Lokalgeschichte:Dorfen und das Rätsel um Turum

Lesezeit: 3 min

Hans Bauers Karte der Römerstraßen in Rätien und Noricum mit Bratananio (Pretzen) , Isinisca (Isen) und Turum, das er bei Dorfen verortet. (Foto: Hans Bauer)

Die Stadt im Landkreis Erding feiert heuer die erste urkundliche Erwähnung vor 1250 Jahren. Doch die Besiedelung geht deutlich weiter zurück. Lag hier auch die sagenumwobene Römersiedlung Turum?

Von Thomas Daller, Dorfen

Dorfen feiert heuer das 1250-jährige Bestehen, ausgehend von der ersten urkundlichen Erwähnung. Aber wie weit geht die Besiedelung tatsächlich zurück? Eines der Rätsel der Erdinger Heimatgeschichte ist die sagenumwobene Römersiedlung Turum. Dass es sie gegeben hat, steht zweifelsfrei fest, nicht aber wo sie gelegen ist. Es gibt Hinweise, dass Dorfen diese wichtige Straßenstation der Römer war. Allerdings ist Turum ein Reizthema unter Historikern, über die tatsächliche Lage ist man sich nicht einig. Neun verschiedene Deutungen gibt es bislang, dennoch ist sich der Erdinger Historiker Hans Bauer sicher, dass Turum bei Dorfen lag.

Turum beziehungsweise Turo geht wohl auf lateinisch turris, Aussichts- oder Wachturm, zurück. Umgeben von Palisaden, wie man sie aus den Asterix-Bänden kennt. Turum lag in befriedetem Gebiet und wurde daher nicht militärisch, sondern als staatliche Stelle genutzt. Es war eine Servicestation im heutigen Sinn, mit einem Rastplatz für Fuhrwerke und Übernachtungsmöglichkeiten in kleinen, hölzernen Gebäuden.

Der wichtigste Hinweis auf Turum findet sich im Itinerarium provinciarum Antonini Augusti, kurz: Itinerarium Antonini. Dabei handelt es sich um ein Verzeichnis der wichtigsten Römerstraßen, das der römische Kaiser Antoninus Caracalla (211 - 217 n. Chr.) anlegen ließ und das noch heute einen guten Überblick über das römische Straßennetz ermöglicht. Entlang von 17 Routen, einer Liste mit Stationsnamen und Entfernungsangaben beschreibt das Itinerarium Antonini 70 000 Kilometer im Imperium Romanum. Das Verzeichnis reicht von der Donau bis Nordafrika, vom Atlantik bis Vorderindien.

Die Straße war Teil einer schnellen militärischen Aufmarschroute

Turum lag zwischen Pons Aeni (Innbrücke) und Castra (Regensburg). Die Straße war Teil einer wichtigen und schnellen militärischen Aufmarschroute aus den Alpen über das Inntal zum nördlichsten Punkt an der Donau, an dem Regensburg die Grenze zum freien Germanien überwachte. Auf dieser Strecke gibt es noch einen weiteren Zwischenstopp, Iovisura, der nahe Landshut verortet wird. Dass auf dieser Strecke zwischen der Innbrücke und Regensburg neben Iovisura nur Turum genannt wird, unterstreicht die überregionale Bedeutung Turums in der römischen Spätkaiserzeit. Die antiken Geografen geben zur Lage von Turum aber lediglich die Streckenlängen an. Und dabei hat man ein Problem, dass diese Entfernungsangaben in späteren Abschriften des Itinerariums überhaupt nicht zu den realen Entfernungen passen. Die direkte, geradlinige Strecke ist nur etwa zwei Drittel so lang wie die angegebene.

