Bahnstreik im Landkreis:Wenn mal wieder Stillstand herrscht

Lesezeit: 6 min

"Nicht einsteigen" heißt es in den kommenden Tagen auch für die Pendler im Landkreis Ebersberg, die vom Bahnstreik betroffen sind. (Foto: Johannes Simon)

Sechs Tage lang bestreikt die Lokführergewerkschaft die Bahn, davon sind auch viele Menschen und Betriebe im Landkreis Ebersberg betroffen. Über Alternativen, Improvisation und starke Nerven.

Von Anja Blum, Andreas Junkmann, Franziska Langhammer, Barbara Mooser, Michaela Pelz und Merlin Wassermann, Ebersberg

Auch wenn nicht gestreikt wird, ist die Bahn im Landkreis Ebersberg nicht unbedingt das Verkehrsmittel der Wahl, wenn es darum geht, pünktlich und zuverlässig ans Ziel zu kommen. Doch immerhin kann man in der Regel darauf bauen: Irgendwann geht's schon weiter. Der sechstägige Streik der Gewerkschaft der Lokführer macht die Situation aber noch einmal ein Stück schwieriger, wer dennoch auf die Bahn setzt, muss deutlich mehr Zeit einplanen und die Bahn-App genau im Auge behalten. Die SZ Ebersberg hat sich im Landkreis umgehört, wie Betroffene mit der Situation umgehen.

Die Ebersberger Autoteiler

"Mehr Zulauf an Mitgliedern haben wir aktuell nicht, aber wir haben natürlich sehr viel mehr Buchungen der eigenen Leute", erzählt Norbert Neugebauer, Vorsitzender der Ebersberger Autoteiler. Die meisten seien dabei, weil sie sich die hohen Kosten für ein Zweitauto sparen wollten. Viele reservierten sich derzeit sicherheitshalber ein Auto und benutzen es dann auch, wenn die Bahn wieder streikt. "Was toll ist - und den Effekt hatten wir schon beim letzten Bahnstreik -, dass man im Verein selbst schaut, wo man sich helfen und unterstützen kann: Es bilden sich viele Fahrgemeinschaften", sagt Neugebauer.

Viele Mitglieder und zu Streikzeiten hohe Buchungszahlen haben die Autoteiler Ebersberg zu verzeichnen, erzählt Vorsitzender Norbert Neugebauer. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf der Buchungs-Plattform, über die Sammel-E-Mail oder auf Whatsapp heiße es dann: "Ich muss um neun in München sein - wer will oder kann mitfahren?" Meistens geht es dabei um die Strecke Ebersberg - München. Derzeit haben die Ebersberger Autoteiler 90 Mitglieder und 170 Fahrberechtigte - das sind die Partner oder Kinder ab 17, die mit im Haushalt leben. Erst im Herbst hat sich der Verein zwei neue Autos angeschafft. "Momentan reichen unsere sieben Fahrzeuge aus, aber die sind tatsächlich auch voll ausgelastet. Als eines der Autos kürzlich in der Werkstatt war und ausgefallen ist, haben wir das schon gespürt", sagt Neugebauer.

Die Grafinger Schulleiterin

Viele Schüler und Lehrer nehmen tagtäglich den Zug oder die S-Bahn, um in das Grafinger Max-Mannheimer-Gymnasium zu kommen. Das bereitet Schulleiterin Nicole Storz Kopfzerbrechen. "Am stärksten sind durch die Streiks meine Kolleginnen und Kollegen betroffen", sagt sie. "Einige von ihnen kommen aus München und müssen dann schauen, wie sie in die Schule kommen, etwa, indem sie sich zu Fahrgemeinschaften zusammenschließen." Bisher hätten sie es zwar - unter teils erheblichem Aufwand - immer geschafft, rechtzeitig zu kommen, aber es sei für alle "sehr nervig".

Für viele ihrer Kollegen, Schüler und deren Eltern bedeuten die Bahn-Streiks eine echte Herausforderung, erzählt die Schulleiterin des Grafinger Max-Mannheimer-Gymnasiums Nicole Storz. (Foto: Christian Endt)

Was die Schüler anbelangt: Viele von ihnen kommen laut Storz mit dem Bus und sind deswegen von den Streiks zum Glück nicht betroffen. Alle, die jedoch mit dem MVV zu ihnen führen, müssten eine Lösung finden. "Meistens sprechen sich Eltern untereinander ab und bilden ebenfalls Fahrgemeinschaften", so Storz. "Die Mehrbelastung liegt also im Endeffekt bei ihnen, da tun sie mir sehr leid." Leider könne man den Schülern nicht einfach sagen: "Dann kommt halt ein bisschen später", da zum Beispiel Schulaufgaben trotzdem geschrieben werden müssten. Nur in Ausnahmefällen, wenn es ein Schüler gar nicht in die Schule schaffen könne, würde er vom Unterricht entschuldigt werden. Die allermeisten kämen aber trotz Streik.

In dieser Situation könne man leider auch keinen Distanzunterricht anbieten, wie es sich manche Eltern wünschten, erklärt Storz. Die Stunden seien als Präsenzstunden vorbereitet, man müsste also jede Unterrichtseinheit für die Onlineplattform ein zweites Mal gestalten. "Diesen doppelten Aufwand können wir nicht leisten."

