Polizei:Wo "Reichsbürger" ihre Fantasiedokumente bestellen

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Immer wieder rücken Polizisten bei den Plieningern an. So wie auf diesem Bild von Februar 2017. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Wieder durchsucht die Polizei Häuser der sogenannten Reichsbürger und ihre selbsternannte Staatsverwaltung im oberbayerischen Landsham.
  • Die Ermittler finden zwar einschlägige Dokumente, tun sich aber schwer. Denn ein Fantasieausweis ist nicht zwingend etwas Illegales.

Von Annalena Ehrlicher und Thomas Schmidt, München/Pliening

In großen Lettern prangt es am Briefkasten eines gepflegten Einfamilienhauses im Plieninger Ortsteil Landsham: "Zentrale Verwaltung Bundesstaat Bayern". Daneben: ein Fantasiewappen. Mehr deutet nicht darauf hin, dass sich hier etwas Illegales abspielen könnte. Dennoch sind Spezialkräfte der Polizei in das unscheinbare Anwesen ein paar Kilometer östlich der Stadtgrenze eingedrungen. Am Dienstag durchsuchten mehr als 200 Einsatzkräfte 28 Häuser und Wohnungen von sogenannten Reichsbürgern. In Landsham war es nun schon die dritte Razzia.

Im Zentrum der Ermittlungen steht die Zentrale des selbsternannten "Bundesstaats Bayern", die ihren Sitz in eben jenem Haus in Landsham hat. Von dort aus vertreiben "Reichsbürger" Fantasiedokumente über ihre "offizielle Weltnetzseite", eine Homepage, die trotz monatelanger Ermittlungen nach wie vor frei zugänglich ist. Gleichgesinnte können dort Staatsangehörigkeitsausweise beantragen, Heimat- und Führerscheine oder auch fertig formulierte Briefe an Behörden herunterladen.

Die "administrative Regierung" hat inzwischen Erfahrung mit der Polizei. Bereits im Februar führten Spezialkräfte in dem Haus eine Razzia durch und stellten einige 1000 Euro sicher, die mutmaßlich durch den Verkauf selbstgemachter Dokumente eingenommen worden waren. Auch Urkunden und Speichermedien nahmen die Ermittler mit.

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Doch davon ließen sich die Plieninger "Reichsbürger" kaum beeindrucken. Offenbar ungerührt machten sie einfach weiter. "Jetzt erst recht", sollen sie einer Nachbarin zufolge gesagt haben. Bei einer zweiten Durchsuchung im März stellten Ermittler erneut Dokumente sicher. Doch auch das stoppte die Verschwörungstheoretiker nicht. Am Dienstag rückten die Einsatzkräfte zum dritten Mal an. Was sie fanden? Drucker, Stempel, Blankovorlagen für Ausweise - das Übliche eben.

Das Problem für die Behörden ist: Allein das Herstellen von Fantasieausweisen ist noch keine Straftat. "Wir können die Leute nicht einfach wegsperren", sagt Peter Grießer, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord. "Wir können aber auch nicht ständig in der Wohnung dieser Herrschaften sitzen." Ähnliches berichtet Plienings Bürgermeister Roland Frick (CSU). Die "Reichsbürger" seien ihm bekannt, seitdem sie vor etwa zwei Jahren ihre Personalausweise im Rathaus abgeben wollten. "Wir haben die Papiere selbstverständlich nicht zurückgenommen", sagt er. Obwohl er seit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten in Mittelfranken die Situation in der Gemeinde aufmerksam verfolge, sagt er: "Einen Spleen zu haben, ist eben grundsätzlich noch nicht gegen das Gesetz."

Doch der Grat zwischen Spleen und Straftat ist bei "Reichsbürgern" schmal. Erwecken selbstgemachte Dokumente etwa den Anschein, von einer staatlichen Behörde zu stammen, "kommt eine Strafbarkeit wegen eines Urkundendelikts in Betracht", erklärt die zuständige Münchner Staatsanwältin Karin Jung. Die Frage, von wann an Verwechslungsgefahr besteht, lässt allerdings Raum zur Interpretation durch die Gerichte. Die Auswertung der sichergestellten Dokumente dauere noch an, ob Anklage erhoben wird, sei noch unklar.

Klar ist aber: Der Druck auf die "Reichsbürger" wächst. Deutschlandweit schätzt die Bundesregierung ihre Zahl auf 12 600, in Bayern sollen es etwa 2700 sein. Knapp 1100 davon sind bereits straffällig geworden, berichteten das bayerische Innen- und das Justizministerium Anfang Juni. 60 "Reichsbürger" in Bayern verfügen demnach über eine Waffenbesitzkarte, 39 haben einen kleinen Waffenschein, 32 eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis.

Bei der groß angelegten Razzia vom Dienstag wurden allein in Bayern 24 Objekte durchsucht, vier weitere in Rheinland-Pfalz. Illegale Waffen wurden nirgendwo entdeckt. Die Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck durchsuchte Wohnungen von vier Reichsbürgern in Dachau und Starnberg. Auch in München wurden mehrere Objekte überprüft. In der Landeshauptstadt wurden bisher 284 Personen als "Reichsbürger" eingestuft. Bei ihnen handle es sich aber eher um Kunden der Fantasiedokumente, nicht um führende Mitglieder, so die Polizei.

Ein einzelner "Reichsbürger" wurde am Dienstag festgenommen. Der 59-Jährige aus der Oberpfalz wurde per Haftbefehl gesucht. Der Fall ist aber vergleichsweise harmlos: Nach Informationen der SZ wurde der Mann gesucht, weil er mehrmals ohne Führerschein erwischt worden war.

Zwei führende "Reichsbürger" aus Pliening wurden bereits Anfang Februar vorläufig festgenommen, aber bald darauf wieder freigelassen. Für die dritte Durchsuchung am Dienstag gab es nun keine Haftbefehle, bestätigt das Präsidium Oberbayern Nord. Staatsanwältin Jung erklärte, es sei nicht das Ziel, "die betroffenen Personen ,zu zermürben'", fügte jedoch an: "Wenn die erneute Durchsuchung aber die Wirkung hat, die Beschuldigten von der weiteren Begehung gleich gelagerter oder anderweitiger Straftaten abzuhalten, so ist dies sicherlich zu begrüßen."

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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