Ambulante Pflege im Landkreis:"Pflege ist eine Meisterleistung"

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Auch Unterstützung beim Anziehen oder Wechseln von Thrombosestrümpfen fallen in das Aufgabengebiet von ambulanten Pflegediensten. (Foto: Ute Grabowsky/imago images/photothek)

Ambulante Pflegedienste erbringen vielfältige Leistungen und stehen vor zahlreichen Herausforderungen - das System ist komplex. Die SZ hat mit Anbietern im Kreis Ebersberg gesprochen: Worin die Schwierigkeiten bestehen und warum es sich trotzdem lohnt, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Von Michaela Pelz, Ebersberg

Wenn es nach einem Krankenhausaufenthalt heißt: "Sie dürfen wieder heim!", so ist dies in der Regel ein Grund zur Freude. Schwierig wird es, wenn man danach auf einen Pflegedienst angewiesen ist oder aus anderen Gründen zu den vier Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland gehört, die zu Hause versorgt werden - meistens durch Angehörige, von denen viele durch einen ambulanten Pflegedienst Unterstützung erhalten.

Denn wer sich bei ebenjenen im Landkreis Ebersberg umhört, dem wird klar: Die Pflegedienste kommen aktuell stark an ihre Grenzen. Die Nachfrage übersteigt so manches Mal die Kapazitäten, denn das Personal ist, wie überall in der Pflege, knapp. Gleichzeitig sind die Betriebskosten hoch und erbrachte Leistungen werden unterschiedlich vergütet, sodass in dieser Hinsicht keine Einsatzstunde der nächsten gleicht.

Dass es um das Personal und damit auch um die Zahl der Pflegedienste nicht unbedingt üppig bestellt ist, ist besonders im süd-westlichen Landkreis zu spüren: Angela Gottwald (gelernte Krankenschwester) stellt mit ihrem Team in Glonn die einzige Anbieterin dar. Insgesamt jedoch ist das Angebot an Pflegediensten mit Sitz im Landkreis in jüngerer Vergangenheit angestiegen: 2010 waren es noch 14 Dienste, 2020 schon 17 und mittlerweile sind es 20.

Damit folgt der Landkreis dem allgemeinen Trend: Um etwa ein Drittel hat sich zwischen 1999, dem Beginn der vom Bund erhobenen Pflegestatistik, und 2021 die Zahl der ambulanten Pflegedienste in Deutschland erhöht - in Bayern von 1591 auf 2140.

Mit ihrem Grasbrunner Pflegedienst deckt Mandy Stamm den Bedarf in zahlreichen Ortschaften des Landkreises Ebersberg. (Foto: privat)

Mandy Stamm aus Grasbrunn ist im September 2021 das Wagnis einer Gründung eingegangen. Ihr Team fährt bis Ebersberg, Grafing, Kirchseeon und Oberpframmern. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hilft sie neuen Mitarbeitenden bei der Wohnungssuche, bietet flexible Arbeitszeiten und Unterstützung bei Aus- und Weiterbildung an. Entlohnung nach Tarif sei für sie immer schon selbstverständlich gewesen. Das gilt auch für viele Pflegedienste mit Sitz im Landkreis Ebersberg.

Doch diese Maßnahmen alleine scheinen nicht auszureichen, damit das Angebot die Nachfrage decken kann. Deutliche Worte dazu findet Dagmar Kiefert. Als Palliative Care Fachkraft im Zentrum für Ambulante Palliativ- und Hospizversorgung Oberhaching ist sie zuständig für die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) in den Landkreisen München und Ebersberg. Ihr sei aufgefallen, dass es zunehmend schwieriger werde, überhaupt einen Pflegedienst zu bekommen, seitdem vor sechs Jahren der Pflegebedürftigkeitsbegriff weiter gefasst wurde.

