Interview:"Das Unglück hallt im Dorf mit einer seltsamen Distanz nach"

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Der Autor Simon Viktor hat sich mit der Geschichte seiner Heimat beschäftigt, mit dem schweren Zugunglück bei Aßling. (Foto: Veranstalter)

Der in Aßling aufgewachsene Simon Viktor ist Künstleragent und Texter. Nun hat er seinen ersten Roman geschrieben - im Keller.

Interview von Thorsten Rienth, Aßling

Simon Viktors Debüt-Roman dreht sich um die wahre Geschichte des Zugunglücks zwischen Aßling und Elkofen von 1945. Historische Elemente vermischt er darin gekonnt mit einem fiktiven Plot.

SZ: Sie arbeiten als Künstleragent und Texter fürs Fernsehen, sind verheiratet und haben zwei kleine Töchter zuhause. Da gibt es doch wahrlich Spannenderes, als sich einem Zugunglück vor bald 80 Jahren literarisch zu nähern...

Simon Viktor: Genau diese literarische Annäherung finde ich wahnsinnig spannend! Einerseits, weil dieses Zugunglück in der deutschen Geschichtsschreibung nahezu vergessen ist. Andererseits, weil es bis heute im kollektiven Gedächtnis Aßlings und der Dörfer drumherum mit einer seltsamen Distanz nachhallt.

Woher kommt diese Distanz?

Die Frage habe ich mir bei der Recherche und beim Schreiben oft gestellt. Ich kann nur mutmaßen: Der Zweite Weltkrieg war als Urkatastrophe schlechthin zu Ende gegangen. Der Tisch der kollektiven Erinnerung muss so reich mit traumatischen Erinnerungen gedeckt gewesen sein, dass dieses Drama des Zugunglücks einfach hinten runtergefallen ist. Die alte Zeit war zu Ende, aber die neue Welt noch nicht wirklich da.

Zwei, drei Jahre später wäre die Geschichtsschreibung wahrscheinlich eine andere geworden?

Gut möglich. Andererseits frage ich mich, ob der Mensch diese ganze Tragik überhaupt erfassen kann: Da überlebst du den Krieg, hast im Sommer 1945 deinen Entlassungsschein aus der Kriegsgefangenschaft in der Tasche - und dann stirbst du so elendig, weil die Fernsprechverbindung zwischen den Fahrdienstleitern zu viel knarzt. Und nicht zuletzt dürfte die Distanz auch daher rühren, dass die Opfer nicht aus der Region stammten. Niemand im Dorf hatte eine emotionale Bindung zu ihnen.

Sie sind in Aßling aufgewachsen. Wie haben Sie von dem Unglück erfahren?

Ich erinnere mich, dass meine Straußdorfer Oma uns als Kindern davon erzählte. Dass die Schreie der Verletzten und Sterbenden bis in ihr Dorf zu hören gewesen seien. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass das Unglück in der Grundschule, damals gab es ja noch den Heimat- und Sachkundeunterricht, irgendwie thematisiert worden wäre. Mir ist auch ein echtes Rätsel, warum kaum Forschung dazu existiert. Soweit ich weiß, gibt es außer dem Historiker und Grafinger Stadtarchivar Bernhard Schäfer weit und breit niemanden, der sich wissenschaftlich mit dem Unglück auseinandergesetzt hätte. Und literarisch bis jetzt auch nicht.

Der historische Roman ist ein sehr spezielles Genre. Wie haben Sie einen Verlag gefunden?

Auf ziemlich blauäugige Art und Weise: Ich hatte doch von der Verlagsszene überhaupt keine Ahnung. Bei einem Telefonat mit einer Kollegin hab' ich erzählt, woran ich gerade schreibe. Sie sagte: "Meld' dich doch mal beim Südost Verlag" Denen habe ich ein Exposé geschickt - und es stieß auf Interesse. Der Rest hat sich glücklicherweise sehr unkompliziert gefügt.

Und dann setzt man sich hin und schreibt?

Ja. Aber nicht so, wie man sich das vorher ausmalt - im eigenen Atelier und mit Blick ins Grüne. Wir wohnten damals in München in einer Stadtwohnung. Unsere ältere Tochter wurde gerade drei, die Kleine war ein paar Monate alt. Dann habe ich mich während des Lockdowns ins Kellerabteil gesetzt, das Lampenkabel in die Steckdose geschoben, die es dort zufällig gab, und ein altes Regal als Schreibtisch genutzt. Das war schon ziemlich dunkel, kalt und einsam. Aber heute kann ich darüber lachen. Und immerhin bin ich mit einem fertigen Buch aus dem Keller zurückgekommen.

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