Senioren im Landkreis:Unternehmungslustige Oldies

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Eine bunte Reisegruppe erlebt Höhen und Tiefen: Die Senioren vom "Kaleidoskop" spielen "Der Ausflug", ein Stück aus Gabi Sabos Feder. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Senioren der Grafinger Theatergruppe "Kaleidoskop" gehen auf Abenteuerreise. Nun ist ihr neues Stück "Der Ausflug" in der Stadtbücherei zu sehen. Ein Probenbesuch.

Von Michaela Pelz, Grafing

"Schlechte Straße! Kurve rechts! Kurve links! Stopp!" Der Raum ist karg, das Bühnenbild nur sparsam, doch die geballte Energie des Ensembles vom Grafinger Theater "Kaleidoskop" macht alles wett. Mit maximaler Körperspannung sitzen sie da, sieben seriöse Seniorinnen, bis sie gemäß den Ansagen des Busfahrers ihre Kehrseiten synchron von den Sitzen erheben und die Oberkörper nach rechts werfen. Oder nach links. Oder sich im Schwung der imaginierten Bremsbewegung ruckartig nach vorn fallen lassen.

So gelungen ist diese Choreografie, dass man sich sofort mitgenommen fühlt auf dem Weg nach Zürich. Denn dorthin geht die Busreise, wie Ingrid Jendryssek das Publikum in einer so überzeugenden wie bewegenden ersten Szene wissen lässt. Die 83-Jährige gibt mit unglaublicher Bühnenpräsenz eine Frau, die nach einem langen Leben ins Seniorenhaus zieht - und geplagt ist von großem Fernweh.

Die Schürze, die Ingrid Jendryssek hier trägt, hat sie vor mehr als 70 Dekaden als 12-Jährige selbst bestickt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Mit großer Selbstverständlichkeit trägt Jendryssek ihren Monolog vor - kaum zu glauben, dass sie noch kurz zuvor zu Protokoll gegeben hat, unglaublich froh darüber zu sein, in dieser Theatergruppe "auch mal eigene Worte wählen zu dürfen, solange sie den Kern treffen". Denn das sture Auswendiglernen sei in ihrem Alter doch oft schwierig.

Die sieben unternehmungslustigen Oldies auf Reisen haben aber durchaus unterschiedliche Vorstellungen und Ansprüche. Die Truppe muss sich also erst zusammenraufen und all die Wünsche unter einen Hut bringen. Die eine Seniorin hofft auf kulinarische Freuden, die zweite plant finanzielle Transaktionen, wieder andere wollen die Gegend erkunden, sich sportlich betätigen oder suchen, wie Frau Schuster (Monika Springer-Lampe), kokett nach männlicher Gesellschaft - eine Paraderolle für die Psychologin mit dem spitzbübischen Lächeln. "Dabei ist so ein Verhalten eigentlich gar nicht meins", beteuert sie.

Für diesen Mantel musste kein Tier sterben - er ist aus Alpaka- und Mohairwolle. Auch im echten Leben sind Monika Springer-Lampe und Bernhard Hoiss ein Paar. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Zum Seniorentheater fand die 77-Jährige über eine Sportgruppe, deren Leiterin sie überzeugte, beim Kaleidoskop einzusteigen: Gabi Sabo. Die promovierte Theaterwissenschaftlerin, Regisseurin und Dramaturgin, mit ihren 58 Jahren die Jüngste im Saal, ist trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer unaufgeregten Art und sanften Freundlichkeit graue Eminenz, Motor und Mastermind zugleich. Und zwar ehrenamtlich.

Bei Sabo laufen alle Fäden zusammen. Sie entwickelt die Stücke gemeinsam mit der Truppe und schafft es als Autorin, jeder Rolle einen individuellen Touch zu verleihen und so alle ihre Darsteller zu Höchstleistungen zu führen. Und selbst wenn es mal etwas zu kritisieren gibt, "macht die Gabi es so, dass niemand beleidigt ist".

Regisseurin Gabi Sabo ist in allen Lebenslagen die Ruhe selbst. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auch bei dieser morgendlichen Probe läuft nicht immer alles glatt. Mal geht jemand zu früh ab, mal kommt ein Einsatz zu spät oder jemand überspringt einen Teil. "Hoppala - ich hab' noch gar nicht geträumt!", lautet ein von Gelächter begleiteter Hinweis von Frau "Doktor!" Meier, die ansonsten keine Gelegenheit auslässt, ihre Mitreisenden zu belehren oder mit unerwünschten Informationen versorgen zu wollen, meist ohne Erfolg.