"Vor allem, wenn wir als Palliativteam anrufen. Weil klar ist, dass das nicht lange laufen wird, ist vielen der bürokratische Aufwand zu groß." Was sie zwar verstehe, aber vor allem dort bedenklich fände, wo ein Mensch noch zu Hause bleiben könnte, wenn jemand regelmäßig nach ihm schaut - ohne dass Sohn oder Tochter dreimal am Tag vorbeikommen muss.

Allerdings stellt genau diese Anfahrt für die Pflegedienste ein akutes Problem dar. Denn sie wird pauschal und damit unabhängig von der Entfernung vergütet - 2022 mit 4,92 Euro. Dagmar Kiefert rechnet vor: "Wenn jemand in fünf Straßen drei Leute hat, ist es effektiver, als wenn sie jeweils sieben oder acht Kilometer auseinander wohnen." Noch extremer sei es abseits der großen Zentren. "Sucht man jemanden für Rott, Frauenneuharting oder Baiern, wird man oft schon von Anfang an abschlägig behandelt."

Dass die Touren im Hinblick auf Energiekosten und Zeit sorgfältig geplant werden müssen, gilt generell. Zuweilen kollidiere da die beste Route mit den Wünschen der Klienten. Jemand, der gern um acht Uhr dran wäre, kriegt dann leider doch erst um zehn Uhr die Stützstrümpfe angezogen.

Für die Abdeckung mit wohnortnahen Diensten hat Kiefert eine Idee: "Warum gibt nicht jede Gemeinde Anreize wie Kostenbeteiligung, weniger Gewerbesteuer oder Immobilien zum mieten, damit sich auch auf dem Land Dienste ansiedeln oder halten können?" Auf diesen Vorschlag angesprochen, teilt Landrat Robert Niedergesäß (CSU) mit, dass es Aufgabe des Gemeinwesens sei, die pflegerischen Unterstützung zu gewährleisten. "Gefordert sind alle - Bund, Länder, Bezirke, Kreise und jede einzelne Kommune."

Nicht jede Kraft darf alles machen

Neben der Entfernungen ist für die Planung der Routen ein weiterer Aspekt relevant: Wer kann die Tätigkeit übernehmen? So darf nur eine ausgebildete Kranken- oder Altenpflegerin medizinische Leistungen durchführen, also zum Beispiel Wunden versorgen oder eine Spritze verabreichen. Ein Großteil der Aufgaben eines Pflegedienstes umfasst aber alltägliche Verrichtungen, also Hilfe beim Frühstück, das Waschen der Füße oder Tee kochen. Dafür sind examinierte Fachkräfte eigentlich überqualifiziert und damit auch zu teuer.

Deswegen setzt man neben ihnen Hilfskräfte und Angelernte ein. Denn solche Tätigkeiten dürfen auch von ihnen erledigt werden, ihr Stundenlohn aber ist niedriger als der einer examinierten Kraft. Dennoch ergab eine Befragung des Landratsamts im Februar 2020 von damals elf im Landkreis ansässigen Pflegediensten, deren Angebot auch hauswirtschaftliche Arbeiten wie Wäsche aufhängen oder Tee kochen umfasste, dass nur vier von ihnen die bestehende Nachfrage bedienen können.

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Und das, obwohl mehr als die Hälfte der 56 992 Beschäftigten der 2140 bayerischen Pflegedienste (765 davon in Oberbayern) Pflegehelfer, Heilerziehungspflegerinnen, Sozialpädagogen und Hauswirtschafterinnen sind, wie eine Sprecherin des Bayerischen Gesundheitsministeriums berichtet. Aber durch den demographischen Wandel steigt auch der Anteil der Tätigkeiten, für die man die andere Hälfte, also die examinierten Fachkräfte aus den Bereichen Alten-, Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege braucht.

Die Pflegedienste können auf unterschiedliche Arten ihre Leistungen abrechnen

Die Abrechnung der erbrachten Arbeiten ist ohnehin eine komplexe Sache. Denn laut Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern (ARGE) kann die Abrechnung entweder nach Leistungskomplexen, Zeitaufwand oder Pauschalen erfolgen.

