Jobcenter Ebersberg:Begehrtes Bürgergeld

Lesezeit: 3 min

Seit Anfang des Jahres gibt es in Deutschland das neue Bürgergeld. Auch im Ebersberger Jobcenter hat sich durch dessen Einführung viel verändert. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Seit Anfang des Jahres ist Hartz IV Geschichte, Sozialleistungen werden nun als Bürgergeld ausgezahlt. Obwohl die Anträge dafür im Landkreis Ebersberg stetig mehr werden, kommt das Jobcenter mit der Umstellung gut zurecht. Ironischerweise hat die Behörde aber selbst mit Fachkräftemangel zu kämpfen.

Von Andreas Junkmann, Ebersberg

Eigentlich ist es die Hauptaufgabe eines Jobcenters, Menschen ihrer Qualifikation entsprechend in ein Arbeitsverhältnis zu vermitteln. Ironischerweise tut sich zumindest die Ebersberger Behörde dieser Tage aber selbst schwer damit, geeignetes Fachpersonal zu finden. Dieses allerdings wäre dringend nötig, denn mit der Einführung des Bürgergeldes zu Jahresbeginn hat sich der Arbeitsaufwand für die Beschäftigten deutlich erhöht. Die Fälle werden nicht nur immer komplexer, auch die Zahl der Anträge steigt deutlich an. Dennoch zieht der Ebersberger Jobcenter-Chef Benedikt Hoigt ein durchaus positives Fazit über den Start des Hartz-IV-Nachfolgers.

Die Einführung des Bürgergeldes sei "turbulent, aber auch erfolgreich" verlaufen, sagte Hoigt in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses im Kreistag, als er über die ersten Erfahrungen seiner Behörde mit der neuen Art der Grundsicherung berichtete. Diese löst nach 20 Jahren das als Hartz IV bekannte Arbeitslosengeld II ab, das als Herzstück der "Agenda 2010" von der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) eingeführt worden war. Man sei erleichtert gewesen, dass das neue Gesetz allen hitzigen Diskussionen zum Trotz rechtzeitig fertig geworden ist, sagte Hoigt nun über das Bürgergeld. "Dadurch hat jeder Berechtigte das Geld pünktlich zum 1. Januar ausbezahlt bekommen."

Nicht jeder, der einen Antrag stellt, hat auch Anspruch auf das Bürgergeld

Die Anzahl derer, die im Landkreis Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II in Anspruch nehmen, ist dabei nicht gerade gering - im Gegenteil: Dem Jobcenter-Geschäftsführer zufolge betreut die Ebersberger Behörde derzeit 1653 Bedarfsgemeinschaften. Der Krieg in der Ukraine und die daraus folgende Flüchtlingswelle haben die Situation nochmals deutlich verschärft. Vor Ausbruch des Konflikts waren in Ebersberg rund 2000 Personen auf das Jobcenter angewiesen, heute sind es fast 3200.

"Ich habe das Jobcenter Ebersberg nie als Sanktionsbehörde verstanden", unterstreicht Geschäftsführer Benedikt Hoigt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und die Zahl der Anträge nimmt weiter zu, Hoigt sprach von einer monatlichen Steigerung um etwa 20 Prozent seit Einführung des Bürgergeldes. Nicht alle Gesuche sind allerdings berechtigt, wie der Geschäftsführer im Sozialausschuss erzählte: Kürzlich etwa habe ein Mann mit einem monatlichen Nettoverdienst von 5000 Euro einen Antrag auf Bürgergeld gestellt. Dieser sei zwar abgelehnt worden, dennoch hätten seine Mitarbeiter das ganze Verfahren durchspielen müssen. "Das ist ein enormer Verwaltungsaufwand", so Hoigt.

Dennoch kommt die Ebersberger Behörde mit dem Andrang bisher noch einigermaßen zurecht, oder, wie der Chef selbst es ausdrückte: "Wir bekommen das gerade noch so gewuppt." Zwischen 800 und 900 Vorsprachen haben die Mitarbeiter Hoigt zufolge im Monat zu bewältigen. Recht viel mehr dürfen es eigentlich auch nicht mehr werden, denn die personellen Kapazitäten der Behörde sind quasi ausgeschöpft. Derzeit seien fast alle Stellen besetzt, sagte Hoigt - zum Glück, denn Fachkräfte sind selbst für das Jobcenter rar gesät. Stattdessen auf fachfremdes Personal zurückzugreifen, kommt für den Geschäftsführer aber nicht in Frage, denn dafür seien die Vorgänge einfach zu komplex.