Verkörpert wird die besserwisserische Goethe-Liebhaberin von Birgid Baumann - was der 70-Jährigen nach eigenem Bekunden nicht immer leicht fällt. Ja, sie sei noch "etwas zu nett und verständnisvoll", merkt auch Sabo mit leisem Lächeln an.

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Von Michaela Pelz

Baumann aus Assling ist seit vergangenem Jahr Teil des Kaleidoskops - aufmerksam geworden durch einen Zeitungsartikel. Weil sie selbst so viel Spaß hatte, und weil dringend Ersatz für eine erkrankte Schauspielerin gebraucht wurde, überzeugte Baumann vor einigen Monaten zudem ihre alte Schulfreundin Jutta Träger, sich der Seniorentheatergruppe anzuschließen. Innerhalb von anderthalb Wochen - "quasi von 0 auf 100" - lernte die frühere Jobcenter-Beamtin ihre Rolle und brillierte bei einem Auftritt im Oktober in der Stadthalle. Keiner habe da bemerkt, dass die 68-Jährige noch neu war, bekräftigt Sabo.

Ihre nächsten Aktivitäten besprechen anhand eines Stadtplans: Jutta Träger (68), Nana Helfrich (81), Renate Müller (77) und Monika Springer-Lampe (77) (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Auf drei andere Damen trifft das nicht zu: Renate Müller (77), die mit ihrem charmanten, leicht hessischen Einschlag auch mal einen Witz erzählen darf, ist schon seit 2015 dabei. Dass der Frau, die früher auch im Einzelhandel tätig war, das freie Sprechen liegt, merkt man dabei ganz genau. Auch Eva Halm (73) hat schon bei mehreren Stücken mitgewirkt. Sie mag es, dass man in der Theatergruppe lernt, das eigene Ich zu verlassen, um in andere Personen zu schlüpfen - "sogar in Tiere!", ergänzt jemand und alle lachen, denn die Paraderollen der Apothekerin sind eine Ente und eine Kuh.

Selbst in Tierrollen unschlagbar: Eva Halm (73) (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und dann ist da natürlich noch Nana Helfrich, die seit mehr als zwölf Jahren, also praktisch von Anbeginn an, Teil der Gruppe ist. Die 81-Jährige leidet seit einer Rücken-OP unter chronischen Schmerzen - doch wenn sie auf der Bühne steht, sind diese vergessen. Genauso, wie der Zuschauer angesichts dieser herzerwärmenden Figur mit diebischem Grinsen schnell gar nicht mehr wahrnimmt, dass sie sich mit einem Rollator fortbewegt. Und so ist also diese Reisegruppe, die mit viel ansteckender Spielfreude neue Orte erobert, ebenso vielfältig und individuell wie die Akteurinnen selbst. Und der Akteur. Der einzige Mann: Bernhard Hoiss.

Die Begeisterung über diesen Neuzugang ist Gabi Sabo deutlich anzumerken: "Mich freut es total, dass wir seit bestimmt fünf oder sechs Jahren erstmals wieder einen Mann dabeihaben. Die Energie ist bei einer gemischten Gruppe einfach eine ganz andere!" Gerne möchte die Regisseurin auch andere Herren ermuntern, sich auf die Bühne zu wagen - es werde alles angeleitet, Theatererfahrung brauche man daher keine.

Ob im Frack oder als Alm-Öhi: Bernhard Hoiss (75) macht immer eine gute Figur. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein Schaden ist sie aber nicht, wie man am Kirchseeoner Hoiss sieht, der schon als Student Theater spielte. Er verkörpert den energischen Busfahrer ebenso souverän wie den stoischen Alm-Öhi oder den Charmeur im Frack. Ganz besonders schätzt der 75-Jährige, "dass wir alle - unter der stets präsenten, aber nie wirklich bemerkbaren Führung von Gabi Sabo - ein gemeinsames Ziel anstreben".

Man muss sagen: Wenn dieses Ziel darin besteht, dem Publikum 40 abwechslungsreiche Minuten voller Witz, Selbstironie, ein wenig Gesang, aber vor allem ganz viel Herz zu bieten, haben die Acht es vollends erreicht. Davon überzeugen kann man sich nun bei einer öffentlichen Aufführung in Grafing, Seniorenheime können die Truppe aber auch buchen und in ihr Haus einladen.

Theater Kaleidoskop: "Der Ausflug", zu sehen am Dienstag, 19. Dezember, um 18 Uhr in der Stadtbücherei Grafing, Grenzstraße 5. Der Eintritt an der Tageskasse kostet acht Euro, ermäßigt fünf Euro. Einlass ist von 17.45 Uhr an. Kontakt aufnehmen kann man per Mail an gabi.sabo@kulturbananen.de.

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