Zwischen Welten:Brezelliebe

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Emiliia Dieniezhna (Foto: Bernd Schifferdecker)

Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, umso mehr fühlt sich unsere Kolumnistin in München heimisch. Anteil daran haben auch ein Stück Laugengebäck und ein freundlicher Verkäufer.

Kolumne von Emiliia Dieniezhna

Was ich in den Sommerferien am meisten vermisse? Natürlich meine Schülerinnen und Schüler. Aber auch meine Brezel. Wobei ich mich bis heute frage: Ist es die oder das Brezel? Oder Breze, Brezl, Brezn? Mein Deutsch ist leider noch nicht gut genug, um die Feinheiten der bayerischen Aussprache genau zu verstehen. Aber ich werde noch die richtige Aussprache lernen, das verspreche ich.

Unabhängig von der Aussprache konnte ich mir früher kaum vorstellen, mit einer Brezel zum Frühstück in den Tag zu starten. Ich als Ukrainerin fand nämlich immer, dass eine Brezel eine äußerst ungesunde Mahlzeit ist. Nun aber gehören Brezel und Kaffee um sieben Uhr morgens auf dem Weg zur Arbeit einfach dazu. Ich finde das zwar immer noch ungesund. Aber meine Brezelliebe ist inzwischen größer als meine Bedenken. Man könnte sagen, die Brezel gibt mir Stabilität im Leben - und das Gefühl, dass ich in Pullach nun fast zuhause bin.

In der Ukraine frühstücken wir Brei mit Gemüsesalat

In meiner Familie gibt es noch eine weitere Brezel-Geschichte. Mein Mann Olexiy hat sein ganzes Leben für die Niederlassung einer deutschen Firma in der Ukraine gearbeitet. Häufig musste er dafür Baumessen in München und Nürnberg besuchen - oft auch mit seinem deutschen Kollegen Alexander. Alexander isst zum Frühstück immer eine Brezel, die er mit einer Tasse Kaffee in der Mensa der Firma kauft. Mein Mann und ich haben oft darüber gelacht, weil wir uns fragten, wie man ernsthaft täglich so etwas ungesundes wie eine Brezel frühstücken kann.

Traditionell besteht das Frühstück in der Ukraine aus einem nahrhaften Brei, oft in Kombination mit Gemüsesalat. Bei mir zu Hause gibt es viele verschiedene Sorten Brei, von Reis bis Buchweizen, aber alle sehr lecker und gesund. Es kann zum Beispiel ein Haferbrei sein (aber kein Müsli), aber auch mal nur ein griechischer Joghurt. Gesalzenes Laugengebäck, auch noch mit Kaffee statt Tee, war für mich eigentlich unvorstellbar.

Und nun bin ich hier, 16 Monate nach der Flucht aus der Ukraine, und frühstücke eine Brezel. Jeden Morgen steige ich an der S-Bahn-Station Donnersbergerbrücke um und unterwegs zur Bushaltestelle kaufe ich sie, meine Lieblingsbrezel. Der Verkäufer kennt mich schon sehr gut, meistens ruft er mir schon zu: "Eine Butterbrezel mit Latte Macchiato, oder?"

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Nach den Ferien fragt der Verkäufer oft, wo ich die ganze Zeit geblieben bin, ob ich im Urlaub war? Das finde ich immer sehr freundlich und es erinnert mich an die Zeiten, als ich in der Ukraine alle Verkäufer in der Nähe meiner Wohnung mit Namen kannte. Danke, lieber Verkäufer, für das Gefühl eines zweiten Zuhauses in meinem Leben.

Uns macht eben nicht nur aus, wo wir geboren wurden und was wir gelernt haben, sondern auch wo wir wohnen und welche Kultur wir verinnerlichen. Die Brezel ist mein Symbol der unvermeidlichen Integration in die deutsche Gesellschaft, die umso mehr manifestiert, je länger wir Ukrainer hier wohnen. Aber so lange der russische Krieg gegen mein Land andauert, so lange werden wir nicht zurück in die Heimat können. Diese Zeit zu überstehen, dabei hilft mir auch die Brezel.

Emiliia Dieniezhna, 35, flüchtete mit ihrer damals vierjährigen Tochter Ewa aus Kiew nach Pullach bei München. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Nicht-Regierungs-Organisation NAKO, deren Ziel es ist, Korruption in der Ukraine zu bekämpfen. Außerdem unterrichtet sie ukrainische Flüchtlingskinder in Deutsch. Für die SZ schreibt sie einmal wöchentlich eine Kolumne über ihren Blick von München aus auf die Ereignisse in ihrer Heimat.

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