Das "ganzheitliche Coaching" wird in Ebersberg bereits seit Jahren praktiziert

Das Bürgergeld sollte dem deutschen Sozialsystem eigentlich einen Teil dieser Komplexität nehmen. Ob das gelungen ist, wird sich wohl erst im Laufe des Jahres zeigen, wenn von 1. Juli an alle Änderungen des neuen Gesetzes in Kraft getreten sind. Dann wird es etwa die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens geben, sollte es beim Prozess der beruflichen Wiedereingliederung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Leistungsbezieher kommen. Benedikt Hoigt könnte sich vorstellen, dass man zu diesem Zweck dann auf fachfremde Kräfte setzt, die einen völlig neutralen Blick auf das Verfahren haben. Das ebenfalls zum 1. Juli kommende "ganzheitliche Coaching" kennt man dagegen in Ebersberg bereits. "Das wird von uns schon seit Jahren so praktiziert", sagte der Jobcenter-Chef.

Die deutlich markanteren Änderungen im Sozialgesetz sind ohnehin bereits seit Anfang des Jahres in Kraft. Dazu gehört etwa die Erhöhung der Regelsätze, das durch die Karenzzeit geschützte Vermögen von 40 000 Euro im ersten Jahr oder die Maßgabe, dass den Leistungsempfängern die Miete in den ersten zwölf Monaten in voller Höhe erstattet wird. Gerade Letzteres mache es schwer, die konkreten Kosten des neuen Bürgergeldes für den Landkreis Ebersberg zu beziffern, so Hoigt. Im Bereich der Unterkünfte sei aber in jedem Fall mit einer Steigerung zu rechnen.

Wirtschaft im Landkreis Ebersberg
:Weniger Arbeit, mehr Fachkräfte?

Einige Unternehmen im Landkreis werben mit einer Vier-Tage-Woche um Mitarbeiter. Dabei geht es zwar auch um eine arbeitnehmerfreundliche Work-Life Balance - aber nicht nur.

Von Lino Herrmann

Steigen könnte im Ebersberger Jobcenter künftig auch wieder die Zahl der Sanktionen, die wegen etwaiger Pflichtverletzungen gegen Leistungsbezieher ausgesprochen werden - zumindest theoretisch. Deren vorübergehende Aussetzung nämlich wurde mit der Einführung des Bürgergeldes wieder kassiert, Leistungsminderungen sind nun also wieder möglich. In Ebersberg will man davon aber nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. "Wir wollen lieber im Miteinander eine Änderung der Lebenssituation erreichen", sagte Hoigt.

Jobcenter-Chef Benedikt Hoigt geht es darum, nachhaltig vorzugehen

Mit dieser Strategie ist das Ebersberger Jobcenter bisher gut gefahren. Über 90 Personen habe man dieses Jahr bereits in den ersten Arbeitsmarkt integrieren können, so Hoigt, der besonders stolz darauf ist, dass dank seiner Mitarbeiter inzwischen auch 104 geflüchtete Ukrainer in der Region einer Tätigkeit nachgehen können. Wenn die Sprachkurse abgeschlossen sind, werde sich die Zahl nochmal deutlich erhöhen, da ist sich der Geschäftsführer sicher.

Benedikt Hoigt geht es aber ohnehin nicht darum, Menschen möglichst schnell irgendwo unterzubringen, sondern nachhaltig vorzugehen. "Wir wollen eine positive, dauerhafte Veränderung im Leben unserer Kunden erreichen", sagte der Jobcenter-Chef, für den Arbeit mehr ist, als nur Lohn und Brot: "Arbeit bedeutet auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusFachtagung in Ebersberg
:Unsichtbare Wunden

Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter psychischen Erkrankungen - doch Hilfe ist nicht so einfach zu bekommen. Wie sich dieser Zustand verbessern ließe, und welche Rolle die Erziehung spielt, darüber haben sich nun Experten ausgetauscht.

Von Andreas Junkmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: