Wochen der Toleranz:Wir Kinder der kleinen Mehrheit

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Oyindamola Alashe, Journalistin, zu Gast bei den Wochen der Toleranz in Ebersberg. (Foto: Carolin Windel/oh)

Mit Diskriminierung und Alltagsrassismus kennt sie sich leider aus: Journalistin Oyindamola Alashe hat mit ihrem besten Freund ein Buch darüber geschrieben.

Interview von Franziska Langhammer, Ebersberg

Ob Kleber der Gesellschaft oder Zärtlichkeit der Völker - wer über Solidarität spricht, kann schnell ins Pathetische abgleiten. Damit das nicht passiert, hat das Kreisbildungswerk Ebersberg zu seiner Auftaktveranstaltung der Wochen der Toleranz, die ganz unter dem Motto "Solidarität" stehen, das Kölner Autorenduo Oyindamola Alashe und Gianni Jovanovic eingeladen. Alashe, Jahrgang 1978, Tochter einer deutschen Mutter und eines nigerianischen Vaters, und ihr bester Freund Jovanovic, Sohn einer Roma-Familie, haben gemeinsam das Buch "Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit" verfasst, in dem sie von Jovanovics ungewöhnlichem Lebenslauf und Alltagsrassismus in Deutschland erzählen.

SZ: Wann haben Sie das letzte Mal erlebt, dass jemand solidarisch war?

Oyindamola Alashe: Ganz persönlich habe ich eine Welle der Solidarität gespürt, obwohl sie gar nicht mir galt, nach der Ermordung von George Floyd. Weltweit gingen Menschen auf die Straßen und zeigten sich solidarisch mit schwarzen Menschen, die Diskriminierung oder Rassismus erleben - auch in Deutschland. Das fand ich sehr beeindruckend und das hat mich über einige Monate getragen. Solidarität erlebe ich definitiv auch in einer schwarzen deutschen Community, wo man füreinander da ist. Ich erlebe Solidarität aber auch im engsten Freundeskreis: Ich habe Menschen in meinem Leben gefunden, die mich schon seit langer Zeit begleiten und in Momenten für mich einstehen, in denen ich selbst nicht die Kraft habe.

Seit März 2022 herrscht nun in der Ukraine Krieg. Würden Sie sagen, vor diesem Hintergrund hat Solidarität nochmal eine andere Bedeutung bekommen?

Nein, es ist aber eine neue Gruppe an Menschen dazu gekommen, die unsere Unterstützung verdient und dringend braucht. Ich kann mir aber vorstellen, dass viele eine gewisse Nähe zu den Menschen in der Ukraine gespürt haben und nun eher bereit sind, zu helfen.

Wie würden Sie Solidarität definieren?

Solidarität bedeutet für mich, dass man die Situation von Menschen sieht, die in Not geraten sind; dass man bereit ist, was man selbst hat, mit ihnen zu teilen. Dass man dafür vielleicht auch auf etwas verzichtet. Und dass man eine Verbundenheit zu den Menschen spürt, auf unterschiedlichen Ebenen.

Um Solidarität zu verspüren, muss man sich auf gewisse Weise ähnlich sein?

Es macht es sicherlich leichter. Das haben wir ja jetzt auch gemerkt: Viele Menschen, die sich solidarisch mit den Menschen aus der Ukraine erklärt haben, haben das sicherlich auch gemacht, weil sie sich ein Stück weit selbst erkannt haben. Sowohl optisch, als auch in der Lebensweise. Mir fällt es wahrscheinlich auch leichter, mit Frauen solidarisch zu sein, mit Müttern - Menschen, die meine Lebenswirklichkeit teilen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich, und ich kann mich besser in ihre Lage hinein versetzen. Aber das reicht natürlich nicht. Auch darüber hinaus ist es wichtig, empathisch zu sein und sich verantwortlich zu fühlen. Und das kann ich auch für Menschen, die ganz anders leben als ich. Ich finde es schlimm, wie oft zwischen vermeintlich guten und schlechten Flüchtenden unterschieden wird. Alle Menschen verdienen ein gutes, menschenwürdiges Leben in Frieden. Da sollte es keinen Unterschied machen, aus welchem Land und Krisengebiet jemand kommt.

Sie haben zusammen mit Gianni Jovanovic, einem Roma-Aktivisten, ein Buch geschrieben über seine ungewöhnliche Biografie: "Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit". Was verbindet Sie beide?

In erster Linie eine Freundschaft, die über Jahre gewachsen ist. Wir sind gleich alt und in Deutschland groß geworden. Durch die Arbeit an unserem Buch haben wir festgestellt, dass wir zwar ganz unterschiedliche Biografien haben, uns aber sehr viel verbindet. Wir haben eine ganz andere Familiengeschichte, er ist ein Mann, ich eine Frau. Aber wir haben teilweise ähnliche Diskriminierungserfahrungen gemacht. Wir konnten uns darüber, auch früher schon, sehr gut unterhalten. Wir sind beide Eltern - er ist sogar schon Großvater; das sind Themen, die schon immer eine große Rolle gespielt haben bei uns.

Welche Diskriminierungserfahrungen waren das?

