammt aus dem Jahr 1490. Wir haben bei ihr den Läutwinkel ausgetestet. Sie ist eine der größten Kirchenglocken Bayerns, es ist als ob ein Lkw hin- und herschwingt. Ein Unterschied des Läutewinkels von nur ein bis zwei Grad wirkt sich schon sehr aus...

Der Läutewinkel bedeutet, wie hoch eine Glocke ausschlägt?

Genau. Etwa 50 Grad ist ein guter Winkel für einen schönen Bim-Bam-Effekt. Wir haben versucht, den Winkel etwas zu reduzieren, damit der Klöppel noch etwas weniger hart aufschlägt, um die Glocke so gut es nur geht zu schonen. Aber dann wurde der Anschlag unregelmäßig. Letztlich war sie schon sehr gut eingestellt.

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Sie haben immer wieder alle zehn Glocken läuten lassen, die sieben im Südturm und die drei im Nordturm. Was genau haben Sie dabei gemacht?

Zweierlei Messungen. Zum einen Klangaufnahmen, wenn die Glocken über die elektrische Anlage geläutet werden. Dabei haben wir geschaut, ob sie rhythmisch und regelmäßig anschlagen, können wir zum Beispiel den Rhythmus des Läute-Takts nachjustieren. Außerdem haben wir die Glocken von Hand angeschlagen, um deren Klang im ruhenden Zustand zu erfassen. Diese Klangaufzeichnungen ermöglichen uns, den sogenannten musikalischen Fingerabdruck zu erfassen, um den Zustand der Glocke zu beschreiben.

Was kann man dabei feststellen?

Glocken sind einmalige Handwerkstücke und grundsätzlich immer etwas unrund. Wenn diese Rotationssymmetrie nicht gegeben ist, dann spalten sich die Töne auf. Hörbar ist das durch Schwebungen. Die hören Sie beispielsweise, wenn Sie ein Weinglas mit dem Finger anschwingen, es sind diese unregelmäßigen Töne, dieses An- und Abschwellen. Das ist ein physikalischer Effekt. Auch Gläser sind nicht perfekt rund. Anhand der Messungen können wir beurteilen, ab wann die Spaltung der Töne kritisch wird. Wir können ganz eindeutig beurteilen, ob die Glocke eventuell eine Dellung, einen Ausbruch oder sogar einen Riss hat.

Sie waren schon 2017 im Dom für eine Erhebung, Sie können also anhand des Vergleiches die Veränderungen analysieren.

Wir brauchen eigentlich gar keine Referenz. Es ist ein genial einfaches digitales Analyseverfahren, in dem die einzelnen Frequenzen separiert werden, dabei wird jeder einzelne Ton betrachtet. Schon in den nächsten Tagen werden wir besser wissen, wie es den Glocken geht.

Wie ist Ihr erster Eindruck?

Man muss noch abwarten. Ich habe aber bei den Tönen keine auffälligen Schwebungen oder kritischen Tonspaltungen wahrgenommen, so dass von keinen wesentlichen Veränderungen seit 2017 auszugehen ist.

Und wie war es beim Läuten?

Es finden sich immer irgendwelche kleinen klanglichen Verbesserungsmöglichkeiten. Aber eigentlich wirkt alles sehr gut im Dom. Die Glocken werden jedes Jahr von einer Firma gewartet, die Diözese handelt da vorbildlich.

Michael Plitzner mit der Frühmess-Glocke aus dem Jahr 1442 im Münchner Dom. Nicht in allen Kirchen sind die Glocken und ihre Aufhängungen in so gutem Zustand wie hier. (Foto: ECC-ProBell/oh)

Haben die Wetterextreme keine Auswirkungen?

Während der umfangreichen Turmsanierung hatte man die Geläute und die Joche, also die Aufhängungen, schon in den Blick genommen. In anderen Kirchtürmen setzt oft Taubenkot den Glocken zu, oder es lösen sich Verbindungen durch extreme Trockenheit. Das gibt es hier alles nicht, was bei diesem ehrwürdigen Gebäude auch zu erwarten ist. Das Besondere in unseren Kirchen ist ja, dass die Glocken beweglich aufgehängt werden, das ist allerdings eine beständige Belastung für die Glocken und die Kirchtürme.

Nicht wenige Leute fühlen sich heute gestört vom Glockengeläut. Kann das Unbehagen auch am Klang liegen?

Der Klang ist tatsächlich ein sehr wichtiger Aspekt. Es gibt ein Forschungsprojekt am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien, mit dem wir kooperieren, das sowohl die Qualität des Glockenklangs als auch die Lautstärke untersucht. Es ist tatsächlich nicht immer letzteres, was als störend empfunden wird.

Lässt sich der Klang denn maßgeblich verbessern?

