Zwischen Welten:Vom Luxus, Musik zu hören

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Der Besuch eines klassischen Konzertes hat unsere ukrainische Kolumnistin daran erinnert, wie schmerzlich sie die Kultur ihrer Heimat vermisst.

Von Emiliia Dieniezhna

Zum ersten Mal seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und meiner Flucht nach Bayern habe ich wieder ein klassisches Konzert besucht. Es war das Lehrerkonzert der Pullacher Musikschule im dortigen Bürgerhaus, das traditionell einmal pro Jahr stattfindet. Im Vergleich zu den Münchner Veranstaltungsorten war der Konzertsaal allerdings eher klein. Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass dort auf der Bühne auf internationalem Niveau musiziert wurde. Das war überraschend toll. Ich habe das Konzert sehr genossen, auch weil es sich für mich nach Familie anfühlte.

Ich wurde in einer Familie der Pianisten geboren und konnte schon mit vier Jahren Klavier spielen, viel früher als ich Fahrradfahren gelernt habe. Klassische Musik hat in meinem Leben immer eine wichtige Rolle gespielt. Mit dem russischen Angriff auf meine Heimat ist es aber für mich zum Luxus geworden, klassische Musik zu hören. Es gibt meistens etwas anderes, worum ich mich kümmern muss.

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Am Wochenende habe ich nun aber die Möglichkeit genutzt, gute Musik zu hören. Die Pullacher Musikschule unterstützt die geflüchteten Kinder in der Gemeinde dabei, selber Musik zu machen. Sie können dort kostenlos ein Instrument lernen oder einen Chorunterricht besuchen. Ich habe meine Tochter vor Kurzem auch bei der Musikschule angemeldet. Für diese Chance bin ich sehr dankbar, und am Sonntag wollte ich nun hören, wie die Lehrer musizieren.

Das Programm war so vielfältig wie die Instrumente, die die Musikerinnen und Musiker spielen. Klassische Musik und Jazz mit Klavier, Klarinette, Saxofon, Jazzpiano, Bass und Drums wurden von den Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland, Japan und Georgien gespielt. Viele der Musiker haben im Ausland studiert oder wurden dort ausgebildet, etwa in Österreich oder in New York, die jeweiligen Einflüsse konnte man in der Aufführung klar erkennen.

Künstler und Lehrer gleichzeitig zu sein, das geht vielleicht nur in Städten wie München

Alle Musikstücke waren über jedes Lob erhaben. Mir persönlich haben am meisten zwei Improvisationen von Georg Thoma gefallen. Er unterrichtet an der Pullacher Musikschule Klavier und Improvisation und ist ein gutes Beispiel dafür, auf welch hohem Niveau das Konzert gespielt wurde. Denn viele von den Lehrerinnen und Lehrern treten parallel zu ihrer Arbeit an der Musikschule häufig auch auf großen Bühnen auf. Ihnen zuzuhören und gleichzeitig die Möglichkeit zu haben, an einer Musikschule von ihnen unterrichtet zu werden, ist wahrscheinlich nur in Städten wie München möglich.

Mir ist aber auch aufgefallen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine mein Recht, die Musik meiner Heimat genießen zu dürfen, ebenfalls zu einem Luxusgut gemacht haben. Nicht nur musste ich mein Zuhause verlassen, alle meine Freunde und meine eigene Wohnung zurücklassen, sondern mir wurde auch die Möglichkeit genommen, meine Kultur regelmäßig zu genießen. Das ist für mich sehr schmerzhaft, und ich hoffe von ganzem Herzen darauf, dass Russland irgendwann dafür zur Verantwortung gezogen wird. Hier vertraue ich nicht nur auf die Kraft der ukrainischen Armee, sondern auch auf die der internationalen Gemeinschaft.

Emiliia Dieniezhna, 34, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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