Zum Beispiel wurden wir auf der Straße rassistisch beschimpft, in der Schule beleidigt und dann auch benachteiligt oder haben beim Dating viel Fetischisierung wegen unserer Herkunft und Hautfarbe erlebt. Bei der Wohnungssuche wurden uns Türen sprichwörtlich vor der Nase zugeschlagen, bei der Arbeit oder im Bekanntenkreis wurden in unserem Beisein rassistische Witze gemacht. Die Bandbreite ist groß. Leider machen auch unsere Kinder und Giannis Enkel noch einige dieser Erfahrungen.

Wie haben Sie und Gianni sich denn kennen gelernt?

Gianni ist Dentalhygieniker und hat ein eigenes Studio, mitten in Köln. Vor zwölf Jahren hab ich ihn das erste Mal getroffen, weil ich mir ein Bleaching für die Zähne gönnen wollte. Durch Zufall sah ich sein Studio, bin da reingegangen, und dann saß er da in seinen kurzen weißen Shorts und seinen Kniestrümpfen (lacht). Und irgendwie hat es auf Anhieb bei uns gefunkt. Aus diesem Kundinnen-Dienstleister-Verhältnis ist dann peu à peu eine Freundschaft geworden, weil die Gespräche immer persönlicher wurden zwischen uns.

Wie kamen Sie auf die Idee, gemeinsam ein Buch zu schreiben?

Gianni ist schon seit ein paar Jahren als Aktivist für Romnja und Sintizze beziehungsweise der LGBTIQ-Community bekannt, dabei habe ich ihn die ganze Zeit begleitet. Im vergangenen Jahr dann gab es die Debatte beim WDR, als mehrfach rassistische Bezeichnungen für Romnja und Sintizze verwendet wurden. Das hat für sehr viel Aufmerksamkeit auch in den Sozialen Medien gesorgt, und Gianni wurde immer öfter als Aktivist angefragt, um das einzuordnen. Daraufhin wurde das Interesse an seiner Person sehr groß, und uns war nach ein paar Anfragen von Literaturagenturen schnell klar, dass wir gemeinsam ein Buch über seine Biografie schreiben würden.

Können Sie kurz erzählen, worum es in dem Buch geht?

Es geht um Teile der Biografie meines besten Freundes Gianni Jovanovic. Er ist der Sohn einer traditionellen Roma-Familie, wurde sehr früh verheiratet und hat sich später als schwul geoutet. Ein spannendes Leben; aber wir haben früh gemerkt, dass uns das nicht reicht. Deshalb sprechen wir auch über die Geschichte von Romnja und Sintizze und die vielen Diskriminierungserfahrungen, die sie in Deutschland gemacht haben.

Gibt es einen Ausschnitt im Buch, der Sie besonders berührt?

Ja, das Kapitel, das sich mit rassistisch motivierten Anschlägen in Deutschland befasst. Das war sehr emotional für mich und schwierig zu recherchieren. Danach brauchte ich erstmal eine Schreibpause. Ich hoffe, dass das Buch bei Lesern nicht nur Erschütterung auslöst sondern auch das Bedürfnis, etwas gegen diesen strukturellen Rassismus zu tun, den es in Deutschland gibt.

Wo verorten Sie diese Strukturen?

Einerseits reden wir da immer von Behörden - ob das die Polizei, das Bildungssystem oder Gesundheitswesen sind. Andererseits, und das ist mir immer total wichtig zu sagen: Verwaltungen etwa werden immer besetzt von Menschen. Das kann man nicht losgelöst sehen von einzelnen Personen und deren Verantwortlichkeit. Das ist irgendwo traurig, aber auch schön - weil es die Hoffnung gibt, dass man wirklich was verändern kann.

Wie könnte in unserem Alltag eine tolerante Gesellschaft aussehen?

Ich lebe in Köln, und hier gibt es das geflügelte Sprichwort "Leben und leben lassen". Ich tu mich damit ein bisschen schwer. Da wird aus Toleranz nämlich schnell Gleichgültigkeit und wir kommen nicht weiter. Toleranz hat im Idealfall mit Großzügigkeit zu tun. In einer Demokratie muss es möglich sein, genügend Freiräume für Menschen und unterschiedliche Lebensweisen zu schaffen. Dazu gehört auch, dass wir Orte der Begegnung haben, und Chancengleichheit - was auch immer wieder ein großes Thema in unserem Buch ist. Gianni Jovanovic hat einfach nicht dieselben Voraussetzungen im Leben gehabt wie ich oder jemand, der besonders viel Geld hatte. Heute merken wir, wie groß die Probleme sind, die durch diese Ungleichheit entstehen. Es haben längst nicht alle die gleichen Zugänge zu guter Bildung oder zu lukrativer Arbeit. Toleranz ist natürlich der Schlüssel zu einem friedlichen Miteinander, aber da darf es nicht aufhören. Danach müssen auch Akzeptanz, Respekt und Füreinander-Einstehen kommen.

Am Donnerstag, 27. Oktober, von 19 bis 21 Uhr findet die Auftaktveranstaltung zu den Wochen der Toleranz vom Kreisbildungswerk Ebersberg am Sparkassenplatz 1 in Ebersberg statt. Die Journalistin Oyindamola Alashe und der Aktivist Gianni Jovanovic stellen ihr Buch "Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit" vor; begleitet wird die Veranstaltung von der Sängerin Celina Bostic. Anmeldung unter info@kbw-ebersberg.de oder 08092 850 790.

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