Das Amtsgericht Ebersberg

Wer zu einer Verhandlung im Ebersberger Amtsgericht geladen wird, sei es als Angeklagter oder als Zeuge, sollte diesen Termin besser nicht verpassen - sonst können empfindliche Strafen drohen. Im Falle des Bahnstreiks aber will die Behörde Nachsicht walten lassen. "Wenn sich in der Früh jemand bei uns meldet und sagt, er kommt hier einfach nicht weg, dann ist er natürlich entschuldigt", sagt der stellvertretende Amtsgerichtsdirektor Frank Gellhaus. Von Amts wegen aber werde man keine Verhandlungen absagen.

Wer zu einem Termin am Ebersberger Amtsgericht geladen wird, sollte diesen im Normalfall besser nicht verpassen. (Foto: Christian Endt)

Vor Prozessbeginn werfe man aber durchaus einen Blick darauf, wo die Beteiligten wohnen. "Wenn sie aus einem Bereich kommen, aus dem ohnehin keine S-Bahn nach Ebersberg fährt - zum Beispiel aus Markt Schwaben - dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie sowieso mit dem Auto fahren", sagt Gellhaus. Und auch sonst schafften es die Verfahrensbeteiligten meistens, dem Bahnstreik zu trotzen. Zumindest beim jüngsten Ausstand der Lokführer habe alles recht gut geklappt. "Aber man steckt da natürlich nicht drin", so der stellvertretende Amtsgerichtschef, "das kann dieses Mal auch ganz anders sein."

Der Kita-Träger

In den 21 Kindertagesstätten des Awo-Kreisverbands Ebersberg werden circa 1400 Kinder betreut. Müssen ihre Eltern nun befürchten, aufgrund des Bahnstreiks vor verschlossenen Türen zu stehen, weil die Mitarbeiterinnen nicht zur Arbeit gelangen? Geschäftsführerin Ulrike Bittner sagt: nein. "Weil wir viele Häuser im ländlichen Raum haben, kommen viele unserer Beschäftigten ohnehin per Pkw." Meldungen über eingeschränkte Möglichkeiten zur Anreise habe sie derzeit noch von niemandem erhalten.

21 Kinderbetreuungs-Einrichtungen, wie hier in Forstinning, betreibt die Awo. (Foto: Christian Endt)

Anders habe sich die Situation dargestellt, als es die Glatteis-Warnung gab. "Diese hat tatsächlich Löcher der Präsenz in den Einrichtungen geschlagen. Gleichzeitig hat sich alles dann doch reguliert, weil auch viele Eltern aufgrund der Witterung nicht zur Arbeit fahren konnten und daher ihre Kinder selbst betreut haben." Wie sich das bei den Bahnstreiks darstellen werde, wisse sie nicht, ergänzt Bittner.

Klar ist, dass sich die etwa 60 Personen, die im Rahmen der ambulanten Pflege von der Awo versorgt werden, definitiv keine Sorgen machen müssen. "Hätte jemand aufgrund der Bahnstreiks ein Problem damit, seine Schicht zu absolvieren, würden wir der Mitarbeiterin ein Dienstauto mitgeben." Entsprechende Anfragen seien aber bisher keine eingegangen.

Das Alten- und Pflegeheim

Im Zornedinger Seniorendomizil Haus Bartholomäus leben 117 Bewohnerinnen und Bewohner. Versorgt werden sie von rund 130 Beschäftigten, rechnet man auch die Teilzeitkräfte und Aushilfen hinzu. Der überwiegende Teil von ihnen kommt mit der Bahn. Nach den Auswirkungen des Streiks befragt, ist Einrichtungsleiter Stefan Schmidt der Unmut anzuhören. "Ich habe kein wirkliches Verständnis für den Streik", meint er. "Vor allem, wenn ich sehe, was die Bahn angeboten hat und die Gewerkschaft ablehnt. Jeder andere würde sich darüber freuen."

Stefan Schmidt - hier im Gespräch mit einer Mitarbeiterin - leitet das Seniorendomizil Haus Bartholomäus in Zorneding. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Damit die Versorgung der Menschen im Heim gewährleistet ist, lässt man sich in Zorneding allerhand einfallen. Man bildet beispielsweise Fahrgesellschaften: "Eine Mitarbeiterin aus Vaterstetten fährt extra immer in der Früh nach Grafing und holt ihre Kollegin ab", berichtet Schmidt. Das werde man ihr natürlich vergüten. Andere sähen zu, dass sie mit dem Ein-Stunden-Takt zurechtkommen und kämen dann halt zu spät.

"Ich bin auch schon selbst gefahren und habe jemand abgeholt, wenn es gar nicht anders ging", sagt der Heimleiter. Das sei aber auch nicht immer möglich. Zum Glück habe sich vor allem nach dem Spätdienst um 21 Uhr aber immer eine Möglichkeit gefunden, für einen Transport der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen.

