Buchvorstellung:"Heimweh, das Du nie hattest"

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550 Kilometer nach Westen: Christiane Hoffmanns Vater war neun Jahre alt, als er im Januar 1945 mit seiner Familie und den meisten Bewohnern des schlesischen Dorfes Rosenthal (Różyna) vor der heranrückenden Front floh. 75 Jahre später ist Hoffmann diesen Weg nachgegangen, zu Fuß. Nun hat sie ein Buch darüber geschrieben. (Foto: privat)

Christiane Hoffmann, Journalistin und stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, ist dem Fluchtweg ihres schlesischen Vaters gefolgt. Zu Fuß.

Von Jutta Czeguhn

Das Dunkle lauerte überall unter der Oberfläche ihrer lichten Kindheit, schreibt Christiane Hoffmann. Sie erinnert sich an das ständige Gefühl der Bedrohung, an ihre Mutter, die immer friert, Schmerzen hat, die sich zur Beruhigung ihrer Nerven ein Aquarium kauft und stundenlang davorsitzt. Und an den Vater, ihren stets zugewandten, heiteren Vater, der tief verborgen in sich eine andere Wahrheit herumgetragen habe, "wie eine dunkle Spinne, die in einem hellen Bernstein eingeschlossen ist". Mittlerweile kennt Christiane Hoffmann den Grund für die Schwere, die "existentielle Unsicherheit", die über ihren Eltern und Großeltern lag: ihre Fluchtgeschichte. Nach dem Tod des Vaters hat sie sich auf einen langen Weg gemacht, sie ist seiner Fluchtroute gefolgt, die im harten Winter 1945 über 550 Kilometer vom schlesischen Dorfes Rosenthal nach Bayern führte. "Ich bin krank von dem Heimweh, das Du nie hattest", schreibt Hoffmann ihrem Vater hinterher. "Alles, was wir nicht erinnern", das Buch über diese Reise, stellt sie am 7. März im Literaturhaus vor.

"Zu Fuß?" - "Zu Fuß." "Allein?" - "Allein". Die Frau aus Deutschland, die da mit dem Rucksack auf Landstraßen in Polen unterwegs ist, in Dörfern Rast macht, kommt mit vielen Menschen ins Gespräch. Sie hat Polnisch gelernt, als Journalistin, die lange für die FAZ und den Spiegel gearbeitet hat, Auslandskorrespondentin in Moskau und Teheran war, weiß sie, wie man Fragen stellt, recherchiert, alles einordnen muss in größere Zusammenhänge. Denn auch die Polen, die nun schon seit Generationen auf dem Hof ihrer Familie in Rosenthal leben, auch sie sind Vertriebene. Heimat, was ist das? Ungemein klarsichtig zeichnet Hoffmann - heute ist sie stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung - ein Bild von Osteuropa, liefert gar einen interessanten Blick auf den aktuellen Ukraine-Konflikt und auf die großen Fluchtkatastrophen von heute, denn auch sie werden nachwirken auf die folgenden Generationen.

Die Herkunft aus dem Osten ist Christiane Hoffmann zum Lebensthema geworden. Sie hat Slawistik und osteuropäische Geschichte studiert, war Auslandskorrepondentin in Moskau. Heute ist sie stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. (Foto: Ekko von Schwichow/C. H. Beck Verlag)

Gleichzeitig ist es ein sehr persönliches Buch. Sie sei, sagt Christiane Hoffmann an einer Stelle, "das verfluchte 20. Jahrhundert" aus sich herausgelaufen. Und für ihre Töchter, heißt es im Epilog, sei dieses polnische Bauerndorf "nicht mehr die verlorene Heimat, weder Paradies noch Fluch, sie brauchen Rosenthal nicht mehr".

"Alles, was wir nicht erinnern", Christiane Hoffmann, C.H. Beck Verlag, Buchvorstellung am Montag, 7. März, 20 Uhr, Literaturhaus, Saal- und Streamkarten unter www.literaturhaus-muenchen.de

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