Weimarer Republik:"Warum muss diese Straße nach einem rechtsextremen Mann benannt sein?"

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Leonhard F. Seidl ist in Isen aufgewachsen und lebt in Fürth. Auf diesem Bild steht er auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, unweit seiner neuen Heimat. (Foto: Katrin Heim/oh)

Vor 100 Jahren trafen sich der rechte Philosoph Oswald Spengler und der Isener Forstrat Georg Escherich. Ein Gespräch mit Autor Leonhard F. Seidl über einen eher unbekannten Wegbereiter des Faschismus.

Interview von Florian Tempel, Isen

In Isen trafen sich vor 100 Jahren zwei führende Rechtsextreme, deren gemeinsames Ziel es war, die Weimarer Republik zu zerstören. Forstrat Georg Escherich, Anführer der rechtsextremen Heimatwehren, hatte den rechten Philosophen Oswald Spengler, Autor des Bestsellers "Der Untergang des Abendlandes", mehr als einmal bei sich zu Gast. Der Schriftsteller Leonhard F. Seidl hat diese Begegnungen entdeckt - ein unerhörtes Stück Zeitgeschichte von verblüffender Aktualität - und in seinem neuen Roman verarbeitet.

SZ: Herr Seidl, Ihr neues Buch "Vom Untergang" spielt vor 100 Jahren und zumindest teilweise in Isen. Was für eine Art Buch ist das? Spannend ist es ja auf alle Fälle.

Leonhard F. Seidl: Ich würde sagen "Vom Untergang" ist ein historisch-zeitgeschichtlicher Kriminalroman.

Sie haben viele originale Textpassagen aus Briefen, Tagebüchern und Protokollen von Reichstagsitzungen sehr geschickt mit Ihrer Story verwoben. Viele Protagonisten sind real. Ein zentrales Ereignis im Buch ist etwa der Mord an Außenminister Walter Rathenau am 24. Juni 1922.

Es ist ein tragischer Zufall, dass das Buch genau 100 Jahre später erscheint. In einer Zeit, in der die Sprache von manchen Parteien im Berliner Reichstag der Sprache von damals doch sehr ähnelt. Es sind tatsächlich frappierende Parallelen zu beobachten.

Walter Rathenau ist ein bekannte Persönlichkeit. Doch Georg Escherich und Oswald Spengler sind allgemein sehr viel weniger bekannt. Wer waren die zwei?

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Die beiden waren keine Nazis, nichtsdestotrotz waren sie Rechtsextreme. Oswald Spengler war ein führender rechter Intellektueller, Verfasser des Buchs "Der Untergang des Abendlandes". Ich habe herausgefunden, dass Spengler regelmäßig in Isen war, schon damals nicht der Nabel der Welt. Dennoch spielte Isen eine ganz wichtige Rolle, weil Georg Escherich sich dort aufhielt, der Gründer der Einwohnerwehren.

Was waren die Einwohnerwehren?

Die Einwohnerwehren gründeten sich nach der Revolution 1918/19 in Bayern mit der Behauptung, dass man sich gegen die Bolschewisten aus München verteidigen müsste. Viele Männer besaßen noch Waffen aus dem Ersten Weltkrieg. Während die Linken der Verpflichtung, ihre Waffen abzugeben, tendenziell nachkamen, scherten sich die Rechten wenig darum. Menschen, die Waffenverstecke der Rechten meldeten, wurden ermordet, so wie die 19-jährige Münchnerin Marie Sandmayr. Auch der USPD-Abgeordnete Karl Gareis wurde bei einem der vielen, sogenannten Fememorde von rechten Attentätern umgebracht. Ludwig Thomas hatte noch kurz zuvor gegen ihn gehetzt. Schon damals gingen die Rechtsintellektuellen mit den Antidemokraten Hand in Hand. Es ist ja auch heute zu beobachten, dass sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller der AfD andienen oder sich für die Verschwörungspartei Die Basis aufstellen lassen.

Forstrat Georg Escherich, Kolonialist, Rassist - und bis heute Namensgeber für eine Straße in Isen. (Foto: privat)

Wie sind Sie auf die Verbindung von Escherich und Spengler gestoßen?

Seit ich 16 Jahre alt war, setzte ich mich mit der extremen Rechten auseinander, auch mit der sogenannten neuen extremen Rechten. AfD, Pegida und andere rechtsextreme heutige Gruppen berufen sich auf Oswald Spengler.

Oswald Spengler ist immer noch ein wichtiger rechter Vordenker?

Es gibt ja bei Pegida das geflügelte Wort vom "Untergang des Abendlandes". Das ist eine eindeutige Bezugnahme auf Oswald Spengler, es ist ja der Titel seines Buchs. Ein Beispiel: Spengler schreibt unter anderem, dass die Völker Afrikas, Zitat, "im Zuge der farbigen Weltrevolution über Deutschland herfallen" würden.

Sind Spenglers Vorstellungen damals nach dem Ersten Weltkrieg auf besonders fruchtbaren Boden gefallen?