Die Unternehmen im Landkreis

"Wir stellen eigentlich nur Leute ein, die in der Nähe wohnen", sagt Sonja Ziegltrum von der Bayerischen Blumenzentrale in Vaterstetten und lacht. "Denn wer eine weitere Anreise hat, schmeißt nach ein paar Monaten sowieso hin." Außerdem sei in Parsdorf die Anbindung an den ÖPNV nicht gerade optimal, sodass die allermeisten Angestellten mit dem Auto kämen. Deswegen werde der Betrieb wohl kaum vom Bahnstreik betroffen sein. "Da geht es höchstens um ein paar Azubis, aber für die finden wir dann schon eine Lösung", so Ziegltrum.

Sonja Ziegltrum erwartet für ihr Unternehmen keine größeren Probleme. (Foto: Christian Endt)

So oder so ähnlich wie die Chefin der Blumenzentrale scheinen viele Unternehmer im Landkreis Ebersberg zu denken. "Mitarbeitende vor Ort", das liegt offenbar im Trend, gerade beim Mittelstand. "Viele kommen mit dem Auto, manche aber auch mit dem Rad oder gar zu Fuß", heißt es zum Beispiel aus dem Bauunternehmen Emberger in Grafing, und auch beim Maschinenbauer Peschke und Kainz im Ebersberger Gewerbegebiet Nord fürchtet man die stillstehenden Züge nicht. "Wir liegen ja eh weit abseits von der Bahn." Mit dem MVV in die Arbeit? Das scheint bei den Firmen im Landkreis also eher die Ausnahme zu sein als die Regel.

Eine dieser Ausnahmen ist zum Beispiel Canon Production Printing in Poing, einer der größten Arbeitgeber in der Region mit rund 1000 Mitarbeitenden. Von dort heißt es, dass natürlich zahlreiche Angestellte von den massiven Einschränkungen betroffen seien, da die öffentliche Anbindung an das Unternehmen per S-Bahn erfolge. Der Bahnstreik bringe vor allem deshalb große Beeinträchtigungen mit sich, weil es sich um einen Produktionsstandort handle, wo in zahlreichen Bereichen nicht aus dem Homeoffice gearbeitet werden könne.

Hinzu kommt, dass Canon zum 1. Februar als Benefit für die Mitarbeitenden das Jobticket eingeführt hat. Dieses Angebot sei mit hoher Nachfrage angenommen worden, sodass nun viele Mitarbeitende ihr Auto stehen lassen und zukünftig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen würden. "Der Bahnstreik beeinträchtigt somit einen guten Start und wird die Motivation zum Umstieg beträchtlich negativ beeinflussen."

Der Fahrservice in Baldham

Doch auch auf das Taxi steigen diejenigen um, die zuverlässig und pünktlich ans Ziel kommen wollen. Wenn man Max Schätz vom in Baldham ansässigen Fahrservice VaBa fragt, ob in den nächsten Tagen viel los sein wird, kommt die Antwort schnell: "Definitiv, ja!" Die Nachfrage sei sehr hoch, man habe schon bei einigen Anfragen absagen müssen, erzählt er. Vor allem Ziele in München würden angefahren, nicht nur, aber verstärkt, zu Bahnstreikzeiten. Deshalb werden alle sechs Autos des Unternehmens wahrscheinlich ohne große Pausen auf der Straße sein - das Unternehmen bietet schließlich einen 24-Stunden-Service.

Der bahnfahrende Politiker

Der Ebersberger Grünen-Politiker Thomas von Sarnowski ist grundsätzlich mit Bahn und Fahrrad unterwegs, für letzteres ist die Strecke allerdings etwas weit, die zum Wochenende hin überbrückt werden muss: Es geht nach Lindau zur Landesdelegiertenkonferenz seiner Partei. Dort will sich von Sarnowski zur Wiederwahl als Parteivorsitzender stellen. Vom Streik der Lokführer lasse man sich natürlich nicht aufhalten, sagt der 35-Jährige, viele Mitglieder bildeten Fahrgemeinschaften und reisten mit dem Auto an.

Thomas von Sarnowski ist überzeugter Bahnfahrer - und will trotz des Streiks auch am Freitag auf den Zug setzen. (Foto: Christian Endt)

Von Sarnowski selbst hat es noch vergleichsweise gut getroffen: "Die Züge von BRB und Go-Ahead sind nicht betroffen, weshalb ich selbst ganz normal ab Grafing-Bahnhof bis Lindau mit dem Zug fahren kann. Ich fühle mit allen Menschen, die vom Bahnstreik betroffen sind und wünsche ihnen gute Nerven und gutes Ankommen. Mein Appell an die Verhandlungspartner ist: Findet schnell und konstruktiv eine Einigung! Die Bahn ist das Herz Bayerns - das darf nicht lange stillstehen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusIntegration im Alltag
:Leben mit Hindernissen

Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen gibt es viele - doch die Stadt ist nicht für sie gemacht. Eine Sehbeeinträchtigte, ein Rollstuhlfahrer und ein gehörloses Ehepaar zeigen, wie sie mit Barrieren umgehen.

Von Merlin Wassermann, Christian Endt und Peter Hinz-Rosin

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: