München:Flüchtlinge sollen in Zelte ziehen

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So sieht eine Traglufthalle aus, in der Menschen schlafen können: hier ein Wärmequartier für Obdachlose in Berlin. (Foto: dpa)
  • In München kommen so viele Flüchtlinge an wie noch nie: Bis Ende Mai waren es insgesamt 32 000.
  • Die Stadt wird deshalb mit einem Tabu brechen: Asylbewerber sollen bald auch längere Zeit in großen, hallenartigen Zelten schlafen.
  • Ein möglicher Standort für eine sogenannte Traglufthalle könnte neben dem Feierwerk an der Hansastraße sein.

Von Kassian Stroh, München

In München kommen dieser Tage so viele Flüchtlinge an wie nie. 32 000 waren es bis Ende Mai, so viele wie im ganzen Jahr 2014 zusammen. Um sie alle unterbringen zu können, brechen die Behörden nun ein weiteres Tabu: In München werden aller Voraussicht nach Asylbewerber bald auch längere Zeit in Zelten schlafen müssen. Laut Regierung von Oberbayern hat die Stadtverwaltung vergangene Woche angefragt, ob sie Asylbewerber in einer Traglufthalle unterbringen dürfe. Das ist ein hallenartiges Zelt mit luftdichter Hülle, die durch einen ständigen leichten Überdruck im Innern gehalten wird.

Das Sozialreferat der Stadt nahm dazu nicht Stellung, sondern verwies nur darauf, dass an diesem Montagvormittag der Stab für außergewöhnliche Ereignisse tagt, dem diverse Referenten wie auch der Oberbürgermeister angehören. Die Runde soll offenbar Art und Standorte neuer Flüchtlingsunterkünfte beschließen. Der Stadtrat soll darüber am 1. Juli entscheiden. Nach SZ-Informationen ist unter anderem im Gespräch, neben dem Feierwerk an der Hansastraße eine Traglufthalle oder eine Leichtbauhalle zu errichten.

Zelte für Flüchtlinge werden bald auch im Umland aufgestellt: Entsprechende Pläne haben in den vergangenen Tagen die Landräte von Freising und Ebersberg kundgetan, in Taufkirchen im Landkreis München soll bis Anfang Juli eine Traglufthalle für bis zu 250 Personen stehen. Auch das Starnberger Landratsamt hat bereits bei der Regierung von Oberbayern angefragt, ob Asylbewerber in "Objekten in Leichtbauweise" - so der offizielle Terminus - untergebracht werden können.

Warum die Kommunen auf Zelte ausweichen wollen

Das sei eine "einschneidende Maßnahme", sagt der Freisinger Landrat Josef Hauner (CSU), "uns bleibt aber keine andere Wahl". Sein Ebersberger Kollege Robert Niedergesäß (CSU) spricht von einer "ultima ratio"; mit Zelten wolle man sich "über den Sommer retten". Sie sind rasch aufgestellt, und Container sind derzeit für die Kommunen nahezu nicht zu bekommen.

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Die Bezirksregierung, die den Landkreisen Asylbewerber zuteilt, akzeptiert diese Form der Unterbringung - allerdings nur als Überbrückung, bis andere Unterkünfte fertig gebaut oder saniert seien, wie eine Sprecherin sagt. Auch solle der einzelne Asylbewerber nur möglichst kurz in einem Zelt verweilen müssen und "baldmöglich in eine reguläre Unterkunft" gebracht werden. Im Zelt selbst soll durch Sichtschutzwände zumindest ein Minimum an Privatsphäre gesichert werden.

Spätestens Mitte Oktober sollen die Zelte wieder abgebaut sein. "Wir sind guter Dinge, dass es bis dahin klappt", sagt die Sprecherin - gleichwohl sei die Unterbringung derzeit immer mit einem Fragezeichen versehen.

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Über lange Zeit taten die Behörden alles, um Flüchtlingsquartiere in Sporthallen und Zelten zu vermeiden. Das erste Tabu ist bereits vor längerer Zeit gefallen; Turnhallen als Quartiere sind inzwischen gang und gäbe. Nun fällt auch das zweite. Zwar ist ein Zelt nicht unbedingt eine schlechte Unterkunft, verglichen mit einem sanierungsbedürftigen Gebäude oder alten Containern. Gemieden wurden sie bislang aber wegen der öffentlichen Wirkung, um Assoziationen zu Flüchtlingscamps in Krisengebieten zu verhindern, und wegen der Gefahren bei Bränden und Unwettern.

Als die Bezirksregierung vor einem Jahr auf dem Areal der völlig überfüllten Bayernkaserne Zelte für bis zu 500 Menschen aufstellen wollte, rieten Experten deshalb dringend davon ab: Jedes noch so heruntergekommene Haus sei besser als ein Zelt, argumentierten sie. Wie berechtigt solche Sorgen sind, zeigte sich im Oktober - da zerstörte der Hurrikan Gonzalo mehrere Festzelte in Nürnberg, in denen vorübergehend Flüchtlinge untergebracht waren.

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Dramatische Szenen müssen sich dort abgespielt haben, als Flüchtlinge sich offenbar an Masten klammerten, um einen Einsturz der Zelte zu verhindern. Auch in München schliefen schon einmal für etwa zehn Tage Asylbewerber in Zelten: im vergangenen Oktober, als die Behörden kurzfristig das eigentlich bereits geschlossene Jugendübernachtungscamp "The Tent" im Kapuzinerhölzl belegten.

Neue Regelungen bei der Verteilung

Dass nun die Stadt und mehrere Landkreise binnen weniger Tage Zeltpläne bekannt geben, ist kein Zufall. Seit Montag gelten in Oberbayern neue Regeln für die Verteilung der Asylbewerber auf die Kommunen. Bislang übergab ihnen die Bezirksregierung nur dann Flüchtlinge, wenn sie freie Kapazitäten gemeldet hatten. Nun aber weist sie jede Woche den Landkreisen und kreisfreien Städten so viele Flüchtlinge zu, wie neu ankommen - weil andernfalls die Erstaufnahmeeinrichtung in München keine neu Ankommenden mehr aufnehmen könnten. Und das waren laut Regierung in den vergangenen drei Wochen im Schnitt 236 Menschen jeden Tag.

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Dazu kommt, dass in der Erstaufnahmeeinrichtung derzeit noch etwa 1800 Flüchtlinge leben, die eigentlich längst auf die Landkreise verteilt sein müssen. Das will die Bezirksregierung nun binnen vier Wochen nachholen. Deshalb stehen besonders die Kommunen unter Druck, die bisher weniger Flüchtlinge aufgenommen haben, als sie nach dem Verteilungsschlüssel eigentlich müssten.

Dazu gehört etwa der Kreis Freising, aber auch die Landeshauptstadt. Nach den offiziellen Prognosen muss München bis Ende des Jahres etwa 12 500 Flüchtlinge beherbergen. Experten rechnen aber damit, dass diese Zahl noch um bis zu 6000 steigen könnte. Derzeit leben in der Stadt etwa 7500 Asylbewerber.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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