Sein Buch war ein Bestseller. Man konnte es in fast allen deutschen Haushalten finden. Ob die Leute es gelesen haben, sei mal dahingestellt.

Und dieser Mann, Oswald Spengler, ist tatsächlich mehrmals nach Isen gefahren, um den Forstrat Georg Escherich zu treffen. Was wollte er von ihm?

Spenglers Ansinnen, und das einer ganzen Gruppe von Männern um ihn, war, über eine Lenkung der Presse die Massen zu manipulieren.

Sie haben ein Zitat von ihm an den Anfang des Buchs gestellt: "Der Pressefeldzug entsteht als die Fortsetzung - oder Vorbereitung - des Kriegs mit anderen Mitteln." Sehr aktuell.

Spengler wollte ein faschistisches System in Deutschland. Er war ein großer Mussolini-Bewunderer, lehnte aber Hitler ab, der war ihm zu bauernschlau, und die NSDAP war ihm zu proletarisch. Die Zeitungen befanden sich damals in einer Krise. Die Papierpreise stiegen extrem an, was ein Grund dafür war, dass Spengler Escherich in Isen besuchte.

Oswald Spengler, Kulturphilosoph und Mussolini-Bewunderer, 1922 in Berlin. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Was wollte er von ihm ganz konkret?

Spengler reiste nach Isen, um über Escherich verbilligt Zellulose zu besorgen, weil die Papierpreise so hoch waren. Das war ein Teil der Strategie zur Lenkung der Presse.

Aber Spengler hat Escherich noch in einer ganz anderen Funktion gesehen.

Es gibt dieses Zitat von Oswald Spengler: "Zu einem Goethe werden wir Deutschen es nicht wieder bringen, aber zu einem Caesar." Für ihn verkörpert Caesar den Typ des faschistischen Führers, den auch die Deutschen bräuchten. Und diese antidemokratische, autoritäre Gesinnung und Führungsstärke erkannte er in Georg Escherich, der ja die Einwohnerwehren durchaus erfolgreich geführt hat. Der zudem in dem Sinn erfolgreich war, dass ihm nie nachgewiesen werden konnte, dass er in Fememorde verwickelt war, was aber sehr wahrscheinlich ist. Escherich sollte Spenglers Caesar, der Diktator Deutschlands werden.

Dieser Georg Escherich ist in Isen als honorige Persönlichkeit angesehen, die mit der Benennung einer Straße gewürdigt worden ist und noch gewürdigt wird. Was sagen Sie dazu?

Ich denke, ein Teil der neu zugezogenen Isenerinnen und Isener kennt Escherich nicht. Für ältere Isener ist er eine Respektsperson, weil er weit herumgereist ist und seine Frau Gabriele den Isener Kindern Klavierunterricht gegeben hat. Ein Punkt, weshalb er als verehrungswürdig galt, ist, das auch Hindenburg bei ihm zu Besuch war. Nur ist es mittlerweile so, dass Hindenburg aufgrund seiner Kriegsverbrechen bundesweit nicht mehr als bewunderungswürdig angesehen wird. Früher nach ihm benannte Straßen und Plätze sind schon umbenannt worden. Ich denke außerdem, dass bei vielen einfach zu wenig Wissen über jene Zeit vorhanden ist. Viele denken vielleicht so: Es gab die Nazis, Escherich war kein Nazi und damit war er okay. Aber: Er war ein rechtsextremer Antidemokrat.

Was empfehlen Sie den Isenern?

Die Georg-Escherich-Straße ist ja glücklicherweise nur eine kurze Straße mit wenigen Hausnummern. In dieser Straße steht die alte Linde, die zur Markterhebung von Isen gepflanzt wurde. Warum benennt man die Straße also nicht in Alte-Linden-Straße um? Die Linde steht für das Mütterliche, für das Fürsorgliche, der Lindenblütentee ist wohltuend und heilsam, die Blätter der Linde sind herzförmig.

Die alte Linde wurde - wahrscheinlich - zur Markterhebung Isens 1434 gepflanzt. (Foto: Renate Schmidt)

Das ist alles viel sympathischer als Georg Escherich.

Unbedingt. Warum muss diese Straße nach einem rechtsextremen, toxischen Mann benannt sein?

Es ist interessant, dass Ihr Buch auch in dieser Hinsicht zum richtigen Zeitpunkt kommt. In Isen wird gerade ein historisches Jubiläum gefeiert, man freut sich, dass es den Ort schon so lange gibt. Das ist ja vielleicht auch der richtige Zeitpunkt, für ein bisschen Reflexion, ob alles immer beim Alten bleiben soll.

Das Schöne ist ja, dass ich mit einem Kapitel aus meinem Buch den zweiten Preis beim Jubiläums-Literaturwettbewerb "Fabelhaftes Isen" gewonnen habe. Genau in diesem Kapitel sind originale rassistische Aussagen von Escherich zu finden.

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