"Es herrscht keine unmittelbare Gefahr." Was genau bedeutet dieser Satz aus dem Mund eines Kampfmittelfeuerwerkers? Zumal, wenn er hinterherschiebt: "Sollte es zu rauchen anfangen, sollten wir wegrennen." Dann nämlich werde hier gleich alles voller hochgiftigem Nebel sein und in Flammen stehen. Wenig schöne Aussichten also. Grund dafür ist eine Brandbombe, die am Montag in einem Weiher in Grafing gefunden wurde: eine britische Phosphorbombe INC 30 lb. Phosphor entzündet sich von selbst, allein durch den Kontakt mit Sauerstoff. Unter Wasser allerdings passiert nichts, weswegen die Grafinger Bombe, ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, nie explodierte. Und sozusagen immer noch scharf ist.
Die Kampfmittelexperten haben die Bombe, die aussieht wie ein verrostetes Eisenrohr, am Ufer in einer Wanne voller Wasser deponiert. Daneben liegt ein Haufen Sand bereit - die beste Möglichkeit, um einen möglichen Brand sofort zu löschen. Später wird das Sprengkommando München anrücken, die Bombe in einen verschlossenen Spezialbehälter legen und abtransportieren. "Dann wird sie in einer Kiesgrube kontrolliert gesprengt", erklärt Heinrich Bernhard Scho, der Chef der Kampfmittelfeuerwerker.
Zum Vorschein kommen Stahlhelme, Gewehre, Handgranaten, Teile von Panzerfäusten
Derweil fördert ein Bagger mit langem Schwenkarm, an dem ein sogenannter Sieblöffel befestigt ist, eine große Schaufel mit Löchern, immer weiter Schlamm aus dem trüben Wasser. Bis zu einer Tiefe von vier Metern wird der Untergrund immer wieder abgezogen. An Land durchsuchen Männer in leuchtend gelben Schutzanzügen den Schlamm nach Fundstücken. Mit kleinen Harken wühlen sie sich durch den nassen, stinkenden Dreck - zum Vorschein kommen Stahlhelme, deutsche und russische Gewehre, Handgranaten, Munition, Teile von Panzerfäusten. Eine nicht nur unangenehme, sondern auch gefährliche Arbeit.
Bereits seit einer Woche ist die Firma Scho aus Schiltberg in Grafing zugange, und zwar an der Melak, einem Weiher mitten im Wohngebiet Goldberg. Ganz versteckt liegt er, etwa hundert Meter lang und 25 Meter breit, in einer Senke zwischen Häusern und Bäumen, gleich daneben befinden sich ein Schützenheim und ein Tennisplatz. Doch schon lange kursierten in der Stadt Gerüchte, dass auf dem Grund des kleinen Gewässers Hinterlassenschaften aus dem Zweiten Weltkrieg schlummerten - laut Stadthistoriker Bernhard Schäfer eine sehr wahrscheinliche Annahme: Viele Zeitzeugen hätten davon erzählt, dass kurz vor dem Einmarsch der Besatzer allerhand Kriegsgerät in der Melak gelandet sei. Michael Skasa zum Beispiel berichtet in seinem Erzählband über die Grafinger Nachkriegszeit davon, wie sie als Kinder in der Melak nach Munition getaucht und diese dann zum Explodieren gebracht hätten.
Bei Kriegsende wollten offenbar wollten viele in Grafing belastendes Material loswerden
"Die Amerikaner haben auf Anzeichen von Kampfbereitschaft zu Recht sehr empfindlich reagiert, deswegen wollte man belastendes Material schnell loswerden", erklärt Schäfer. In Grafing habe es damals eine Kraftfahrzeugersatzabteilung der Wehrmacht gegeben, außerdem seien diverse Einheiten sowie versprengte Soldaten durch den Ort gezogen, und auch der ein oder andere Bürger habe wahrscheinlich Waffen daheim gehabt. "Also wollten vermutlich viele was entsorgen", sagt der Leiter des Stadtarchivs.