Pretzen lag an einer überregionalen Handelsstraße. (Foto: Privat)

Diese widersprüchlichen Streckenlängen lassen Spielraum für Vermutungen und Thesen. Traditionell wird Turum bei Dorfen oder Haag gesucht. Weitere Lokalisierungsversuche sind Töging (Rudolf Münch), Altötting (Berhard Zöpf) und sogar Burghausen (Josef Stern). Die Annahme, Turum befinde sich im Stadtbereich von Dorfen, hängt insbesondere damit zusammen, dass Turum eine Kreuzung zweier Römerstraßen bildete. Hier verlief nicht nur die Süd-Nord-Verbindung zum römischen Militärlager Castra Regina, sondern auch eine West-Ost-Tangente von Pretzen bei Erding Richtung Dorfen und weiter nach Töging und Simbach.

Erst 1992 stieß man auf dem Höning auf Spuren der Römer

Lokalhistoriker wie Georg Spitzlberger, Emil Rudolf, Ludwig Tafelmayer und Karl Engelmann suchten vor allem in den 1980er Jahren nach Indizien, um die Theorie, Turum liege in Dorfen, zu stützen, ohne jedoch Hinweise oder gar Relikte zu finden. Es dauerte bis 1992, bis man im Dorfener Stadtgebiet auf Spuren der Römer stieß, und zwar auf dem Höning, jenem Hügelzug, der die Ortschaften Straß (bei Schwindkirchen) von Eppen- und Niederhöning trennt. Das Plateau ist rund 500 Meter lang. Auf der gesamten Hochfläche fanden sich Reste von Tonscherben, die eindeutig aus der Römerzeit stammen, wie damals Martin Pietsch vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege festgestellt hatte. Damit war nun endlich die Existenz einer römischen Siedlung im Dorfener Raum gesichert. Ein spektakulärer Fund.

2007 veröffentlichte der Erdinger Historiker Hans Bauer ein Buch zum Thema "Die römischen Fernstraßen zwischen Iller und Salzach nach dem Itinerarium Antonini und der Tabula Peutingeriana". Bauer stellte darin neue Forschungsergebnisse zu den Routenführungen vor. Zudem hat er sich auch intensiv mit der Straßenstation Isinisca beim heutigen Isen auseinandergesetzt und erst vor kurzem einen viel beachteten Artikel über Pretzen in der Kelten- und Römerzeit verfasst.

Bauer ist kein Archäologe, er befasst sich vor allem mit schriftlichen Quellen. Er geht davon aus, dass Turum bei Dorfen lag. Für die widersprüchlichen Entfernungsangaben des Itinerariums hat er zwei mögliche Erklärungen: Zum einen verortet er die Innbrücke Pons Aeni nicht bei Rosenheim, sondern bei Wasserburg. "In der alten Forschung war immer von Wasserburg die Rede", sagte Bauer der SZ und beruft sich dabei auf die Humanisten der Renaissancezeit wie Aventin, Celtis oder Apian. Das sei in der Römerstraßenforschung in Vergessenheit geraten.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

Zum anderen sei das Itinerarium mehrmals im Mittelalter fehlerhaft abgeschrieben und so verschiedentlich übermittelt worden. Bauer kann auf die Stelle genau sagen, wo sich der Abschreibfehler des Kopisten nach seiner Auffassung versteckt hat. Lege man diese beiden Annahmen zugrunde, würden die übrigen Angaben wieder genau stimmen: "Dann kommt man auf 127 Kilometer von Wasserburg nach Regensburg und das ist die direkte Linie."

Durch die spektakulären Funde auf dem Höning wurde belegt, dass der Raum Dorfen bereits viel früher besiedelt war, als die erste urkundliche Erwähnung vermuten lässt. Auch Hans Bauers Forschung wirft ein neues Licht darauf. Ob dieser Ort aber nun Turum oder anders hieß, bleibt offen. Eine Tonscherbe mit der Anschrift des neu entdeckten Römerortes wurde dabei nicht entdeckt. Dorfen ist daher in der Pflicht, bei Grabungen noch sorgfältiger nach römischen Spuren zu forschen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

1250 Jahre Dorfen
:Profis für die Hauptrollen

Für Goethes Faust in Dorfen sind drei Schauspielerinnen und vier Schauspieler engagiert. Beim ersten Probentermin zeigt sich, dass alle schon mit dem Großdrama zu tun hatten - auf die eine oder andere Weise.

Von Florian Tempel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: