Vaterstetten:Neue Corona-App zeigt Auslastung von Supermärkten

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Sebastian Müller aus Vaterstetten hat zusammen mit zwei Start-up-Kollegen ein Programm entwickelt, das eigentlich für ganz andere Zwecke geplant war.

Von Andreas Junkmann, Vaterstetten

Wer in diesen Tagen der Gesellschaft einen Gefallen tun will, hält sich so gut es geht von eben jener fern. "Social Distancing" lautet während der Corona-Pandemie das Gebot der Stunde. Dass das freilich nicht immer möglich ist, zeigt sich spätestens beim Spießrutenlauf durch die engen Verkaufsgassen eines Supermarktes. Um solche Situationen zu vermeiden und dafür zu sorgen, dass auch beim Einkaufen der gebotene Mindestabstand eingehalten werden kann, gibt es seit Kurzem eine technische Hilfe: eine App, die anzeigt, wie viel gerade im örtlichen Laden um die Ecke los ist. Entwickelt worden ist diese von einem internationalen Start-up, einer der Mitbegründer stammt aus Vaterstetten.

Sebastian Müller sitzt gerade mehr oder weniger im Haus seiner Eltern fest. Normalerweise wäre der 27-Jährige jetzt in London und würde mit seinen Kollegen der Firma "Lanterne" weiter an einer Navigations-App feilen, die eigentlich bereits im März dieses Jahres in die Testphase hätte gehen sollen. Auf der Rückreise vom Skiurlaub wollte Müller vor einigen Wochen aber noch einen kurzen Zwischenstopp bei Mama und Papa in Vaterstetten einlegen, ehe es zurück in die englische Hauptstadt gehen sollte. Dann trat das Flugverbot in Kraft. Sebastian Müller nimmt's mit Humor: "Eigentlich ist das ja auch mal ganz schön", sagt er und lacht.

Die Corona-Pandemie hat bei dem Absolventen der London School of Economics aber nicht nur das Privatleben etwas durcheinandergewirbelt, sondern auch die beruflichen Pläne. Die Navigations-App haben Müller und seine beiden Kollegen vorerst auf Eis gelegt, stattdessen überlegten die Start-up-Gründer, welchen Beitrag sie in der Krise leisten können. Heraus gekommen ist die kostenlose App "Crowdless". "Die Idee ist eigentlich ganz simpel. Die App zeigt an, wie viel in Supermärkten gerade los ist", erklärt Müller. Dadurch könne man es relativ einfach vermeiden, in Menschenmassen zu geraten oder in langen Schlangen zu stehen.

Auf einer virtuellen Landkarte wird dem Benutzer angezeigt, wie sehr der betreffende Laden gerade frequentiert ist: von weniger, über mittel, bis hin zu sehr ausgelastet. Das funktioniert für einen Supermarkt in Ebersberg oder Grafing genauso wie für ein Geschäft in London oder Madrid. Was im ersten Moment ein bisschen nach Spionage-Software klingt, kommt gänzlich ohne personenbezogene Daten aus. Die Informationen bezieht die App Müller zufolge lediglich aus bereits vorhandenen Quellen von Drittanbietern.

Nur vier Wochen von der Idee bis zur Umsetzung

Dazu zählen etwa die Online-Suchanfragen zu einem bestimmten Laden, der Verkehr in der näheren Umgebung oder geortete Handysignale auf Google Maps. Aus all diesen Daten wird schließlich errechnet, wie voll ein Geschäft sein könnte. Die Nutzer von "Crowdless" können dann auch Feedback geben, ob die Prognose zutreffend war. Genaue Rückschlüsse, wer gerade wo einkaufen ist, seien aber nicht möglich. "Uns war es bei der Entwicklung wichtig, dass höchste Datenschutz-Standards eingehalten werden", so Müller.

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Dabei war "Crowdless" eigentlich ein Schnellschuss. Lediglich vier Wochen hat es von der Idee bis zur Umsetzung gedauert. "Klar war das viel Arbeit, aber das Know-how war ja bereits vorhanden", sagt Müller. Wie man ein solches Tool programmiert, haben die Start-up-Gründer schließlich schon bei ihren ursprünglichen Plänen ausgetestet, die noch ein ganz anderes Ziel hatten: eine Navigations-App sollte in Krisengebieten auf der ganzen Welt dafür sorgen, dass Menschen möglichen Gefahren, sei es durch Kriminalität oder Terror, bestmöglich aus dem Weg gehen können. "Wir haben festgestellt, dass es da in vielen Ländern einen Mangel an Informationen gibt. Der Bedarf ist aber da." Statt vor No-go-Areas in Bogotá oder Kabul warnt die App nun aber vor überfüllten Supermärkten.

Dass die Umsetzung überhaupt so schnell und reibungslos geklappt hat, ist insofern bemerkenswert, als dass nicht nur Sebastian Müller fernab seines eigentlichen Arbeitsplatzes festsitzt. Die beiden anderen Mitgründer leben zur Zeit in London und Australien, die Software-Entwickler in Krakau und in Rom. "Wir arbeiten eh schon sehr digital. Von daher ist das für uns kein so großes Problem", so der Vaterstettener. Eine größere Hürde sei eher die Zeitverschiebung: "Wenn er arbeitet, schlafen wir, und wenn wir arbeiten, schläft er", sagt Müller etwa über seinen Kollegen in Down Under. Lediglich morgens gebe es die Möglichkeit zum kurzen Austausch.

"Crowdless" soll unterdessen aber auch vom Home-Office aus weiterwachsen. In den ersten beiden Tagen seit Veröffentlichung wurde die App bereits von über 8000 Nutzern heruntergeladen, vor allem in Deutschland, Großbritannien und Spanien. Derzeit ist nur die englischsprachige Version verfügbar, an weiteren Sprachen werde derzeit aber gearbeitet. Ebenso soll es eine Ausweitung auf zusätzliche Geschäftskategorien wie Apotheken, Bekleidungsläden oder Baumärkte geben. In Großbritannien gibt es Müller zufolge auch schon Verhandlungen mit Handelsketten, die daran interessiert sind, weitere Daten für die Nutzer zur Verfügung zu stellen, um damit eine gleichmäßige Auslastung der Geschäfte zu ermöglichen - und somit letztendlich für die gebotene Distanz beim Einkaufsbummel zu sorgen.

© SZ vom 29.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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