Die Gestaltung eines Klöppels ist sehr wesentlich für den Klang. Die Größe, die Kugel am Klöppel, die Gewichtsverteilung. Da gibt es teilweise frappierende Unterschiede. Mit einer Veränderung des Klöppels lässt sich viel ausgleichen. Das Läuten der Kirchenglocken prägt unser Heimatgefühl, das sollte man nicht unterschätzen.

Es ist also viel Gewohnheit, wie man dieses Läuten empfindet?

Gerade an Orten, die diese kulturelle Prägung besonders stark haben, kann das schon als Sound der Stadt empfunden werden. Wir sehen damit unsere Arbeit bestätigt, das Kulturgut Glocke zu schützen, auch wenn die Kirchen mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Ich finde, heute wird fast zu eilfertig von Kirchengemeinden der Stundenschlagton abgestellt, wenn Beschwerden kommen. Für andere Menschen, die das nicht stört, ist dann nur noch Stille. Sie vermissen ihre Glocke, die ihnen die Zeit ansagt.

Die ältesten Glocken in der Frauenkirche stammen aus dem 14. Jahrhundert. Was könnte bei so alten Stücken beschädigt sein?

Bei solch alten Glocken sieht man immer, wo der Klöppel über die Jahrhunderte angeschlagen hat. Da hoffe ich immer, dass die Dellen am Schlagring noch nicht zu sehr ausgeschlagen sind. Bei vielen Glocken sind Kanten beschädigt, wenn sie zum Beispiel zu Kriegszeiten abgenommen wurden. Das sind typische Zeichen einer alten Glocke. Es ist erstaunlich, wie gut die Domglocken hier erhalten sind. Sie dürfen ruhigen Gewissens weitergeläutet werden. Wenn sie klug und schonend geläutet werden, sind sie für die Ewigkeit gegossen.

Wie können diese Bronzeriesen repariert werden?

Wenn eine Glocke einen Riss oder große Ausbrüche hat, dann muss man sie vom Turm nehmen. Es gibt einige wenige Firmen, die Glocken schweißen können. Die Präsenzglocke im Dom musste schon mal geschweißt werden, das ist nun für immer eine Schwachstelle, auf die man aufpassen muss.

Sie haben erst Theologie und dann Maschinenbau studiert. Mit welchem Gefühl steigen Sie in Kirchtürmen hoch?

Ich betrete eine Kirche als Theologe und als Ingenieur. Es ist schon schön, in so ein großes Gotteshaus wie die Frauenkirche zu kommen. Die Begegnungen mit den Menschen dort sind etwas Besonderes. Die Stille in einer kleinen Dorfkirche empfinde ich aber auch oft als sehr intensiv und speziell und genieße solche Momente sehr.

Michael Plitzner ist Maschinenbauer und Theologe - für seinen Beruf die ideale Kombination

Was sagen Sie als Spezialist zum Geläut des Münchner Doms, wie empfinden Sie es?

Man kann hier das Mittelalter raushören. Wenn ich die Augen zumache, kann ich mich ins 14. Jahrhundert zurückversetzen, das ist Zeitgeschichte. Die Präsenz-Glocke von Ulrich von Rosen ist von 1492, da hat Kolumbus Amerika entdeckt. Bei dem Gedanken läuft es mir den Rücken runter. Toll ist aber eben dieses Mischgeläute aus verschiedenen Epochen: Glocken aus dem Mittelalter, aus der Barockzeit und drei moderne Stücke, die jüngsten sind von 2003. Die fügen sich sehr sehr gut ein und erweitern das Vorhandene. Altes und Neues mischt sich, das ist gut ausbalanciert. Spitze, wenn das gut zusammengeht.

Es gibt Leute, die schwören auf Klangschalen-Therapie für ihr Wohlbefinden. So wie Sie Ihr Erleben beschreiben, hat Glockenklang auch eine Wirkung auf den menschlichen Körper.

Ich denke, es wirkt nicht unbedingt physikalisch. Aber mental haben die Klänge bei manchen Menschen sicher eine Resonanz. Das kann positiv sein, wenn damit ein schönes Erlebnis wie Weihnachten oder eine Hochzeit verbunden wird. Kirchenglocken können selbstverständlich auch negative Gefühle auslösen, wenn sie an etwas nicht so Schönes erinnern, wenn die Totenglocke erklingt oder die Erinnerung an ein Requiem hochkommt.

Und wie wirkt der Klang von Glocken auf Sie?

Da sind diese zwei Herzen in meiner Brust. Der Ingenieur hört wie die Glocken schwingen und die Intensität der Klöppel. Als Theologe ist für mich der Glockenklang sehr bereichernd. Da höre ich die Stimme Gottes, der zum Gebet ruft.

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