Für Angela Gottwald und ihren Betrieb in Glonn passte lange Zeit die Abrechnung nach Zeitaufwand, also Stundensätzen. Doch dann stiegen nicht nur die Kosten für Gehälter, Fahrzeuge, Miete und Verwaltung, sondern auch der Dokumentationsaufwand. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass während der Einsätze Beratungen durchgeführt werden, für die es keine Abrechnungsziffer gibt.

Heißt es nun für sie und andere private Anbieter: Weg von Pauschalen und hin zur kleinteiligen Auflistung aller Positionen? "Jein", lautet die Antwort der gelernten Krankenschwester. Klar, sagt Gottwald weiter, je mehr Tätigkeiten innerhalb einer bestimmten Zeit, desto lukrativer. Aber sie müsse auch auf ihre Leute schauen und wie jeder am besten arbeiten könne. Allerdings werde sie mehr noch als früher ihre eigenen Zahlen beobachten, eine Mischkalkulation fahren und bereits bei der Aufnahme neuer Klienten auf den jeweiligen Aufwand achten müssen.

Ulrike Bittner, Kreisgeschäftsführerin der Awo, spricht von einem Dominoeffekt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für den Awo-Kreisverband in Markt Schwaben liegt die Sache etwas anders, wie Geschäftsführerin Ulrike Bittner erklärt. Zwar müsse auch eine gemeinnützige Organisation ihre Kosten gegenfinanzieren, aber als Wohlfahrtsverband müsse die Awo keinen Gewinn erwirtschaften. Ziel ist allein die Versorgung der Bevölkerung. Auch habe man andere Reserven als ein privater Betrieb - man gehe nicht insolvent, wenn die Krankenkasse drei bis fünf Monate braucht, bis sie etwas zahlt.

Deshalb dürfen Wohlfahrtsverbände keine Anfragen aus Gründen mangelnder Rentabilität ablehnen - privatwirtschaftliche Betriebe hingegen schon, und solche machen deutschlandweit und auch im Landkreis 68 Prozent der ambulanten Dienste aus. Alle für diesen Artikel Befragten bekräftigen, dass dies bei ihnen nie aus betriebswirtschaftlichen, sondern höchstens aus Kapazitätsgründen vorkomme - wenn überhaupt. Passieren tut es im Landkreis trotzdem, weil das Angebot oft einfach nicht ausreicht.

Ambulante Pflege: Ein komplexes Thema, für das es Lösungen braucht. Aber auch ein Beruf, für den sich jede einzelne Befragte wieder entscheiden würde. Mandy Stamm sagt: "Was gibt es Schöneres als die Dankbarkeit der Patienten, das Lächeln in ihren Augen zu sehen?" Und in Angela Gottwalds leidenschaftlichem Plädoyer für ihren Job heißt es: "Das ist ganz großes Lebenskino und wir sitzen in der ersten Reihe." Offenbar konnte sie diese Begeisterung weitergeben: Ihre Tochter ist mittlerweile in den Betrieb eingestiegen.

Auch Dagmar Kiefert liebt, was sie tut, fordert aber gleichzeitig eine höhere Wertschätzung: "Die Ausbildung zur Pflegefachkraft plus Zusatzqualifikation in einem Bereich wie Intensiv- oder Palliativmedizin entspricht beim Vergleich mit dem Handwerk einer Meisterprüfung. Nicht jeder kann Schränke zusammenbauen - das Prinzip gilt auch für uns. Pflege ist eine Meisterleistung."

Kostenfreie Beratung rund um das Thema Pflege und damit auch die ambulanten Dienste gibt es beim Pflegestützpunkt des Landkreises. Man erreicht ihn unter: (08092) 823-702 oder pflegestuetzpunkt@lra-ebe.de.

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