Um diesen Altlasten auf den Grund zu gehen, hat die Stadt Grafing nun eben die Kampfmittelfeuerwerker von Scho beauftragt. Sie haben die Melak zunächst untersucht, sprich per Ruderboot den Grund mit Detektoren sondiert und am PC eine Karte erstellt, auf der alle "Nester" verzeichnet sind, also jene Stellen, wo man Metallteile wie Waffen vermutet. Bald war klar, dass man in diesem Weiher fündig werden würde - doch die tatsächliche Menge an Kampfmitteln haben die Experten offenbar deutlich unterschätzt. "Wir sind jetzt schon bei 120 Kubik, und es werden insgesamt sicher 400", sagt der Chef. Hinzu kommt haufenweise Bauschutt. Die idyllische Melak war früher offensichtlich eine Müllgrube.
Die Phosphorbombe stammt von einem Luftangriff im November 1944
Seit wann es den Weiher am Goldberg schon gibt, kann Schäfer zwar nicht sagen, doch woher sein Name stammt schon: "Das Gewässer, die Lacke, gehörte einst einem Grafinger Maler und wurde entsprechend Maler-Lacke genannt." Durch sprachliche Verschleifung und Verkürzung wurde daraus im Laufe der Zeit die "Moierlack", die "Moilack" und schließlich die "Melak". Heute befindet sich das Gelände in der Hand des Schützenvereins. Außerdem weiß Schäfer zu berichten, dass wegen wiederholter Überschwemmungen, besonders stark 1965, ein Ablauf geschaffen wurde: Der Melakkanal, der durch den Stadtpark führt, soll verhindern, dass die an den See angrenzenden Anwesen unter Wasser gesetzt werden. Gespeist wird die Melak wiederum von einem Kanal, über den die Felder oberhalb vom Goldberg entwässert werden. Dass der kleine See nun ausgebaggert wird, dient also auch dem Hochwasserschutz der Stadt: Er kann dann wieder mehr Wasser fassen. Das gab laut Bürgermeister Christian Bauer den Anstoß für das Rathaus, das Projekt nun anzugehen.
Ganz exakt bestimmen kann der Historiker die Herkunft der nun geborgenen Phosphorbombe: Am 11. November 1944 war der Markt Grafing selbst erstmals Ziel eines Luftangriffs. "Bei dem um 11.35 Uhr bei bedecktem Himmel und Schneegestöber geflogenen Störangriff wurden eine 30 Kilogramm schwere Sprengbombe und etwa 300 Stabbrandbomben über dem Ortsteil Goldberg abgeworfen", so Schäfer. Darunter auch rund 70 Blindgänger, Gott sei Dank. Einer von ihnen muss die Bombe aus der Melak sein. Von ihr wird nach der Sprengung freilich nichts mehr übrig sein, aber etliche andere, unbedenkliche Fundstücke bekommt Bernhard Schäfer, um sie im Museum der Stadt ausstellen zu können.
Nicht nur das explosive Material ist ein Problem, sondern auch der viele Schlamm
Zu kämpfen hat das Räumkommando aber nicht nur mit explosivem Material, sondern auch mit Unmengen von Schlamm. Meterhoch türmt er sich bereits am Ufer des Weihers auf - und es wird noch viel mehr werden. Da aber der Platz unter den Bäumen begrenzt ist, und der Bagger rangieren können muss, wird es bald sehr eng werden um die Melak herum. Einfach abtransportieren darf man den Schlamm aber nicht, wie die Feuerwerker erklären. Erstens müsse er aus Gründen des Naturschutzes drei Wochen neben dem Gewässer liegen bleiben- bis alle Amphibien den Weg zurück in ihren Lebensraum gefunden haben. Außerdem muss das nasse Erdreich erst auf Schadstoffe untersucht werden, bevor es auf einer Mülldeponie landet. Eine Lösung für das Problem? Muss sich erst noch finden.
Bis Mitte kommender Woche werden die Feuerwerker und die Bagger der Firma Soyer Erdbau mindestens noch mit der Melak beschäftigt sein. Die Kosten des Projekts für die Stadt sind noch nicht absehbar, aber "ganz billig wird das nicht", heißt es am Weiher. Unklar ist freilich auch, was die Kampfmittelexperten noch so alles finden werden. Richtig Respekt zum Beispiel haben Scho und Co. vor Riegelminen, mit denen die Wehrmacht einst Panzer aufzuhalten versuchte. "Die sind saugefährlich." Derweil der Chef das sagt, weht ein kalter Wind über die Melak. Das Laub am Boden raschelt, die trübe Wasseroberfläche kräuselt sich sanft. Alles könnte so friedlich sein. Wäre da nicht diese Wanne mit einem verrosteten Eisenteil drin.