SZ-Adventskalender:Erst einmal angekommen

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Zeilen einer Afghanin, die im Landkreis Ebersberg lebt (Foto: oh)

Eine afghanische Familie flieht vor den Taliban und versucht, hier Fuß zu fassen - trotz Corona und den Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache.

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Angst. Sorge. Und wieder Angst. Angst, aus dem Haus zu gehen, Angst, die Kinder in die Schule zu schicken, Angst vor den Gestalten, die auf einen zukommen, während man dabei ist, sein Feld zu bestellen, oder zu seiner Familie zurückzukehren. So war es für die Familie von Sahra L. (Namen alle geändert, d. Red.), als sie noch in ihrer Heimat Afghanistan gelebt hat. "Wir wissen nicht, ob wir in einer Minute nicht schon tot sind", hatte ein junger Mann 2016 dieser Zeitung gesagt, der für das amerikanische Militär in Masar-i-Sharif zu jener Zeit als Dolmetscher arbeitete. Er formulierte damit das Lebensgefühl, das auch Sarah L. beschreibt, die bis 2015 in der Provinz Masar-i-Sharif zu Hause war, dann mit ihren Eltern und den zwei Brüdern vor der Willkür der Taliban floh, über Iran, die Türkei, nach Deutschland. Zu Fuß, mit einem Auto, wieder zu Fuß. Mit einem Schlepper.

Zu bleiben wäre schlimmer gewesen. Völlig egal, wer man sei, oder was man getan habe, "die Taliban waren für alle gefährlich", auch damals, erzählt Sarah L., ohne dass die Fundamentalisten so wie jetzt die Macht im Staat besaßen. "Sie waren da, im Dorf, unter uns, die Polizei hat sich nicht mal herein getraut." Sie ist heute 23, damals war sie noch ein Mädchen, 17 Jahre alt. "Keiner hat sich getraut, die Kinder in die Schule zu schicken. Nicht nur die Mädchen, auch die Jungen." Heute ist sie die einzige, die dafür sorgt, dass die mit der vierjährigen Fatima inzwischen sechsköpfige Familie etwas mehr Geld zur Verfügung hat, als das, was vom Jobcenter kommt. Sarah L. ist im dritten Lehrjahr, macht eine Ausbildung in einer Arztpraxis. Die Wohnung, im Landkreis Ebersberg, in der die Familie vor einem Jahr untergekommen ist, hat sie über Bekannte bekommen.

Endlich, nach fünf Jahren zunächst in einer Turnhalle, dann in einer Asylbewerberunterkunft, 46 Quadratmeter, Containerdorf, wo Sarah L. mit ihren beiden Brüdern, jetzt 15 und 21, in einem Zimmer geschlafen hat. "Drei Betten, drei Schränke, das Zimmer ein schmaler Schlauch." Man merkt ihr die Erleichterung an, dort raus zu sein, auch wenn die Möbel in der aktuellen Wohnung gespendet sind oder vom Sperrmüll, die Teppiche abgewetzt, an den Kanten scheint der Boden durch. Immerhin einen Fernseher gibt es, Tor zur Welt und Quelle der immer schlimmer werdenden Neuigkeiten aus der ehemaligen Heimat.

"Meine Eltern haben immer davon geträumt, wieder zurückzugehen, wenn die Taliban nicht mehr da sind", sagt Sahra L., "aber ich glaube, dass wir unsere Heimat nie mehr wiedersehen werden." Für ihren Vater Saed Ali und seine Frau ist es besonders schwer, hier anzukommen. Er war Bauer, 50 bis 60 Prozent all dessen, was er einnehmen konnte, habe er an die Taliban abgeben müssen, berichtet die junge Frau, die immer wieder rückfragt bei ihrem Vater, der gesten- und wortreich versucht zu erklären, wie das mit den Taliban gekommen sei, die als Paschtunen alle anderen Glaubensrichtungen in Afghanistan zu beherrschen trachteten. Als sie dann von ihm verlangt hätten, Mohn anzubauen, um einen Teil des Erlöses für das daraus gewonnene Rauschgift abzugreifen, habe ihr Vater beschlossen, zu gehen, berichtet die Tochter. "Wir sind Muslime, wir wollen nicht von solch einem Geld leben."

Seit kurzem können die Eltern wieder einen Deutschkurs besuchen. Zu Beginn seiner Zeit in Deutschland habe er auf einer Hühnerfarm gejobbt, dann als Hausmeister, erzählt Saed Ali. Dann aber kam Corona und die Familie habe in ihrer Unterkunft sitzen müssen, die kleine Schwester ohne Spielkameraden, der jüngere Bruder, Rezah, im Homeschooling, das in einem Containerdorf und ohne funktionierenden Computer wohl kaum so genannt werden kann. Er habe nie durchgehend eine Schule besuchen können, tue sich schwer mit dem Lernen, berichtet die Schwester. Erst jetzt, mit einem Betreuer vom Jugendamt und einem Nachhilfelehrer, könne er seinen Abschluss zu machen, während Mortezah, der Ältere, eine Ausbildungsstelle als Autolackierer suche. Auch Saed Ali will unbedingt bald arbeiten, "ich habe viele Pläne, wenn ich erst einmal richtig Deutsch kann", sagt er.

Etwas will Sarah L. unbedingt loswerden. "Wir möchten uns bedanken, dass wir hier leben dürfen. Flüchtlinge wie wir haben viele Hoffnungen und sie wissen, dass sie eine Zukunft haben, wenn sie in ein Land wie Deutschland kommen." Anders als zu Hause. Helfen könnte dabei ein Laptop, das ohne Hilfe aus dem Adventskalender nicht zu finanzieren ist.

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